: Matthäus fehlte an allen Enden
Keineswegs wie ein Favorit für die Europameisterschaft trat die deutsche Nationalmannschaft beim 1:1 gegen Nordirland auf ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck
Die Nordiren seien gastfreundliche Menschen, bedankte sich Bundestrainer Berti Vogts artig. Die deutschen Fußballer hatten in Belfast ein einwöchiges Trainingslager zur Vorbereitung auf die Europameisterschaft in England absolviert, damit die eigenen Fans sie nicht ständig beobachten konnten. Das Spiel gegen Nordirland zum Abschluß des Trainingslagers hätte Vogts vermutlich auch gerne vor ihnen verborgen. Mit dem 1:1 war seine Mannschaft gut bedient.
15.000 waren in den Belfaster Windsor Park gekommen. Ein Viertel davon, so kalkulierte die nordirische Presse, war alleine wegen Jürgen Klinsmann da. Der weiß genau, wie man sich einschmeichelt. „Natürlich esse ich britisches Rindfleisch“, sagte er am Wochenende auf einer Pressekonferenz in Manchester. „Als ich in der vorigen Saison bei Tottenham den besten Fußball meiner Karriere spielte und zum Spieler des Jahres gewählt wurde, habe ich auch Rindfleisch gegessen. Und es geht mir immer noch gut, ich habe keine Probleme.“ Und so suhlte er sich – frei nach Swift – in seiner Ignoranz. Erzähle ihm bloß niemand etwas von Inkubationszeiten. „Cleansman“, wie der saubere Jürgen hier genannt wird, versicherte obendrein, daß die gesamte Mannschaft Beef zu sich nehmen wird. „Wir werden englische Speisen essen, und wir werden englisches Bier trinken“, sagte er. 1:0 für Klinsmann im Rindfleischkrieg.
Im Fußball gelang ihm das nicht. Als er nach vier Minuten einen fragwürdigen Elfmeter neben das Tor setzte, hatte er sich endgültig in die Herzen der Zuschauer gespielt. „Ausgerechnet Klinsmann“, staunte die nordirische Presse gestern. Daß Möller knapp eine halbe Stunde später den zweiten Elfmeter in die Wolken jagte, war dagegen kaum eine Erwähnung wert. „Solche Geschenke muß man eiskalt annehmen“, lamentierte Vogts nach dem Spiel. „Aber lieber ist es mir, daß es heute passiert ist, als im Viertel- oder Halbfinale in England. Na ja, Scherz beiseite.“
Auch sonst war Vogts mit seinem Team gar nicht zufrieden. Man habe alle Kopfballduelle verloren und für den schlechten Boden viel zu schnell gespielt. Erst als die Nordiren durch Auswechselspieler George O'Boyle in Führung gingen, wachte die deutsche Mannschaft auf und erzielte im Gegenzug durch Mehmet Scholl den Ausgleich. Danach wurde aus dem erbärmlichen Gekicke noch ein recht flottes Spiel, aber da waren nur noch elf Minuten übrig.
Die Nordiren waren hochzufrieden, zumal sie Deutschland für den Favoriten bei der Europameisterschaft halten. Zwei Drittel der nordirischen Spieler sind unter 25, und „sie werden immer besser“, sagte Trainer Bryan Hamilton. Er freut sich auf die Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft, weil Deutschland in der nordirischen Gruppe ist. In den letzten vier Begegnungen beider Teams haben die Nordiren zweimal gewonnen und zweimal unentschieden gespielt. „Das ist für die psychologische Kriegführung wichtig“, meinte Hamilton.
Vom Krieg war vorgestern überhaupt viel die Rede. Vor dem Stadion verteilten Mitglieder der Ulster Democratic Party, dem politischen Flügel einer protestantischen Terrorgruppe, ihre Flugblätter für die nordirischen Wahlen, die gestern stattgefunden haben. Der Windsor Park liegt mitten im Village, einem protestantischen Ghetto mit blutrünstigen Wandmalereien. Katholiken trauen sich kaum ins Stadion. Hier trägt der FC Linfield seine Heimspiele aus – ein Verein, der prinzipiell keine Katholiken verpflichtet. Vorgestern war die Stehplatztribüne, der „Spion Kop“, zum letzten Mal geöffnet. Jetzt wird er abgerissen, an seine Stelle kommt eine Sitzplatztribüne. Der Name geht auf den Burenkrieg zurück: Im Jahr 1900 mußte die britische Armee in der Schlacht am Spion Kop in Südafrika eine schwere Niederlage hinnehmen, und genauso sollte es im Windsor Park den Gegnern gehen, hofften die Fans. Nach dem nordirischen Tor summten sie die Titelmelodie von „Dam Busters“, einem Spielfilm über die britische Bombardierung einer westfälischen Talsperre während des Zweiten Weltkriegs.
Vogts sprach nach dem Spiel von einem anderen Krieg. „Mit Lothar Matthäus ist keinerlei Zusammenarbeit mehr möglich“, sagte er. „Auch nach der Europameisterschaft wird es für ihn kein Comeback geben. Es ist wie mit einem Kind, das immer wieder einen Ball gegen eine Scheibe wirft. Dann splittert die Scheibe, und man sagt, ach laß ihn doch. Aber irgendwann geht die Scheibe zu Bruch.“ Die Metapher war genauso miserabel wie das Spiel.
Deutschland: Kahn - Helmer - Kohler - Basler, Eilts, Strunz, Ziege (46. Bode) - Möller, Scholl - Klinsmann (46. Bobic), Bierhoff (46. Kuntz)
Tore: 1:0 O'Boyle (77.), 1:1 Scholl (78.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen