: Die Schlichter sollen's nun richten
■ Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst erneut gescheitert. Warnstreiks nach „provokativem“ Arbeitgeberangebot
Stuttgart (AP/taz) – Ein solches Angebot ließ die ÖTV-GewerkschafterInnen nur noch empört pfeifen: Nicht mal ein Prozent mehr Lohn, aber zwei freie Tage weniger im Jahr und ein Sonderkündigungsrecht für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dieses Angebot legten die Arbeitgeber aus Bund, Ländern und Gemeinden gestern morgen vor. Sechs Stunden später waren die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gescheitert. Jetzt muß ein Schlichter für Einigung sorgen.
Das Angebot der Arbeitgeber sei „unannehmbar und provokativ“, erklärte ÖTV-Chef Herbert Mai. Nach der Offerte sollte der Tarifvertrag eine Laufzeit von 20 Monaten bis Ende 1997 haben. Für die ersten zwölf Monate schlugen die Arbeitgeber eine Einkommenserhöhung von 0,5 Prozent vor, für die restlichen acht Monate sollten die Einkommen um ein Prozent steigen. Die Einkommenserhöhungen müßten durch „Ersparnisse an anderer Stelle ausgeglichen“ werden, so begründete Innenminister Manfred Kanther (CDU) seine weiteren Forderungen: Das Weihnachtsgeld sollte eingefroren, zwei freie Tage gestrichen werden. Nicht zuletzt sorgte die Sonderkündigungsklausel für Empörung, nach der die Arbeitgeber die Vereinbarungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall später kündigen könnten. Praktisch: Kanther wollte fünf Prozent mehr Ausbildungsplätze schaffen, dafür sollten die neuen Lehrlinge dann auf fünf Prozent der Vergütung verzichten.
Als Reaktion auf das Arbeitgeberangebot gingen gestern in Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Rheinland-Pfalz spontan mehrere zehntausend GewerkschafterInnen auf die Straße. Nach ÖTV-Angaben legten allein in NRW Zehntausende Beschäftigte vorübergehend die Arbeit nieder. In Köln und Bonn wurde erneut der öffentliche Personennahverkehr bestreikt. In Düsseldorf kamen städtische MitarbeiterInnen zu einer zentralen Protestkundgebung zusammen.
Während des jetzt folgenden bis zu vierwöchigen Schlichtungsverfahrens herrscht automatisch die sogenannte Friedenspflicht. Die Arbeitgeber, die in der diesjährigen Tarifrunde das Vorschlagsrecht haben, benannten den ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Karl- Ludwig Wagner (CDU), zum Schlichter. Der von den Gewerkschaften benannte Schlichter Hans Koschnick (SPD) hat im Schlichtungsverfahren zwar ein Mitsprache-, aber kein Entscheidungsrecht.
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