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Gipfelstürmer

■ betr.: „Die Stunde der Vereinfa cher“, taz vom 9.5. 96

Wenn man einen Gipfel besteigt, dann möchte man bekanntlich die schöne Aussicht genießen. Doch auch der Sozialgipfel der Gewerkschaften und Verbände konnte nichts daran ändern, daß die Aussichten für Familien, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Rentner derzeit alles andere als rosig sind.

Denn das Sparprogramm der Bundesregierung droht – sollten tatsächlich keine Änderungen vorgenommen werden – die gesellschaftliche Schieflage in Deutschland noch zu verstärken. Während zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin ihren relativen Reichtum genießen dürfen, muß das arme letzte Drittel den Gürtel in Zukunft noch enger schnallen.

Die Notwendigkeit von Etatkürzungen liegt zwar angesichts von Haushaltsmisere und Konjunkturflaute klar auf der Hand, doch mit welcher Kurzsichtigkeit die politisch Verantwortlichen wieder einmal am völlig falschen Ende sparen, spottet jedes Kommentars. Auf der einen Seite wird immer wieder gewarnt, der Generationenvertrag könne nicht mehr eingehalten werden, da zu wenige Kinder geboren würden, doch auf der anderen Seite unterläßt man die dringend notwendige Reform des Steuerrechts, obwohl es selbst hochrangige Experten als familienfeindlich und konjunkturhemmend bemängeln, und verschiebt statt dessen die Kindergelderhöhung.

Um die ungerechte Verteilung der finanziellen Opfer noch abzuwenden, sind nun weder Schnellschüsse noch Worthülsen, sondern ein konstruktiver Dialog vonnöten, bevor das Sparpaket endgültig verabschiedet wird. Doch der Erfolg des Widerstandes wird sich vor allem daran messen lassen, inwieweit ein Konsens unter den Protestierenden gefunden wird, ebenso wie zwischen Bundesregierung und Arbeitgebern Einigung zu bestehen scheint. Die versäumte Einladung an Vertreter der Arbeitslosenverbände beim Sozialgipfel war ein Schritt in die falsche Richtung. Der Protest darf ausgerechnet jetzt, da sich die vielleicht letzte Chance zur Mitgestaltung bietet, nicht zerfleddern. Wolfgang Lütjens,

Pressesprecher der Deutschen

Hilfe für Kinder von

Arbeitslosen e.V., Hamburg

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