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Alles strahlte Wohlstand aus

Gestern ging in Berlin das 33. Theatertreffen zu Ende. Wen oder was repräsentierte das Programm, in dem auch viele Arbeiten von Jüngeren gezeigt wurden? Trafen Interesse und Wohlwollen aufeinander? Und wohin führt das ganze?  ■ Von Petra Kohse

Repräsentativ oder nicht repräsentativ? Im Theatertreffen-Programmheft schreibt Sigrid Löffler als Jurymitglied einleitend: „Denn mit den ausgewählten zehn Inszenierungen aus dem ganzen deutschsprachigen Sprachraum wird zugleich der Anspruch erhoben, die heutige Theater-Ästhetik in einer repräsentativen Auswahl vorzuführen...“ In einem Beitrag, den sie gestern in der Berliner Zeitung veröffentlichte, heißt es indes leicht vorwurfsvoll, das Gezeigte sei „als Tableau gedacht – als Momentaufnahme bemerkenswerter heutiger Theater-Arbeit. Aber einmal eingeladen wird die Auswahl sofort als repräsentativ für heutige Theater-Ästhetik verstanden.“ Das kennt man. Am Ende will's keiner gewesen sein.

Doch so oder so – wer nicht selbst landauf und landab gereist ist, muß einfach den Teil fürs Ganze nehmen, den neben Löffler auch Gerhard Jörder, Dieter Kranz, Michael Merschmeier und Andres Müry „besonders bemerkenswert“ finden. Und das noch zwei Jahre lang, denn bis dahin werden die fünf Kritiker nach dem modifizierten Auswahlmodell mindestens amtieren.

Neben der verkleinerten und temporär zementierten Jury hat sich wenig geändert. Doch die Kooperation mit dem Sender 3sat hat dem Treffen finanziell zu neuen Kräften verholfen, und alles strahlte Wohlstand aus: Es gab wieder einen Stückemarkt, auf dem Platz vor dem Deutschen Theater stand einladend das traditionelle Spiegelzelt, und Festivalleiter Torsten Maß trug einen grauen Anzug statt des hell-leinenen vom letzten Jahr. Auch die Regisseure und die eine Regisseurin waren dem Ambiente optisch gewachsen. Propere, gefällige Gestalten, die mehr oder minder properes Theater machten. Nur Frank Castorf hatte fettige Haare. Und Peter Zadek sah mit einem im Fischgrätmuster gewebten Wollschal irgendwie erkältet aus. Aber der ist vorgestern ja auch schon 70 geworden.

Ein richtiger Tiefpunkt war nur Ibsens „Baumeister Solneß“, von Gerhard Willert in Mannheim altbacken exerimentell in Szene gesetzt. Das wirkte in Berlin aber schon wieder so schlecht, daß man sich gar nicht ärgern konnte, sondern staunte, wie die Darsteller, von elektronischem Geblubber begleitet, unmotiviert über die Bühne ruckten und zuckten.

Auch Heiner Müllers Litfaßsäulen-Inszenierung von Brechts „Arturo Ui“ ist eigentlich nicht „bemerkenswert“. Aber hier entschädigt immerhin Martin Wuttke in der Titelrolle. Er nimmt den Aufstieg des Underdogs Ui wörtlich, hechelt auf allen Vieren, streicht den Leuten um die Beine und windet sich an ihnen dann immer höher empor, bis er schließlich die Kehlen erreicht. Und noch beim Zubeißen duckt er sich selbst aus Angst vor Schlägen. Der Diktator als instinktgeleitetes Opfer und doch keineswegs verharmlost. Eine virtuose Sololeistung.

Überhaupt war an Virtuosität kein Mangel. Aus Düsseldorf etwa Shakespeares „Sommernachtstraum“. Multinational, mixed languages, Regie: Karin Beier. Komödiantisch und bilderreich, aber auch merkwürdig leer. Keineswegs wird die partielle Unverständlichkeit durch die verschiedenen Ausprägungen einer globalen Theatersprache hinreichend kompensiert. Die schwungvoll gepusselten Szenen fallen vielmehr auseinander, da ihnen der Boden fehlt, die Nachtseite dieses tückischen Dramas um Lust und Gewalt.

Und Christoph Marthalers „Stunde Null oder Die Kunst des Servierens“ vom Hamburger Schauspielhaus ist zwar ein echter Marthaler, als Stück über die nachkriegsdeutsche Restauration aber recht kurz gegriffen. Keiner kann wie er das Spießertum mit Flügeln versehen und es jubilierend zum Chor versammeln. Mit zuviel Slapstick nuanciert er hier jedoch immer nur das gleiche Klischee vom Adenauerdeutschen.

Zur Generation Wir-um-die- Dreißig, auf der das spezielle Augenmerk der Jury gelegen hat, gehören neben Karin Beier auch Elmar Goerden, Sven-Eric Bechtolf und Stefan Bachmann. Der ehemalige Schaubühnen-Assistent Goerden hat in Stuttgart „Blunt oder der Gast“ inszeniert, ein dräuendes Stück des Goethe-Zeitgenossen Karl Philipp Moritz. In intimster Räumlichkeit versenkte sich Goerden in einen psychologischen Realismus, der von magischen Momenten durchzuckt wird, in seiner ungebrochenen Freudlosigkeit aber auch etwas ungemein Spießiges hat. Wenn dies um sich greifen sollte, wäre die jüngere Regiegeneration durchaus ein Fall für den Kollegen Marthaler.

Allerdings ist die Goethe-Inszenierung, die Stefan Bachmann und sein Dramaturg Lars-Ole Walburg (beide gehören in Berlin zum Kern der freien Gruppe Theater Affekt) am Zürcher Theater Neumarkt entworfen haben, schon wesentlich erfreulicher. Die „Wahlverwandtschaften“ als Bühnenstück. Die Last der Ehe und die noch größere Last des Ehebruchs, nicht distanzierend und doch souverän ins Neuzeitliche übersetzt. Ein Regisseur mit einer formalen Vision, mit Gespür für exakte Arrangements und moderate Stilbrüche. Unterhaltsam handlungstreibend, nicht gründelnd. Aber letztlich auch verdächtig ungefährlich.

Sven-Eric Bechtolf, ein Schauspieler als Regisseur, nimmt sich ebenfalls eines alten Stoffes an. Keineswegs unbegabt. Aber er tändelt beim „Streit“ von Marivaux allzulange selbstverliebt herum. Je zwei in Abgeschiedenheit erzogene Jungen und Mädchen, die zusammengeführt werden, damit ein bourgeoises Paar sieht, ob im Manne oder im Weibe die Hinterlist ursprünglich wohnt. Das unschuldige Kreischen und Zappeln dauert fast zwei Stunden in dieser Inszenierung, die vom Thalia Theater Hamburg kommt. Der Schluß aber gehört zu den beiden Szenen dieses Treffens, die einen aus dem unbeteiligt freundlichen Zuschauen heraus und nach vorne an die Sesselkante rissen.

Ein Schluß, wie er nicht im Buche steht (Dramaturgie: Niklaus Helbling): Die als Experimentiermasse gehaltenen Jugendlichen tun sich zusammen und bringen das Bourgeois-Pärchen um. Im Halbdunkel zeigt Bechtolf das, und ganz zart. Leise singend drängen sie sich aneinander, um geradezu reflexhaft die Alten immer wieder zu bedrängen. Fast ungläubig erproben sie ihre vereinte Kraft, und keine Triumphgeste trübt ihren Erfolg. Eine gleichsam triebgesteuerte Revolution, deren Entwurf einen doch wieder ganz neugierig in die Zukunft blicken läßt.

Von einem gesellschaftlichen Bruch handelt auch die zweite wichtige Szene des Treffens. Sie findet sich in Peter Zadeks Wiener Inszenierung von Tschechows „Kirschgarten“. Josef Bierbichler als Aufsteiger Lopachin, der das Gut ersteigert, auf dem sein Großvater noch Leibeigener war. Wie Bierbichler nach der Auktion in die Feier platzt, die die haltlos exaltierte und von ihm verehrte Gutsherrin (Angela Winkler) um sich herum als Schwanengesang intoniert hat! Schwindelig vom Cognac und von seinem Coup bittet er die Versteinerte einerseits um Vergebung und reißt andererseits stampfend jubelnd die vorhandenen Kinder an sich (Zukunft!). Die vulgäre Vitalität des Geldes und die marode Schönheit der Dekadenz. Beiden läßt Zadek ihre Würde, ihr Recht, ihre Stärke und Schwäche. Eine wirkliche Tragödie.

Politische Momente waren es bezeichnenderweise, die aus niveauvollem Trallala jeweils minutenlang Theater machten, das alle anderen Medien an Eindringlichkeit spielend hinter sich läßt. Gerade so, als fände man nur dann etwas, was man im vergangenen Jahr vielleicht noch nicht einmal suchte.

Auffallend auch, daß Arthur Millers „Der große Knall“, ein Stück über die gesellschaftlichen Auswirkungen der US-Wirtschaftskrise in den 20er Jahren, dessen magisch angehauchten Realismus David Mouchtar- Samorai in Bonn kunstlos schlicht arrangierte, fast interessanter wirkte als Frank Castorfs intelligenter und zutreffend despektierlicher „Puntila“ von Brecht am Hamburger Schauspielhaus.

An restaurativ verfeinerter oder etablierter Provokationsästhetik war insgesamt kein Mangel bei diesem Theatertreffen. Einen Nerv aber traf bloß, was dabei deutlich über das Individuelle hinauswies.

Übrigens gab es noch einen Juror, der es am Ende nicht gewesen sein wollte. Bei der Schlußdiskussion bescheinigte Michael Merschmeier den diesjährigen Besuchern „interesseloses Wohlgefallen“. Zu Recht, denn höflich-leidenschaftslose bis mäßig-begeisterte Anteilnahme war den Aufführungen gewiß, Fragen gab es keine. Kann man das zum Vorwurf machen? Blickte sie nicht das gleiche interesselose Wohlgefallen von der Bühne herab an? So läßt sich immerhin sagen, daß sie sich weitgehend gegenseitig repräsentierten, das Theater und sein Publikum. Lächelnd flanierten sie schweigend durch die Dramengeschichte. Und wenn nicht eben doch zweimal ein Wort gefallen wäre, hätten sie sich sicher irgendwann gemeinsam am Horizont verloren.

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