Nachlaß eines Genies

■ Das Kino 46 zeigt „Orson Welles – The One Man Band“, ein Schatzkästlein voll cineastischer Rara und Pretiosa

Kaum einer ist so grandios gescheitert wie er. Nur seinen ersten Film, „Citizen Kane“ konnte Hollywoods „Wunderkind“ Orson Welles auch genau so realisieren, wie er ihn haben wollte. Danach begann sein ständiger Kampf mit Studios, Produzenten und Geldgebern – und wohl auch mit seinen eigenen Dämonen, die ihn immer länger zögern ließen, ein Werk auch wirklich zu beenden. Der Endeffekt: Cineasten reden und schreiben heute fast mehr über die Filme, Sequenzen und Projekte von Welles, die verschwanden, weggeschnitten oder abgebrochen wurden, als über seine realisierten Filme. Um so erhellender und schöner sind die Schätze, die jetzt – zehn Jahre nach Welles' Tod – gefunden wurden. In der Dokumentation „One Man Band“ sind die Fragmente jetzt versammelt und unterhaltsam aufbereitet.

Hübsch inszeniert ist bereits der Auftakt des Films. Da sieht man Oja Kodar, Welles' letzte Lebensgefährtin, einen Lagerraum öffnen. Darin: Kisten und Filmdosen, meterhoch gestapelt – Welles' gewichtiger Nachlaß, fast zwei Tonnen schwer. Eine Fundgrube voller Fragmente, Kurzfilme und Notizen, die alsdann vorgezeigt und erklärt werden – eine Enthüllung, wie sie der Meister geliebt hätte.

So erleben wir Welles in einigen Sketchen mal richtig komisch. Seine Witze über arrogante Schneider, britische Aristokraten oder Winston Churchill erinnern frappierend an die Frühwerke von Monty Python. Als Minimalist zeigt sich der Regisseur dann in den Resten seine „Moby Dick“-Adaption. Welles liest die einzelnen Rollen selbst, ohne Kostüm oder Make up, nur die unterschiedliche Beleuchtung des blauen Hintergrunds variert.

Und natürlich Welles, der Meister der Improvisation. Bei seiner letzten Shakesspeare-Inszenierung, dem „Kaufmann von Vendig“, sieht man zuerst Außenaufnahmen von Venedig, in denen Welles als Shylock über die Kanäle huscht. Aber mitten in seinem langen Monolog ist der Film in der Kamera verbraucht. Erst viele Jahre später spricht Welles den Text zuende – und zwar mitten in der Wüste von Arizona.

Immer wieder verführt er das Publikum einfach nur mit seiner Stimme, seinem Charme oder seinem schauspielerischem Talent. In einer Reisenotiz aus Wien zählt er die süßen Backspezialitäten der Stadt auf: „Sachertorte, Linzer Torte, Gugelhupf“. In der einzigen Folge seiner TV-Talkshow treibt er seine Witze mit Ernie und Fozzybär von den Muppets. Und immer wieder sieht man ihn auf der Bühne mit seinen geliebten Zauberkunststücken. Man bedauert, daß soviel nur Stückwerk geblieben ist – und ist zugleich froh, jetzt zumindest einige Bruchstücke sehen zu können.

Um die Welles-Raritäten herum hat man für „One Man Band“ einen Dokumentarfilm-Rahmen gebastelt, inszeniert von Vassili Silovic. Aber die neue Zutat ist alles andere als ein Meisterstück. Allzu geschmäcklerisch fährt die Kamera durch Los Angeles oder die verschiedenen Villen, in denen Welles lebte. Der Erzähler im Off zelebriert Welles enervierend salbungsvoll und die Co-Regisseurin Oja Kodar übertreibt etwas mit ihren Beschreibungen des schönen Lebens an Orsons Seite. Ein Glück, daß Welles bei zwei Dritteln von „One Man Band“ selbst Regie geführt hat. Wilfried Hippen

Kino 46 (Waller Heerstr. 46), So. bis Di. 18.30 Uhr