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„Wenn Rom nicht will, kracht's“

Seit den letzten Wahlen bildet Mailand, die Basis von Lega-Nord-Chef Bossi, nicht länger die Speerspitze der norditalienischen Sezessionisten  ■ Aus Mantua Werner Raith

So ganz heraus mit seinem Bekenntnis getraut sich Roberto doch noch nicht: „Kannst mich zitieren, aber ohne meinen Namen und den meiner Bar“, sagt er, „man weiß ja heute nie, ob die aus Rom schon ihre Schlapphüte bei uns plaziert haben.“ Ansonsten sieht der Sechzigjährige aber schon „mit mächtigem Stolz, daß wir endlich wieder Hauptstadt werden“; er sagt es mit der absoluten Gewißheit derer, die sich Freudigeres seit Jahrzehnten nicht mehr erhofft haben. Aber nun soll in seinem Mantua, in der norditalienischen Poebene gelegen, „ein wirkliches, echtes Parlament entstehen, mit einer echten Landesregierung und vielleicht sogar auch mal eigener Währung“. Roberto hebt ab, allerdings vorläufig noch eher mit gedämpfter Stimme und hinter vorgehaltener Hand: „Und wenn die in Rom nicht wollen, kracht's eben, Bomben bauen können auch wir.“

Böse Ankündigungen? Nicht nur in Mantua, auch in anderen Hochburgen des norditalienischen Wahlsiegers „Lega Nord“, in der Lombardei, im Veneto und sogar im zurückhaltenden Piemont sehen die Menschen den Einsatz von Gewalt bei der Frage der Abspaltung von Rom nicht mehr als Tabu an. Zu Gast in Robertos Bar sind ein Dutzend Aktivisten der Sezessionsbewegung aus der Umgebung. „Wenn die uns zwingen, fliegen die Fetzen“, droht auch der 35jährige Giancarlo, ein Automechaniker, der für seinen Wahlkreiskandidaten nach eigener Aussage „mehr als tausend Stimmen“ hinzugewonnen hat „mit dem einfachen Slogan ,Was wir schaffen, gehört uns‘: Jahrzehntelang haben wir unsere Steuern nach Rom abgegeben, und die Schweine dort haben sie zum Stimmenkauf bei der Mafia verwendet.“ So einfach ist das für ihn. Die von den neuen Regierungsparteien eingeforderte Solidarität des reicheren Nordens mit dem armen Süden sieht er „als hundertprozentigen Rückfall in den Klientelismus der alten Christdemokraten“ an.

Sandro, 48 Jahre alt und Steuerberater aus dem im äußersten Nordosten gelegenen Belluno, will zwar „nichts von Molotowcocktails wissen“, doch eine breite Bewegung der Steuerverweigerung könnte er sich schon vorstellen. Die 29jährige Ivana aus Treviso, wegen ihres leidenschaftlichen Redetemperaments auch la pasionara genannt, kann sich sogar „an den Fingern ausrechnen, wie lange die Leute in der Poebene sich noch hinhalten lassen – nämlich gar nicht mehr“.

Der Spruch gilt dabei freilich nicht nur dem bösen Rom weit unten im Süden, sondern auch einem, der derzeit so ganz oben zu schwimmen scheint – Umberto Bossi, Chef der Lega Nord und mit seinen ausschließlich im Norden gewonnenen knapp elf Prozent stärker als der „Königsmacher“ der neuen Regierungskoalition, die Rifondazione Comunista mit ihren achteinhalb Prozent. Doch Bossi hat derzeit gleich zwei Handicaps zu bewältigen: Bei den Parlamentswahlen am 21. April ging nicht mehr die von ihm gegründete Ursprungsbewegung „Lega lombarda“ aus Mailand und Umgebung als wählerträchtigster Regionalverband hervor, sondern der Veneto mit über 30 Prozent; und selbst Friaul-Venezia Giulia kam mit 24,2 Prozent noch an die 24,4 Punkte der Lombarden heran.

„Wir haben nicht nur denen in Rom, sondern auch den übermütigen Mailändern gezeigt, wer hier das Sagen hat“, triumphiert la pasionara. Und dazu ist der Nordosten Italiens auch noch die reichste Region Italiens (ja, wie die EU ausgerechnet hat, sogar ganz Europas), während die Lombardei, ausgepreßt durch die Korruptionskünstler der einst führenden Sozialistischen Partei, allenfalls noch Durchschnitt darstellt und um Spenden betteln muß.

Das zweite Handicap Bossis wird derzeit noch eher leise vorgebracht: War Bossi mit der damals vorwiegend Mailand-bestimmten Lega Nord nicht schon mal acht Monate an der Regierung, im Verbund mit Berlusconi und den Neofaschisten? „Ecco“, brummeln die Aktivisten, „doch was hat er in Sachen Nord-Autonomie zustande gebracht? Gar nichts!“ Obwohl der dafür zuständige Minister aus der Lega kam, gab es beim Sturz Berlusconis noch nicht einmal einen Gesetzentwurf für einen auch nur moderaten Föderalismus.

So ganz traut dem massimo lider (wie der wortgewaltige Lega-Chef nach dem kubanischen Staatschef Fidel Castro benannt wird) derzeit in seiner eigenen Bewegung keiner mehr. Das veranlaßt Bossi zu immer neuen, radikaleren Sprüchen, um Ansehen zurückzugewinnen. Die Regierung in Rom ist ihm „scheißegal“, die dortige Volksvertretung ist für ihn nur noch ein „Unterparlament“, das eigentliche ist hier in Mantua und gilt für die „Repubblica padana“, die Republik der Poebene. Doch auch da wird er wohl noch etwas umdenken müssen: Die Veneter ebenso wie die Piemontesen wollen die „Monopolisierung der Bewegung durch die Poanrainer erst mal in Frage stellen“, wie Ivana vorsorglich schon ankündigt, während sie das Dutzend Militanter mit schnellem Schritt zum Treffpunkt gleich hinter der „Rotonda“ am großen Marktplatz von Mantua führt. Hier wollen sie mit einigen Gleichgesinnten drei Mitglieder des Po-Parlaments auf eine genaue Festlegung Bossis einschwören.

Doch die Parlamentarier lassen sich nicht sehen – lediglich ein Sekretär findet sich ein und möchte wortreich die „leider unabdingbaren anderen Termine der Abgeordneten“ erklären.

Ratlosigkeit, die auch nach drei oder vier Espressi corretti – starker Kaffee mit Grappa – bei den Männern und zwei Cappuccini weiblicherseits nicht abnimmt. „Verschaukeln die uns?“ überlegt Roberto und bereut offenbar bereits, seine Bar allein gelassen zu haben. Zur Stimmung trägt auch nicht sonderlich bei, daß man sich gemeinsam an einem alten Feind reiben kann: In der eben angekommenen Nummer des L'Espresso hat Chefquerdenker Giorgio Bocca der Lega-Bewegung, der er einst „als Ausdruck eines ernstzunehmenden Unmuts“ eher nahestand, eine scharfe Abfuhr erteilt und dabei eine Rechnung aufgemacht, die den Legisten gar nicht paßt: „Die Sache ist ziemlich einfach: Die Lega hat, selbst wenn man sie alleine auf ihre Bastion Oberitalien bezieht, an die 25 Prozent erhalten. Das heißt aber doch, daß umgekehrt 75 Prozent mit dem sezessionistischen Geschrei nicht einverstanden sind. Und nehmen wir jene Gemeinden, wo die Lega tatsächlich an die absolute Mehrheit herankommt, so hätten wir bei einem Abspalter-Referendum gerade mal ein halbes Dutzend Städte, Kleinstädte meist, die dann ,unabhängig von Rom‘ sein möchten.“

„Schweinehund“, knurrt Roberto. Er hat erkannt, daß die Breitseite Boccas gegen die neue „Lega“-Losung einer „Spaltung nach Art der Tschechoslowakei“ geht, wie Bossi sie propagiert. „Was bildet der sich eigentlich ein, wer er ist? Und dabei kommt er auch noch aus Mailand.“ Giancarlo schüttelt den Kopf: „Laß ihn, der ist bald 75, außerdem ist er einer aus der Resistenza“. Das sagt wohl alles: Die „Resistenza“, der Widerstand gegen die deutschen Besetzer (und weniger gegen das Mussolini-Regime) gilt bis heute als umfassende Klammer für das republikanische, einige Nachkriegsitalien.

Die Gruppe beschließt, einen Brief zu schreiben, der an Bossi und zur Kenntnisnahme an alle Abgeordneten des Po-Parlaments sowie alle Abgeordneten und Senatoren in Rom gesandt werden soll: Einleitung eines Referendums zur „Aufkündigung des Staatsverbandes“, „und zwar sofort“, wie Ivana fordert. „Die werden sehen, daß auch in Gemeinden, die bei den Wahlen noch für den rechten Pol der Freiheiten oder die linke Olivenbaumallianz gestimmt haben, im Zweifelsfall für ein unabhängiges, freies Padanien sind, das aber eindeutig in Europa bleibt und“ – Stolz kommt hoch – „wahrscheinlich als einziger Staat die Kriterien von Maastricht erfüllen wird.“

Der Abend ist mit Formulierungskünsten für den Brief in Beschlag genommen. Daß „selbst unter uns zwölfen kein Konsens herzustellen ist, wie weit wir gehen wollen“, bringt Roberto bereits wieder zu unguten Vermutungen: „Haben wir etwa einen Maulwurf unter uns?“ Stimmungshebend wirkt allerdings, daß die Fernsehnachrichten von einer neuen Attacke von Neokommunistenchef Fausto Bertinotti – auf dessen Rifondazione Comunista die neue Regierung existentiell angewiesen ist – gegen das Programm des neuen Ministerpräsidenten Romano Prodi berichtet. „Diese Regierung hält kein halbes Jahr“, prophezeit Steuerberater Sandro, „dann brauchen sie neue Partner: uns. Und uns kriegen sie nur, wenn sie uns den Föderalismus geben, hier und sofort.

Dann blickt er entsetzt in die Runde: Hat er tatsächlich „Föderalismus“ gesagt? Er hat. Doch dieses Wort ist seit der Wahlnacht bei den Nord-Leuten der Lega zum Scherzartikel geworden, und Bossi hatte damit sogar sein übliches Wortspiel getrieben, indem er den Begriff federalismo, also Föderalismus, von federale abgeleitet hat, was in der Zeit des Faschismus etwa für Parteibonze stand: Il federalismo ai federali“, hat er gerufen, „a noi la secessione“: Der Föderalismus taugt nur noch für die Faschobonzen, wir wollen die Sezession.

Sandro duckt sich unter den Blicken. „Na, na“, brummelt er, „wir sollten schon ein bißchen aufpassen, daß uns die Bewegung nicht außer Kontrolle gerät.“ Da aber hat er die Rechnung ganz und gar ohne die pasionara gemacht: „Genau das soll sie doch, du Dämel. Wir müssen gerade darauf hinarbeiten, daß die ständige Kontrolle unserer Bewegung aufhört, Kontrolle durch die anderen Parteien, durch Taktierer wie Bossi, durch die Geheimdienste und durchs Ausland.“ Sandro schweigt. Der Eindruck mag zutreffend sein, daß er, der Mitgründer der Lega- Bewegung, sich erstmals überlegt, wofür er bei einem eventuellen Referendum über die Loslösung tatsächlich stimmen soll.

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