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■ Südafrika kann weder politisch noch wirtschaftlich auf dem afrikanischen Kontinent die Führungsrolle übernehmenDer südafrikanische Mythos

In der öffentlichen Meinung hier und andernorts gilt Südafrika als ein fast entwickeltes Land. Verglichen mit den zusammenbrechenden Volkswirtschaften in Afrika mag diese Annahme plausibel sein. Doch dieses Image fußt vor allem auf Mythen, Gerüchten und verzerrten Wahrnehmungen. Während dieses Jahrhunderts sind afrikanische Studenten, Geschäftsleute, Arbeitslose und Sportler nach Südafrika gereist. Dort fanden sie, so heißt es, ein angenehmes städtisches Leben, eine offene Haltung gegenüber Technik und Lebensbedingungen, in denen sich der einzelne ungehindert entfalten kann.

Nachdem ich jetzt drei Monate in Johannesburg lebe, frage ich mich oft, warum dieses Land ist, was es ist: ein bürokratischer Alptraum, eine Nation mit befremdlichen Ansichten, ein Land mit riesigen Kontrasten und Überraschungen. Der durchschnittliche Südafrikaner erwartet viel von der eigenen Regierung, und weil er ahnt, daß er zuviel erwartet, fürchtet er die schwarzen Immigranten. Schwarze aus dem Rest des Kontinents, die hier legal oder illegal leben, werden generell, auch von Politikern, als Gefahr wahrgenommen: als bedrohliches Heer hungriger Wirtschaftflüchlinge.

Die Geschichte und vor allem die Ereignisse der letzten beiden Jahre haben Südafrika in ein Kuriositätenkabinett verwandelt, das von einer Erste-Welt-Fassade überdeckt wird. Darunter verbirgt sich ein Entwicklungsland, das mit Hunger, Krankheiten, Unwissenheit und massiven Ungleichheiten kämpft.

Jenen, die andernorts in Afrika gelebt haben, erscheint dieses Land wie das empfindliche Ei eines seltenen Vogels, das jedermann ausbrüten möchte. Sobald irgendein Verrückter in der Nähe des Eies auftaucht, wird die ganze Gesellschaft unruhig. Das hat mit der südafrikanischen Politik und Wirtschaft der vergangenen beiden Jahre zu tun. Aus unterwürfigen und zerstreuten Stämmen eine Nation zu bilden, war eine für alle postkolonialen Regierungen in Afrika ungemein heikle Aufgabe. Doch wie Südafrika dieses Problem handhabt, versetzt politische Kommentatoren wie Dorfbewohner in Erstaunen.

Für jede andere afrikanische Regierung wäre es undenkbar zu erwägen, die Kosten in Prozessen gegen politisch motivierte Verbrecher zu tragen. Die gegenwärtigen Mordprozesse gegen Ex-Verteidigungsminister Magnus Malan und den Ex-Sicherheitspolizisten Eugene de Kock sind Beispiele dafür. Und wie stünde es mit einer afrikanischen Regierung, die erst die Gerichte benutzen muß, um einer Gruppe von schwarzen Schülern Zugang zu einer staatlichen Schule zu verschaffen? (So geschehen im Februar, nachdem schwarzen Schülern der Zugang zu einer weißen, staatlichen Schule verwehrt worden war/A.d.R.) Südafrika hat zudem eine der höchsten Kriminalitätsraten auf der Welt, zugleich ist es eines der Länder mit der geringsten Polizeidichte. Kaum jemals wird man einen Polizisten auf Streife sehen, schon gar nicht in Gegenden mit hoher Kriminalität. Die südafrikanische Polizei ist offensichtlich unfähig, ihren Job zu machen.

Zwei Jahre nach Einführung der Demokratie zählt der Rand zu den anfälligsten Währungen weltweit. Dessen flatterhaftes Verhalten sagt noch mehr über die Zerbrechlichkeit des südafrikanischen Eies aus. Während der letzten drei Monate ist sein Wert um 20 Prozent gesunken. Südafrikas Wirtschaft reagiert heute heftig auf die leisesten Gerüchte von Instabilität im Land. Obwohl der Rand, wie einige Ökonomen sagen, zuvor überbewertet war, wird sein Fall in Südafrika als ein politisches Problem wahrgenommen.

Die Südafrikaner glauben, daß sie vom Rest des Kontinents nichts lernen können. Mehr noch: Wirtschaft, Regierung und Medien betrachten Afrika als schlechte Nachricht, als etwas, von dem nur Unerfreuliches zu erwarten ist und das man besser auf Distanz hält. Das erklärt, warum die Südafrikaner die Ereignisse in Europa viel aufmerksamer beobachten als das, was vor ihrer Haustür vorgeht. Kein Wunder, daß Ereignisse wie der Rinderwahnsinn hier viel stärker wahrgenommen werden als sonst irgendwo in Afrika.

Südafrika ist voller Widersprüche, und die neue Demokratie ist in einen Kampf verwickelt, der aus dem Zusammenstoß verschiedener Kulturen rührt. Ohne durch eine klare nationale Identität verbunden zu sein, existieren nebeneinander die verschiedensten Zukunftsvorstellungen. Schwarze Südafrikaner reden vom „black empowerment“. Eine Mehrheit, die von einer Minderheit befähigt werden will? Sie sagen, Sowetan, New Nation und City Press seien schwarze Zeitungen. Was an ihnen schwarz sein soll, ist kaum auszumachen. Sie beschäftigen sich mit den gleichen Themen wie andere Medienkonzerne. Dann gibt es auch noch schwarze Kinos und schwarze Literatur. Doch auch hier findet sich nichts spezifisch Schwarzes.

Mit aller angebrachten Fairneß: Südafrika wird noch viel Zeit brauchen, die Dinge so zu sehen wie sie sind – ohne Etikettierung nach der Hautfarbe. In Ländern, in denen diese Etikette häufig verwandt wird, sind Schwarze eine Minderheit. Hier ist es genau andersherum.

Oft wird Südafrika als Retter des Kontinents angesehen, doch es muß eine Menge passieren, damit die Rückständigkeit dieser Gesellschaft überwunden wird. Diese Rückständigkeit, die aus dem Mangel an nationaler Identität rührt, wird zudem noch durch die riesigen Ungleichheiten in Ausbildung und Einkommen verschlimmert. Hinzu kommen die aufgeblasene Regierungsbürokratie und die allgemeine Ineffektivität im öffentlichen Dienst. Zudem fehlen Wohnungen, die Kriminalität, die eine direkte Folge der Armut ist, ist frappierend. Südafrika könnte daher durchaus einiges von anderen afrikanischen Länder lernen. Der allgemeine politische und wirtschaftliche Niedergang auf dem Kontinent rührt in erster Linie aus der Unfähigkeit der Regierungen, sich mit diesen zentralen Themen – soziale Ungerechtigkeit, Bürokratie, Armut, Kriminalität – zu befassen. Südafrika könnte solche Fehler vermeiden. Wenigstens gehen Politiker hier freiwillig aus dem Amt. Anderswo in Afrika muß man sie dazu zwingen.

Auf der anderen Seite erwartet der afrikanische Kontinent entschieden zuviel von Südafrika. Andere Zivilgesellschaften, die derzeit in Afrika entstehen, hoffen auf Hilfe aus Pretoria, um ihre eigenen Probleme zu lösen. Dabei übersehen sie, daß Südafrika nicht geben kann, was es nicht hat. Der Fall eines nackten Mannes, der einem Freund sein Hemd anbietet? Die südafrikanische Gesellschaft ist noch so fragil und desorganisiert, daß man von ihr nicht erwarten kann, ein Transformationsprojekt zu verwirklichen, das das Gesicht des ganzen Kontinents verändert. Mit nur 12 Milliarden Rand (rund 4,2 Milliarden Mark) in Reserve fehlt dem Land schlicht die Kapazität, die ökonomische und politische Führungsrolle in einem Kontinent zu übernehmen, der so schwierig ist wie Afrika. William Bango

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