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Wand und BodenEin bißchen weit weg vom Knast

■ Kunst in Berlin jetzt: Tomi Ungerer, Michael Kalmbach, Eckhard Etzold/Christiane Ten Hoevel, Gary Hume

Daß Tomi Ungerer sich als freier Künstler fühlt, sieht man gleich links vom Eingang im Haus am Lützowplatz. Das Objekt heißt „Ohne Titel“, stammt aus dem Jahr 1970 und besteht aus Altmaterial – Abtropfkorb und Spanplatte. Geformt ist das Ganze dann wie ein Playtex-Büstenhalter der Sixties, womit die Wesenszüge des französischen Karikaturisten und Buchillustrators bereits vereint sind: In der Retrospektive „Das Spiel ist aus“ geht es um Sex, Junggesellenmaschinen und den Tod. Aus Leihgaben des Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum und einer Straßburger Stiftung zusammengestellt, wird man ein wenig betulich von Werkgruppen wie „Idol, Fetisch & Schmuck“ über „Lust & Leid“ zu „Angst und Ängsten“ geleitet. Ungewöhnliche Themen eigentlich für einen Witzzeichner.

Die Biographie Ungerers, 1931 im Elsaß geboren, sieht der von Andy Warhol ziemlich ähnlich. Mit 22 Jahren geht er an die École Municipale des Arts Décoratifs, danach arbeitet er als Schaufensterdekorateur und Werbezeichner. 1954 hätte Ungerer durchaus Pop-Artist werden können statt Gebrauchsgrafiker. Dann biegt die Laufbahn ab, er lernt Saul Steinberg kennen und wird für seine Cartoons von Harper's Bazaar, Penthouse und Lui gut bezahlt. Die frühen Bilder krakeliger Kids mit krummen Mündern werden in den Herrenmagazinen bald verhärmter, die Gesichtszüge teigiger, die Körper sind nun nicht mehr schwarz auf weiß, sondern schweinchenrosa. Ab 1970 gerät Ungerer der Strich faltig, in den 80er Jahren wechselt der Strapshumor zu S und M. Hübsch ist allerdings ein Wolf aus dieser Zeit, der Rotkäppchen begeistert das Höschen wäscht. Ansonsten könnte Ungerer seine Vorbilder etwas unauffälliger zitieren. So erinnern Zeichnungen an Goya, wenn es um Macht geht, für Zoten nimmt er Honoré Daumier. Und der Pop-Playtex ist arg Marcel Duchamps Objekten nachempfunden.

Bis 26.5., Di.–So. 11–18 Uhr, Lützowplatz 9

Eine Treppe führt von Ungerer in die Studiogalerie. Dort zeigt Michael Kalmbach, leicht irreführend mit „Freigang (Gefängnisbildhauerei)“ betitelt, 32 kleine gebrannte Tonfiguren, die bei seiner Arbeit als Betreuer der Keramikwerkstatt in einem Frankfurter Untersuchungsgefängnis entstanden sind. Doch die Knackis haben sich hier gar nicht selbst getöpfert, vielmehr hat allein der Künstlertherapeut seine Umgebung abgebildet. Wo mit Konzept und einem gewissen Interesse an Kommunikation zu rechnen wäre, verbinden Kalmbachs Skulpturen laut Infoblatt eher „ornamentale Strukturen, Fragen des Gewichts und des Volumens mit der Formensprache des Alltäglichen, des Banalen“. Das ist ein bißchen weit weg vom Knast.

Zwar findet der 32jährige Kalmbach, der bei Felix Droese studierte, vom blonden Pferdeschwanz bis zum Zuhälterschnäuzer und anderen Grobschlächtigkeiten für jede Figur den eigenen Charakter. Doch das Gefängnis im Hintergrund der Miniaturen kann man gerade mal ahnen. In Blaumann und Pantoffeln sehen die Figuren kaum anders als Schichtarbeiter bei Ford oder Mannesmann aus. Den versprochenen Freigang bekommen lediglich die Skulpturen: Für ein Katalogbüchlein hat Kalmbach sie an Bordsteinkanten und Häuserecken fotografieren lassen. Das Puppenspiel ist natürlich auch eine Art, mit realer Abwesenheit umzugehen. Zumindest eine recht feine.

Bis 26.5., Di.–So. 11–18 Uhr, Lützowplatz 9

Die Arbeiten von Eckhard Etzold und Christiane Ten Hoevel haben eine Drehung zuviel. Es sind Bilder von Bildern von Bildern, die doch das eine sagen wollen: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose – Farbe und Form. Dafür gehen die beiden in Berlin lebenden KünstlerInnen verschlungene Pfade. Christiane Ten Hoevel benutzt den Grat zwischen Innenarchitektur, Design und Minimal art, um ihre Zeichnungen und Modelle an der Grenze zur industriellen Produktion anzusiedeln. Ihre Verwirklichung, so Ten Hoevel, „realisiert sich im Geiste des Betrachters / ist durch mich realisiert worden / kann durch den Erwerb der Produktionsrechte bei mir in Auftrag gegeben werden“. Wer möchte, bekommt dann eine katzenkratzbaumhohe Wendeltreppe gebaut, die die Farbfeldlehre eines Josef Albers durchläuft. Schon schick. Auf der anderen Seite richten sich die Arbeiten sehr wohl nach der Wirklichkeit, denn Ten Hoevel baut analytisch. So schlingen sich zwei Taue in Weiß und Blau reduziert um einen grünlackierten Quader und könnten doch die Spitze eines Schiffsmastes sein.

Eckard Etzold nimmt seine Motive aus dem Naturkundemuseum, wo die ausgestopften Tiere in Glasvitrinen arg verfremdet als Abbild erscheinen. Diese Stellvertreter werden fotografiert und per Diaprojektion erneut übertragen. Am Ende des Prozesses steht man glasig transparenten Bildern von Spatzen gegenüber, die poppig von Punkten durchlöchert sind; oder man wundert sich über jenen Vogel an der Außenwand eines sorgsam laubgesägten Holzverhaus, durch den einzeln aufgetragenene Acrylschichten schimmern, als hätte er Schmetterlingsflügel. Dann ist der Naturalismus zwar nahe, die Malerei jedoch bleibt auf sich bezogen und fremd.

Bis 18.5., Di.–Fr. 15–19, Sa. 12–15 Uhr, Galerie Acud, Veteranenstraße 21

Auch an den Bildern von Gary Hume ist ständig etwas irritierend. Auf einem seiner fünf „garden paintings“ in der Galerie Gebauer & Thumm verschwindet der Daumen einer Hand abrupt im Gras. Fast scheint es, als hätte sich die lindgrüne Lackfläche ins (zudem graue, verwischte) Fleisch geschoben. Es könnte an der Perspektive liegen, die der 34jährige britische Maler gewählt hat, am extrem spitzwinklig gewählten Bildausschnitt. Doch da schweben noch zwei Münder wie Lilienblätter in der Wiese: Hume zeigt keine Landschaft sondern Körper beim Liebesakt, die sich ineinander verkeilt haben. Das aber bleibt angedeutet und von monochromen Flächen überdeckt. Die Wahrnehmung, auf die Etzold sich beruft, ist bei Hume nicht ohne Psychologie zu haben, manche der Bilder erinnern an Rorschachtests und zeigen dann doch statt der vermeintlichen Umrisse von schlanken Gesichtern nur überdeutlich konturierte Füße. In jedem Fall ist die ihnen zugrunde gelegte Gegenständlichkeit durch extrem komplementär wirkende Farben verzerrt und mit Abstraktion getarnt. Wer will, mag in den schwarzen und roten Haushaltlacken auf einem anderen Gemälde die Untiefen eines Schlundes sehen. In der Wirklichkeit, die Hume meint, ist es eine Madonna.

Bis 1.6., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr, Torstr. 220 Harald Fricke

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