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Der Prozeß des Punkt Punkt Punkt

Nervössexyengbehost und kontrolliert-dilettantisch: Christoph Schlingensiefs „Rocky Dutschke“ in der Berliner Volksbühne. Befreites Theater für mündige Mitbürger – aber bitte bloß keinen Zusammenhang herstellen!  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Demo vor der Volksbühne am Radio-Luxemburg-Platz. Plakate, Menschen, Protestgeschrei. Die erniedrigte und beleidigte Studentenschaft hat endlich den Weg in die Kulturtempel gefunden, denkt man. Ist aber nur Kunst, und besonders fies sehen die Theaterpolizisten auch nicht aus, die den vom Regisseur angeführten Zug zur benachbarten PDS-Zentrale begleiten. Da hängt ein Transparent: „Fürchtet Euch nicht.“ Leicht verletzte sich der PDS-Pförtner im Theaterdemogetümmel. Dann ging's wieder in die geschützten Kulturreservate.

Im Foyer bekommt das Premierenpublikum graue Probenfotos mit revolutionär-pathetischen Satzgefügen: „Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung mehr; wir gehören ihr nur in dem Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen“, oder: „Es gibt keine Utopie mehr, es gibt keine Bedeutung mehr, nur noch dieses Vakuum, dieser leere Raum ist da. Man weiß nicht, wohin man sich bewegt in diesem leeren Raum, wie man sich bewegen soll. Also spielt man.“ (Knobelanten konnten raten, vom wem die Zitate sind).

Im Rundgang vor dem Theatersaal campieren Nackte – die Kommune 2. Die Frauen haben ihre Höschen anbehalten, warum auch immer. Besucher kriegen Stempel: „Einreise“. Es geht ja auch um den Osten, denn der Rudi kam ja aus Luckenwalde.

In Luckenwalde sind die Provinzler: blöde Gymnasiasten, die erfolglos darum bemüht sind, ihr Gymnasium nach Dutschke zu benennen und eine Dutschkeausstellung machten, weil man sich in Luckenwalde Dutschkes „nicht schämen“ solle, blöde Peinsacklehrer, die das Vorhaben der Schüler unterstützen, weil Rudi auch für die Vereinigung war.

Die Volksbühne ist Luckenwalde. Zwischen den Zuschauern steht ein Feldzelt: Da klagt die Nachkriegsmutter, und der Sohn Rudi (Sophie Rois) geht statt zur NVA in den Westen und rennt ansonsten bauchnabelfrei und tablettensüchtig, nervössexyengbehost mit halsfreiem Pullover durch die Gegend. „Warum erschießt mich denn keiner?!“ Ein ziemlich großartiger Schlingensief spricht häufig erklärend ins Publikum. „Es geht um den Prozeß des Punkt Punkt Punkt“, erklärt er und fragt manchmal, ob „Ulrike“, und ständig, ob „Norma“ da sei, und grüßt auch „die Kerstin“ – „Versuchen Sie keinen Zusammenhang herzustellen!“

„Es gibt keine Bedeutung mehr. Also spielt man“ – sozusagen existenz-ironisch: mit 68 und Rudi Dutschke und heute und Müller und Biermann und diesem und jenem. Recht beliebig irgendwie, denn es gibt ja keine Bedeutung mehr, und auch zornig, denn man leidet ja am Sinnverlust; und auch wieder nicht ganz beliebig. Deshalb gibt es beim Moralisten Schlingensief immer wieder KZ- oder Folterbilder, die anklagend sagen: Auch uns verwertet und tauscht man. Christoph Schlingensiefs „Rocky Dutschke“ ist eine Nummernrevue diverser Revolutionsästhetiken: Die nostalgische übernimmt der festlich gekleidete „Arbeiter- und Veteranen-Chor Neukölln“ mit melodiösen Arbeiterliedern, die wohlwollend-ironische präsentiert die Ostberliner „Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot“, die katholischen Kunstrevolten der Wiener Aktionisten werden im Film zitiert, Befreiungstheater wird parodiert – mit Schlingensief als Befreiungsregisseur.

Der gruselig akademisch-umständliche Redestil von Dutschke kommt vorbei, ab und an tritt der Regisseur vors Publikum, um das Geschehene zu rekapitulieren, die Betroffenheitskulte der frühen Achtziger melden sich: „Laß es raus!“, und eine Familie fährt alljährlich nach Bergen-Belsen: „Mein Mann sagt dann immer die Namen der sechs Millionen ermordeten Juden auf.“

Irgendwann zitiert Schlingensief auch – lustig feministisch – eine Szene aus Batailles „Geschichte des Auges“: Auf der Bühne füllen Mann und Frau eine Schale mit Milch und setzen sich mit nackten Hintern hinein. Dann geht die Frau in die erste Publikumsreihe und nestelt einem Mann die Hose auf. Der muß sich ebenfalls in die Milch setzen. Dann erwischt es den Ex-Wochenpost-Vizechef Max Thomas Mehr. Eine Kamera überträgt das Geschehen auf die Großleinwand. Es wird eine interessante Erfahrung gewesen sein und ist irgendwie sehr klasse.

Alles geschieht im Modus des Als-ob. Und dies Als-ob ist zuweilen höhnisch, wenn am Anfang Schauspielerinnen unter anderem den etwas verunsichert lächelnden Jens Reich auf die Bühne ziehen, damit er sich polonaisemäßig über den Wiedervereinigungstisch ziehen lassen kann; lustig, wenn das Publikum in der Pause eingeladen wird, mit der K 2 Sex zu machen. Im Als-ob sehnt man sich danach, daß es wirklich so sei. „Wir sind plötzlich ganz bei uns, haben wir uns überlegt.“

Eigentlich sehnt sich Schlingensief nach kollektiven Befreiungserfahrungen. Am deutlichsten wird das im Schlußbild, einem ernsthaft kitschigen Abgesang auf die Revolution: einen kleines rotes Luftballonherzchen am Band haltend steht eine pummelige Frau sehr allein auf der riesigen Bühne. Im Halbrund, kurz unter der Decke die schlicht und DDR-spießig gemalten Porträts sozialistischer Helden: Kim (Il Sung), Karl (Marx), Tamara (Bunke), ihr Weggenosse Ché (Guevara), Erich (Honecker). Dann steht Schlingensief in einem Boxring und lädt die Zuschauer ein, auf die Bühne zu kommen, Bier zu trinken. Der Applaus ist nur spärlich; gebuht hat allerdings auch keiner; Rosa von Praunheim war das alles nicht radikal genug.

Nächste Aufführungen: 21. bis 24. Mai, um 19.30 Uhr, 5. bis 9. und 18. bis 22. Juni, um 21 Uhr

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