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Warum wurden Bürgschaften nicht an Investitionen geknüpft?

■ Rede von Ralf Fücks, Ex-Umweltsenator und Fraktionssprecher der Grünen

Vor nicht einmal einem Jahr schien die Zukunft des Bremer Vulkan noch glänzend. Am 29.Juni 1995 fand die letzte Jahreshauptversammlung der Bremer Vulkan Verbund AG statt. Mehr als die Hälfte des Aktienkapitals war vertreten. Aufsichtsrat und Vorstand wurden mit über 90% der abgegebenen Stimmen entlastet. Der Bericht des Vorstands und des Aufsichtsrats präsentierte „ein gut situiertes Unternehmen, das sich in der besten wirtschaftlichen Konstitution seit seiner Neuorientierung in den Jahren 1986/87 befand“ – so Ex-Vorstandschef Friedrich Hennemann gegenüber dem Landesparteitag der SPD am 27.April 1996. Gedeckt war diese Darstellung durch ausführliche Prüfberichte von zwei bundesweit anerkannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

Heute muß man vermuten, daß Vorstand und Aufsichtsrat der Öffentlichkeit ein potemkinsches Dorf präsentiert haben – die Frage ist, ob sie selbst an dieses Trugbild glaubten oder wider besseres Wissen handelten.

Ein paar Wochen später, im August 1995, tagte im Bremer Büro einer dieser Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eine Krisenrunde, an der Vertreter der Vulkan-Hausbanken und des Senats teilnahmen (Herr Nölle hat für seine Person schon versichert, er sei's nicht gewesen). Thema waren außerordentliche Liquiditätsprobleme des Konzerns. Genaueres wird der Untersuchungsausschuß in Erfahrung bringen.

Am 6. September letzten Jahres bestätigt der Bremer Vulkan, bei einem Bankenkonsortium einen 300-Mio-Kredit zur Sicherung seiner Liquidität aufgenommen zu haben. Kurz darauf spricht der Commerzbank-Vorstand und langjährige Vulkan Aufsichtsrat Klaus Müller-Gebel von einem „Problemchen“, das jetzt bereinigt sei.

Am 11. September kommt der Aufsichtsrat zu einer Sondersitzung zusammen. Der Vorstandsvorsitzende Friedrich Hennemann gerät unter Druck und bietet seinen Rücktritt an. Er soll gehen, sobald ein Nachfolger gefunden ist. Die beiden Vorstände Karl-Friedrich Triebold und Rüdiger Zinken müssen ihre Sessel sofort räumen. Für die nächsten turbulenten Monate ist der Konzern praktisch kopflos – Absicht oder Dilettantismus der Bankenvertreter, die Hennemanns Ablösung betrieben haben, ohne für sofortige Alternativen zu sorgen?

Von da an überschlagen sich die Hiobsbotschaften über horrende operative Verluste, geschönte Bilanzen und zweckentfremdete Treuhand-Gelder, die für den Aufbau Ost bestimmt waren und im „zentralen cash-management“ des Verbunds versickert sind. Am 21.Februar 1996 meldet der neue Vorstandsvorsitzende Wagner Vergleich an; am 13. März endet ein Krisengipfel der norddeutschen Ministerpräsidenten in Bremerhaven wie das Horneberger Schießen; am 11. April stimmt der Aufsichtsrat der Herauslösung der Ost-Werften aus dem Verbund zu; am 1. Mai folgt der Konkurs.

Heute, mehr als 9 Monate nach dem Ausbruch der Krise, ist die Zukunft der Vulkan-Werften in Vegesack und Bremerhaven ungewisser denn je. Mehr als 4000 Schiffbau-Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Gleichzeitig sind Senat und Bürgerschaft im Bestreben, den Zusammenbruch des Konzerns zu verhindern, seit Herbst 1995 gewaltige neue Bürgschaftsrisiken eingegangen.

Im September letzten Jahres lagen die finanziellen Garantien und Verpflichtungen des Landes gegenüber dem Vulkan bei etwa 450 Mio DM. Heute sind sie mindestens doppelt so hoch. Einem tragfähigen Schiffbaukonzept und der Sicherung von Arbeitsplätzen zumindest für die mittlere Zukunft sind wir damit aber nicht näher gekommen.

Will irgendjemand im Ernst sagen, angesichts dieser Entwicklung sei ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß zum Zusammenbruch des Bremer Vulkan herausgeworfenenes Geld und vertane Zeit? Gab es in den letzten Jahren in Bremen irgend ein anderes Ereignis, das einen vergleichbaren wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Flurschaden hinterlassen hat? Wir sind es den betroffenen Kolleginnen und Kollegen, den Bürgern dieser Stadt und nicht zuletzt uns selbst schuldig, dieses Debakel aufzuarbeiten und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen – gerade wenn man billige Schuldzuweisungen und interessierte Legendenbildungen vermeiden will.

Niemand kann den Vulkan-Konkurs zu einer reinen Angelegenheit der Wirtschaftsgeschichte erklären. Auch wenn der Vulkan kein Staatskonzern war, auch wenn die HIBEG ihr Aktienpaket in der letzten Legislaturperiode gerade noch zum richtigen Zeitpunkt verkauft hat, bevor die Kurse einbrachen – Aufstieg und Fall des Bremer Vulkan sind auf's Engste mit der tatkräftigen Assistenz von Senat und Bürgerschaft verbunden. Deshalb muß die Frage der politischen Verantwortung geklärt werden – und ein Untersuchungsausschuß ist dafür das klassische Instrument.

Der Vulkan-Konzern: eine Stamokap-Veranstaltung besonderer Art

Daß der Vulkan am Ende zusammenbrach wie ein Kartenhaus, ist Ergebnis einiger Besonderheiten, die in einer ganz speziellen Symbiose von Vorstand, Aufsichtsrat, Gewerkschaften und Politik gedeihen konnten.

Friedrich Hennemann war stolz darauf, 12 Jahre keine Dividende gezahlt und in dieser Zeit zwei voluminöse Kapitalerhöhungen mit Zustimmung der Banken durchgesetzt zu haben. Expansion vor Rationalisierung, Beschäftigung vor Ertrag – das war die ungeschriebene Unternehmensphilosophie des Vulkan. Kritiker sprechen heute von einer „großen Beschäftigungsgesellschaft“.

Wenn die Bremer Politik diese Mentalität nicht selbst gehegt hat, so hat sie ihr zumindest nicht widersprochen. Das gilt nicht nur für die SPD. Mir ist kein ernsthaftes Beispiel erinnerlich, daß sich die CDU der Vulkan-Politik des Senats widersetzt hätte. Die Grünen haben zumindest die kritischen Fragen gestellt und sind in den letzten Monaten aus der Vulkan-Finanzierung um jeden Preis ausgeschert. Aber auch wir haben Anlaß, unser Verständnis von Industriepolitik zu überdenken.

Die Unternehmenspolitik des Vulkan folgte dem Irrglauben, eine starke Marktposition ließe sich durch eine Strategie des „Immer größer“ statt durch systematische Innovation und Rationalisierung gewinnen. Während Herr Hennemann auf Reuters Spuren versuchte, einen „integrierten Technologiekonzern“ zusammenzukaufen, blieb die notwendige Modernisierung der Unterweser-Werften auf der Strecke. Dagegen haben HDW, Blohm&Voss oder der Kvaerner-Konzern in den letzten Jahren mehrere hundert Mio DM investiert, um die Produktivität ihrer Werften um 30-40% zu steigern – genau die Größenordnung, die dem Vulkan fehlt, um nach dem Wegfall der Schiffbauhilfen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein.

Der Untersuchungsausschuß wird deshalb auch der Frage nachgehen müssen, weshalb trotz jahrelanger Diskussion über ein „Unterweserkonzept“ die Modernisierung der Werften in Vegesack und Bremerhaven nicht vorangekommen ist – obwohl diese Notwendigkeit seit Jahr und Tag bekannt war. Weshalb hat der Senat z.B. die Übernahme weiterer Bürgschaften des Landes nicht an Modernisierungsinvestitionen für die Bremer Vulkan-Werften geknüpft, statt die Dinge treiben zu lassen?

Der Ausbau des Vulkan-Verbunds folgte einem Prinzip, das verdächtig den „Volkseigenen Betrieben“ der Ex-DDR ähnelte: Ziel war der Aufbau eines „Kombinats“, das alle Stufen der maritimen Wirtschaft vom Maschinenbau, der Elektronik bis zur Schiffahrtsgesellschaft unter einem Dach vereinte. So bestellte die Tochter „Senator Lines“ Containerschiffe bei der Vulkan-Werft, zum Teil auf dem Umweg einer wiederum Vulkan-eigenen Schiffsfinanzierungs-Gesellschaft. Die Werft wiederum beteiligte sich als Gesellschafter an ihren eigenen Schiffen und gewährte Sonderkonditionen, um die überhöhten Produktionskosten zu kompensieren. Auf diese Weise wurden allerdings nur Verluste verschoben, bis die Seifenblase platzte.

Der Untersuchungsausschuß soll ermitteln, wieweit der Senat diese Praxis gedeckt hat, und welche Rolle aktive oder ehemalige Senatoren beim Aufbau dieses Kombinats gespielt haben.

Typisch für den Vulkan war eine interne Struktur, die dem Vorstandsvorsitzenden Hennemann im Verein mit der gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Mehrheit im Aufsichtsrat fast uneingeschränkte Macht verlieh. Da es keinen wirtschaftlich denkenden und handelnden Großaktionär gab und die Großbanken ihre Kontrollfunktion nicht wahrgenommen haben, spielte die Kapitalseite im Aufsichtsrat keine aktive und eigenständige Rolle. Potentielle Gegenspieler im Vorstand wurden nach kurzer Frist weggebissen und ausgetauscht – die Vorstandsliste liest sich wie ein kurzatmiges Bäumchen-wechsle-Dich.

Auch das war ein spezifisches Merkmal des Vulkan: es gab enge parteipolitische Bande zwischen Senat, dem Vorstandsvorsitzenden, der Aufsichtsratsmehrheit und dem Betriebsrat. Der Untersuchungsausschuß wird nicht um die Frage herumkommen, wieweit wichtige, das Unternehmen betreffende Entscheidungen innerhalb dieser SPD-Connection vorbereitet und eingefädelt wurden.

Nächster und zentraler Punkt: ohne finanzielle Flankierung durch Bremen wäre die Unternehmenspolitik des Vulkan so nicht möglich gewesen. Investitionsdarlehen; Risiko-Bürgschaften; Übernahme von Schiffsbeteiligungen des Vulkan durch die HIBEG – insgesamt ist es sicher nicht übertrieben, von einem Engagement des Landes in Größenordnungen von deutlich über einer Milliarde DM seit der Formierung des „Vulkan-Verbunds“ im Jahr 1987 auszugehen.

Auch die indirekte finanzielle Beteiligung Bremens bei der Übernahme von Krupp-Atlas-Elektronik durch den Vulkan fällt in dieses Kapitel; ebenso der Aufbau der Container-Reederei „Senator Lines“. Inzwischen hat die HIBEG die Vulkan-Anteile der fusionierten DSR/Senator Lines zu einem stattlichen Preis übernommen – ein verlustträchtiges Geschäft, das uns überdies massiven Ärger mit Hapag Lloyd eingetragen hat. Am Hamburger Ballindamm wittert man Dumpingkonkurrenz durch eine Bremer Staatsrederei.

Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Beispiel. Ein wesentliches Argument für den Aufbau der „Senator Lines“ war die Stärkung Bremerhavens als Hafenplatz für die großen round-the-world-Containerverkehre – man sollte aber nicht vergessen, daß Hapag-Lloyd nach wie vor zu den wichtigsten Kunden Bremerhavens gehört. Bremen kann schlecht als Hafenstandort um Reedereien werben – und gleichzeitig mit einer eigenen Reederei als Konkurrent auftreten.

Ähnliches gilt auch für die Übernahme der ehemaligen Krupp-Atlas-Elektronik-Werke durch den Vulkan. Alle Parteien der Bürgerschaft haben 1991 akzeptiert, daß der Senat diese Transaktion mit erheblichen finanziellen Garantien flankiert hat, um eine befürchtete „feindliche Übernahme“ durch ausländische Konkurrenten zu verhindern. Der Fall „Nordmende“ stand allen noch als abschreckendes Beispiel vor Augen. Es ging schließlich um fast 4000 High-Tec-Arbeitsplätze in Bremen. Insofern kann man mit guten Gründen sagen, die 130 Mio DM, die Bremen bei diesem Geschäft letztlich zubuttern mußte, waren industrie- und beschäftigungspolitisch gut angelegtes Geld.

Aber auch diese Medaille hat eine Kehrseite. Zum einen wurde auch die Bremer Elektronik-Tochter von der Stiefmutter Vulkan finanziell ausgepreßt wie eine Zitrone – das Unternehmen hat fast eine Viertel Milliarde DM gegenüber der Vulkan-Holding durch den Konkurs verloren. Zum anderen hat sich die Wettbewerbssituation von STN-Atlas Elektronik durch die Allianz mit dem Vulkan nicht verbessert, sondern verschlechtert: ein Betrieb, der weltweit als Anbieter für maritime Elektronik auftritt, darf sich nicht gleichzeitig an einen Kunden binden.

Schon aus diesem Grund waren die Vorstellungen, einen neuen Unterweserverbund um STN-Atlas Elektronik herum aufzubauen, das Gegenteil von industriepolitischer Weitsicht.

Bleibt die Frage, ob der Senat wußte, daß die Elektronik ihre Übernahme durch den Vulkan indirekt durch einen 75-Mio-Kredit mitfinanzieren mußte, der niemals durch die Muttergesellschaft getilgt wurde – und wieweit er davon Kenntnis hatte, daß auch STN-Atlas Elektronik mit dreistelligen Millionenbeträgen zum „zentralen cash-management“ des Konzerns herangezogen und damit selbst in Gefahr gebracht wurde. Diese Frage ist nicht zuletzt deshalb von einiger Brisanz, weil diese Liquiditätsverluste bei dem jetzt anstehenden Verkauf des Unternehmens negativ zu Buche schlagen werden. Aus dem Erlös sollen nach den Worten des Vergleichsverwalters ja nicht nur die Sicherheiten der Banken und der HIBEG bedient, sondern auch Modernisierungsinvestitionen auf den Werften finanziert werden. Viel wird dafür nicht übrig bleiben.

An diesen Beispielen wird deutlich, daß der Vulkan für den Senat über lange Jahre praktisch die Rolle eines industriepolitischen Instruments gespielt hat – vergleichbar vielleicht mit der Rolle, die in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen die entsprechenden Landesbanken spielen.

Der Vulkan war gefragt, wenn es um die Übernahme standortpolitisch wichtiger Unternehmen ging. Und er war gefragt bei etwas diffizileren industriepolitischen Operationen wie dem „Interessentenmodell“ zur Übernahme der Bremer Stahlhütte, bei dem der Vulkan als Zwischengesellschafter fungierte.

Auf diese Weise entstand ein dichtes Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten – und je dichter dieses Geflecht wurde, je höher die finanziellen Verpflichtungen des Landes gegenüber dem Vulkan gerieten, desto fataler wurde ein möglicher Zusammenbruch des Vulkan für das Land und desto selbstverständlicher forderte Herr Hennemann finanzielle Unterstützung vom Senat. Ich erinnere nur an die Forderung nach einem Blanko-Scheck von 200 Mio DM im Zusammenhang mit dem oft beschworenen, aber nie in einer belastbaren Fassung vorgelegten „Unterweserkonzept“ für den Schiffbau.

Für den Untersuchungsausschuß geht es also nicht nur darum, den Einfluß des Senats auf die Unternehmenspolitik des Vulkan zu durchleuchten, sondern auch den umgekehrten Einfluß, den der Konzern auf Entscheidungen des Senats genommen hat.

Zweckentfremdung von Treuhand-Geldern – eine politische Zeitbombe

Eine politische Bilanz des Vulkan-Debakels darf nicht bei den diversen Bremensien stehenbleiben. Die Zweckentfremdung von Treuhand-Beihilfen für die Ost-Werften durch den Konzern hat weit über Bremen hinaus Wellen geschlagen.

Die Schiebereien beim Bremer Vulkan haben dem deutschen Ansehen in Brüssel nachhaltig geschadet“ – (als eine von vielen gleichlautenden Pressestimmen fettgedruckt zu lesen in der „ZEIT“ vom 10. Mai 96). Und weiter:

„Niemand in Brüssel hätte für möglich gehalten, daß ein deutsches Unternehmen 850 Mio Mark, die für ostdeutsche Werften bestimmt sind, den Empfängern entzieht und im Westen der Republik verpulvert. Die (aus deutschen Kassen gezahlten) Beihilfen waren von der Europäischen Kommission nur unter der Bedingung gebilligt worden, daß sie ausschließlich in die neuen Bundesländer fließen. Jetzt ist der Vulkan pleite, das Geld verschwunden und der in Brüssel angerichtete Schaden beträchtlich.“

Wenn schon das europäische Image des Bundes unter den Beihilfe-Manipulationen des Vulkan gelitten hat, wie mag es dann um den politischen Kredit Bremens in Brüssel aussehen?

Der Senat hat zu diesem ganzen skandalträchtigen Thema bis zum heutigen Tag hartnäckig geschwiegen – man fragt sich, warum? Schweigt er aus dem schlechten Gewissen des Mitwissers, der von der Schieberei gewußt und sie stillschweigend gedeckt hat, weil damit das Überleben des Vulkan-Konzerns verlängert wurde?

Spätestens seit Ende letzten Jahres war der Senat im Bilde, daß den ostdeutschen Töchtern durch die Vulkan-Holding rd. 900 Mio DM entzogen wurden und daß die ausstehenden Investitionen zur Modernisierung der Ost-Werften aufgrund der wachsenden Liquiditätsprobleme nicht mit Eigenmitteln des Konzerns zu finanzieren waren.

Erhebt sich die Frage, ob und ab wann der Senat über Hinweise verfügte, daß es sich bei den abgezogenen liquiden Mitteln um Treuhand-Beihilfen handelte, die strikt zweckgebunden waren? Die Treuhand hatte dem Vulkan bei der Übernahme der Ostsee-Betriebe eine Morgengabe von 1,5 Mrd. DM mit auf den Weg gegeben. Sie waren etwa zur Hälfte für Investitionen, zur anderen Hälfte als Liquiditätsbeihilfen bestimmt. Diese Mittel durften nur insoweit bei der Holding zur internen Unternehmensfinanzierung geparkt werden, als ihre kurzfristige Verfügbarkeit entsprechend ihrer Zweckbindung gesichert war. Dies war spätestens im 2.Halbjahr 1995 nicht mehr der Fall.

Wer wußte davon im Aufsichtsrat und in der Senatsverwaltung, und weshalb hat der Senat nicht gegen diesen Subventionsmißbrauch interveniert, bevor die Zeitbombe platzte und verheerenden politischen Flurschaden hinterließ – nicht nur bei der Europäischen Kommission, sondern ganz besonders in Mecklenburg-Vorpommern?

Dort wurde durch die vertragswidrige Praxis des Vulkan-Vorstands das Klischee, daß der „Aufbau Ost“ in Wirklichkeit ein großer Bereicherungsfeldzug des westlichen Kapitals ist, auf geradezu klassische Weise bestätigt.

Auch in diesem Fall gilt, daß der Untersuchungsausschuß Bremens Image nicht weiter ruinieren kann, sondern daß der bereits schwer lädierte Ruf nur durch offensive Selbstaufklärung wieder aufpoliert werden kann.

Die Rolle des Senats im Vorfeld des Konkurses

Man muß nicht die Legendenbildung von Herrn Hennemann übernehmen, die Katastrophe des Bremer Vulkan habe erst nach dem 1.August 1995 begonnen, als das Regierungshandeln in Bremen bereits maßgeblich von den CDU-Senatoren für Finanzen und Wirtschaft bestimmt wurde. Aber wir werden der Großen Koalition nicht den Gefallen tun, die Arbeit des Untersuchungsausschusses auf die Zeit vor dem August 1995 zu begrenzen.

Wir wollen wissen, ab wann der Senat angesichts der Liquiditätsprobleme des Vulkan, der zugeknöpften Haltung der Banken und des katastrophalen Imageverlusts des Unternehmens mit einem Konkurs des Konzerns rechnen mußte. Wir wollen wissen, aufgrund welcher strategischer Überlegungen und mit welchem Ziel dennoch neue Bürgschaftsrisiken in dreistelliger Millionenhöhe eingegangen wurden, während die Banken im gleichen Zeitraum ihr Risiko gegen Null reduzierten.

Die Entscheidungsgrundlagen für diese Beschlüsse müssen überprüft werden. Das gilt v.a. für die 220-Mio-Bürgschaft für das Kreuzfahrtschiff Costa II, nachdem sich bereits ein 150-Mio-DM-Verlust für Costa I abzeichnete.

In den Bürgschaftsausschüssen wurden Vorlagen wieder eingesammelt; Gutachten von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften über die Tragfähigkeit der einzelnen Projekte lagen nicht mehr vor. Wer sich weigerte, auf dieser dubiosen Grundlage die politische Verantwortung für dreistellige Millionenbürgschaften zu übernehmen, wurde öffentlich an den Pranger gestellt, er wolle sich aus der Verantwortung für die Arbeitsplätze stehlen.

Dabei haben bereits im Dezember 1995 die Bürgschaftsausschüsse den Senat aufgefordert, ein Auffangkonzept für den Konkursfall zu entwickeln. Die Bürgerschaft selbst hat im Januar beschlossen, weitere finanzielle Engagements Bremens an ein Zukunftskonzept für die Bremischen Vulkan-Betriebe zu koppeln. Beides ist nicht geschehen.

Wir wollen wissen, ob die Bremer Politik vor allem deshalb an der Fiktion festgehalten hat, der Zusammenbruch des Vulkan-Verbunds könne vermieden werden, um Senat und Koalition vor Vorwürfen wegen unterlassener Hilfeleistung für den Konzern zu bewahren. Und wir wollen wissen, was es den Bremer Haushalt kostet, daß mit öffentlichen Mitteln die Vulkan-Pleite um wenige Monate hinausgezögert wurde.

Gegen die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses ist hin und wieder eingewendet worden, die Bürgerschaft sollte den Blick nach vorn wenden und sich auf die Bewältigung des Vulkan-Debakels konzentrieren.

Tatsächlich ist das ein konstruierter Widerspruch. Um die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen, müssen die Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Der Untersuchungsausschuß sollte sich nicht darin erschöpfen, Ursachenforschung zu betreiben und politische Verantwortung zu klären, sondern Vorschläge für die künftige Industrie- und Bürgschaftspolitik des Landes unterbreiten. Wir sind sicher, daß er politisch wie finanziell eine lohnende Investition sein wird.

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