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„Und wenn ein Vater Polizist ist ?“

■ Evang. Gemeinde versteckt christliche armenische Familie aus der Türkei / Der Innensenator: „Kirchenasyl ist Rechtsbruch“ / „Wenn Ihr uns ausweist, tötet Ihr uns“, sagt der Familienvater

Der Vorgarten des evangelischen Gemeindehauses im Bremer Irgendwo ist ein echtes Schmuckstückchen der Gediegenheit. Vor zehn Tagen wollte Dikran* (alle Namen von der Redaktion geändert) hier Kartoffeln pflanzen. Unglücklicherweise grub er dabei auch das liebevoll gepflegte Stiefmütterchenbeet der Putzfrau um. Die Gute wußte gar nicht, an wen sie ihren Ärger richten sollte. Daß Dikran K. seit zwei Wochen hier mit seinen Eltern und Geschwistern unterm Dach wohnt, wurde ihr erst letzten Sonntag mitgeteilt: Im Gottesdienst gab der Pastor bekannt, daß Familie K. Kirchenasyl bekommen hat. Außerhalb der Hausgemeinde soll der Aufenthaltsort der K.s jedoch nicht öffentlich werden.

Nicht so das Schicksal der Familie: Die Eltern K. und ihre vier Kinder (sechs bis 18 Jahre alt) sind armenische Christen aus der Türkei. 1990 kamen sie von Istanbul nach Deutschland, kurze Zeit später nach Bremen. Ihr Antrag auf Asyl wurde abgelehnt, am 28. April hätte Familie K. ausreisen müssen, weil sie nicht als politisch Verfolgte anerkannt wurden.

Doch die Bremer Evangelische Kirche (BEK) will sie vor einer Abschiebung in die Türkei bewahren. Bereits im August vergangenen Jahres hatte die BEK-Leitung für armenische Christen – von den in Bremen lebenden 700 bis 800 armenischen ChristInnen sind rund 60 aktuell von Ausweisung bedroht – Kirchenasyl angekündigt. Es erging eine Anfrage an alle 69 Bremer Kirchengemeinden, drei von ihnen gaben pauschal ihre Zustimmung.

„Das war bei uns nicht ganz so einfach durchzukriegen“, erzählt Inge Hermann, jetzt Betreuerin der Familie K. „Wir haben hier viele konservative Gemeindemitglieder, man geht zwar nicht zur Kirche, läßt aber die Kinder taufen.“ Diejenigen, die dagegen waren, halten sich jedoch raus, die anderen denken übers Illegale nicht mehr nach. Die Jugendlichen räumten im Gemeindehaus neben der Kirche ihre Zimmer im ersten Stock – drei Tage nach dem Abschiebetermin zogen die Armenier mit ihren Betten und Polstergruppen ein.

Jetzt serviert die Tochter der Familie hier Tee und Kaffee. Die Gäste sowie Mutter und Kinder dürfen auf dem grauen Fünfsitzer-Ecksofa Platz nehmen. Vater Agop setzt sich in Strümpfen auf einem Holzstuhl in Positur. Er dankt. Dikran, sein Ältester, übersetzt: Der Vater habe in Istanbul in einer Lederfabrik gearbeitet. Als die islamischen Kollegen herausfanden, daß er Armenier und gläubiger Christ ist, der jeden Sonntag zur Kirche geht, wollten sie ihn umbringen. „Mich haben sie in der Schule verprügelt“, ruft der jüngere Bruder Kirkor von der Seite. „Sehen Sie seine Narben im Gesicht“, sagt Dikran. Der Vater unterbricht ihn und wird lauter: „Wir sind doch Armenier, wir glauben doch an Jesus, wir ihr auch! Wenn Ihr uns in die Türkei schickt, tötet Ihr uns.“

Das sehen die bundesdeutschen Gerichte etwas anders. Seit dem 31.12.89 haben ChristInnen aus der Türkei nicht mehr automatisch ein Bleiberecht in Deutschland. Nur beim Verwaltungsgericht Braunschweig gab es im August 1995 ein einschlägiges Urteil: Es sei erwiesen, daß armenische Christen aus der Türkei aktuell bedroht seien – analog zu syrisch-orthodoxen Christen von dort, die mittlerweile fast durchgängig von deutschen Gerichten als gruppenverfolgt angesehen werden. Braunschweig liegt in Niedersachsen. Selbst ein Folgebeschluß des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Lüneburg hätte auf Bremen keine bindende Präzedenzwirkung. Das OVG in Bremen hat hierfür noch keine grundsätzliche Entscheidung getroffen. „Es gingen nur Berufungsanträge bei uns ein, nachdem die Asylanträge abgelehnt waren“, sagt Hans Alexy, der Sprecher des Bremer OVG. „Doch diese sind alle – aus unterschiedlichen Gründen – erfolglos geblieben.“

Das Thema Armenier solle nochmal „durchgetakelt“ werden, finden die Gläubigen rund um Familie K. „Was wir erreichen wollen, fragen wir uns auch. Aber ein Kirchenasyl kann doch nicht ewig dauern.“ Das Ausländergesetz müsse geändert werden. Und die Familie sollte jetzt zumindest noch sechs Monate Aufenthaltsduldung bekommen.

Darüber entscheidet der Innensenator. Die BEK bot ihm ein Gespräch an – Ralf Borttscheller (CDU) reagierte gestern mit einer aufgebrachten Presseerklärung. Letzten Sommer noch war der syrischen Familie Hanna nach monatelangem Asyl in Bremer Kirchengemeinden nachträglich vom Verwaltungsgericht Asyl gewährt worden. Jetzt erneuert Innensenator Borttscheller seine Haltung zum Kirchenasyl, spricht von Rechtsbruch und verurteilt die „moralische Selbstermächtigung“ der Kirchen.

Vom Leben der Familie K. erfuhren die Gemeindevertreter erst, als sie bei ihnen auf dem Sofa saßen. Inge Hermann murmelt, man müsse etwas tun. Ihr Mitstreiter findet, man handle humanitär und hoffe auf politische Konsequenzen. Die KonfirmandInnen wollen die Hälfte der Kollekte vom Konfirmationsgottesdienst an Familie K. spenden. Ein Mädchen fragte, „und was ist, wenn der Vater von jemandem bei der Polizei ist?“ – „Dann soll er für die Orgel spenden“ (der Pastor). In Kirchenräume werde die Polizei nicht eindringen, so Stefan Luft, der Sprecher des Innensenators. „Außerhalb derselben können die Personen jedoch jederzeit aufgegriffen werden.“ Zur Schule gehen die Kinder z.Zt. nicht. sip

Spendenkonto für die versteckten Personen: Spk. Bremen, BLZ 290 501 01, Kt.Nr. 118305585.

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