: Sterbender Klangkörper im Abseits
Eine erhabene Gestalt der DDR-Architektur: Franz Ehrlichs Funkhaus in der Nalepastraße. Das Gebäude unterstreicht die Distanz zwischen Sender und Empfänger. Teil IX der Serie „Orte im Wandel“ ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann
Im Plänterwald macht der Spaziergänger unverhofft eine Entdeckung: Am anderen Spreeufer hat eine Gruppe backsteinerner Baukörper ihren Auftritt. Reine, über jede Verzierung erhabene Fassaden tauchen aus dem Grün. Darüber schwebt, mit unerträglicher Leichtigkeit, das flache Dach, eine elegante Betonplatte. Architektur! Aber was für eine? Der „Architekturführer Berlin“ klärt auf und macht erst recht neugierig: Der Komplex an der Nalepastraße war ein Funkhaus, 1951–1956 von Franz Ehrlich erbaut – ein DDR- Bau, wer hätte das gedacht. Bis 1951 sendet der „demokratische“ Rundfunk aus dem Westteil der Stadt. Aus dem „Haus des Rundfunks“ in der Masurenallee verbreiten die Mitarbeiter, unter ihnen Karl Eduard von Schnitzler, die Sicht der sowjetischen Besatzungsmacht. Das wollen die Westalliierten nicht länger hinnehmen. Sie riegeln das Gebäude mit Stacheldraht ab. Der Kalte Krieg eskaliert zu einer kleinen Blockade. Lange wird der exterritoriale Status das Haus nicht mehr schützen können. Man braucht Ersatz. An der Nalepastraße findet man ein Grundstück. Es ist groß genug, durch das nahe Kraftwerk Rummelsburg mit Strom versorgt und: liegt in sicherer Entfernung zur Stadt! Neugierige Besucher hält die Anlage mit einem Schutzwall aus Kleingärten und heute abgeräumten Industriekomplexen auf Distanz. Hier kann man Rundfunk verbreiten, ohne daß die Empfänger daran teilnehmen. 1951 wird der Sendebetrieb aufgenommen. In kaum zwölf Monaten hat der Leipziger Architekt Franz Ehrlich (1907–1984) eine alte Funierfabrik aufgestockt und zum Studiogebäude umgebaut. Bis 1956 erweitert er die Anlage zum zentralen Funkhaus der DDR.
Ehrlichs Architektur unterstreicht die Distanz zwischen Sender und Empfänger. Sie ist das Gegenteil der zeitgleich entstandenen Stalinallee, die mit populären Ornamenten beim Betrachter heimelige Gefühle erzeugt, damit er ihren herrschaftlichen Gestus akzeptiert. Vom doktrinär dekorierenden Zuckerbäckerstil ist Ehrlich unbeeindruckt. Seine Baukörper und Fassaden sind so repräsentativ, wie es die junge DDR brauchte, vermeiden aber jede symmetrische Strenge, verzichten auf eine monumentale Wirkung, zu der ihnen das Publikum ohnehin gefehlt hätte. Das Funkhaus beharrt auf seiner Selbständigkeit. Man mag sich an die Baukörperstellung beim Bauhaus in Dessau erinnern, eine Verwandtschaften zum Backstein-Expressionismus des nahegelegene Heizkraftwerks Klingenberg, von dem Ehrlich das Fassadenmaterial übernimmt, erkennen, in der Fassadengliederung eine Fortsetzung der Olympiabauten der frühen dreißiger Jahre sehen, doch all dem fehlt die Konsequenz, um von einem „Vorbild“ sprechen zu können. Selbst wenn in der Fassade unvermittelt griechische Säulen auftauchen, ist es nicht die Form an sich, die Ehrlich interessiert. Wäre dem so, müßte man ihm im Inneren ein grandioses Scheitern attestieren. Hier findet ein wahrer Formenexzeß statt: Säulen diverser Stilepochen, grob behauene, holzverkleidete, wieder andere mit Stuck verziert. Bäuerliche Motive zeigt Ehrlich ebenso wie die Bourbonenlilie. Über die Oberflächen ergießt sich das ganze Füllhorn möglicher Materialien. Die Wände wechseln ständig ihre Bekleidung. Glatte Holzpaneele überlagern sich mit gelochten Gipsplatten in zahllosen Mustern, kunstlederne Wandbespannung neben Brokat, Terrazzo an den Wänden, Terrazzo auf dem Boden, dann wieder Parkett, Marmor stößt an Kieselwaschputz. Doch kein Kunstgriff ist Selbstzweck. Der Architekt erfüllt funktionale Notwendigkeiten, und diese sind bei einem Funkhaus weniger optischer als akustischer Natur. Franz Ehrlich und der Tonmeister Gerhard Probst wählten die Materialien entsprechend ihrem Reflexionsverhalten. Jeder Raum bekommt seine eigene, klangliche Atmosphäre. Ob Kellergewölbe oder Philharmonie, Treppenaufgang oder Pflasterstraße, Kammer oder freies Feld, jedes denkbare Klangverhalten läßt sich mit unerreichter Perfektion in den Studios nachahmen. So löst sich auch der scheinbare Widerspruch zwischen schlichtem Äußerem und aufwendigem Inneren: Wer sich abschirmt, muß sich sein eigenes Reich als (Klang-)Kopie der Außenwelt schaffen. Funktionale Aspekte bestimmen auch die Gebäudeorganisation: Die Studios erfordern einen trapezförmigen Grundriß. Ordnet man sie im Kreisbogen an, lassen sich Wege und Kubatur minimieren. Doch Ehrlich beschränkt sich nicht darauf, dem optimierten Nutzungsschema eine Bauhöhe zu geben. Funktionalität ist für ihn mehr als ein formaler Stil. Statt den Anforderungen nur zu genügen, entwickelt er daraus eine eigenständige Gestalt. Auch dort, wo sie eigentlich gar nicht mehr gebraucht werden, setzt Ehrlich die Oberflächendekore ein, um das Funktionsgehäuse in einen Klangkörper zu verwandeln. Das Raumgefüge wird zu einer abwechslungsreichen Klanglandschaft, die es einem Blinden ermöglichte, das Raumgefüge aus großzügigen Sälen, weitläufigen Wandelgängen, engen Kammerstudios und dunklen Tunneln zu hören und dem Tauben, ihre Klangfarben zu sehen. Seine repräsentative Wirkung hängt weniger an Form oder Material als an der Konsequenz, mit der Ehrlich das Funkhaus vom Städtebau bis zur Möblierung durchgestaltet, es in ein Unikat, in ein Werkstück Architektur verwandelt. Diesen ebenso handwerklichen wie ganzheitlichen Gestaltungswillen nahm Ehrlich vom Bauhaus, jener „Hochschule für Gestaltung“, mit, wo er zwischen 1927 und 1930 unter anderem bei Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer und Walter Gropius studierte. Mit seinem formal vielseitigen, aber selbstfixierten Ansatz wäre Franz Ehrlich im Westen sicher ein vielbeschäftigter Designer von Villen und Konzernzentralen geworden. Die DDR hatte für den autonomen Entwerfer, der für seine kommunistische Überzeugung Zuchthaus, KZ und Strafbataillon durchlitt, nicht eben viele Bauaufgaben. Die ideologisch motivierten Stadtzeichen, in Berlin etwa Stalinallee oder Fernsehturm, und die industriell typisierten Massensiedlungen bauten andere.
Heute sind es gerade die charakteristischen Qualitäten des Gebäudes, die seine Zukunft in Frage stellen. Ein Funkhaus dieser Größe wird nicht mehr gebraucht. Klangeffekte werden heute mühelos per Computer erzeugt. Trotzdem könnten, weltweites Marketing vorausgesetzt, die einzigartigen Aufnahmebedingungen durchaus ihren Markt finden. Doch der Auftrag des derzeitigen Betreibers, der Neue Länder Grundstücksverwertungs GmbH, erschöpft sich darin, endlich einen Käufer zu finden. Weil sich bisher kein Investor mit dem abgelegenen Standort, den Restriktionen des Denkmalschutzes und dem Negativimage des „DDR-Staatsfunks“ anfreunden konnte, hatte sich der Senat entschieden, in der Nalepastraße der Polizeidirektion 6 ein neues Zuhause zu geben. 1995 hatte der Niederländische Architekt Ben van Berkel den Wettbewerb für die Um- und Neubauten gewonnen. Im Sommer wollte man mit dem Umbau des Verwaltungsgebäudes und des Garagentraktes beginnen. Sogar die Vorfinanzierung von privater Seite war gesichert. Doch nun reichen, laut Peter Hartung von der NLG, die Mittel des Senats nicht einmal für die Miete.
Ohne Nutzung bleibt die für die DDR-Baugeschichte unentbehrliche Anlage dem Verfall und Vergessen preisgegeben.
Teil X erscheint am 6. Juli: Endstation, Tiefpunkte öffentlichen Bauens.
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