: Der Regissör hat's schwör
■ Mats Eks „Dornröschen“-Ballett, Oliver Bukowskis Ossi-Farce und der deutsche Kabarett-Nachwuch auf Kampnagel – war alles nich' so doll
Dornröschen
Was muß man denken, wenn ein weißer Mann einen schwarzen als „Niggerschwein, Bananenfresser“ etc. beschimpft, ihn dann niederschießt, daraufhin dessen weiße Freundin anmacht, die sich ihm relativ schnell ergibt, sie fickt, heiratet und dann als finale Katastrophe entdecken muß, daß das Kind, das sie gebärt, schwarz ist, worauf Mann und Frau epileptische Anfälle bekommen? Fragt man sich da nicht, ob der Mann, der das auf die Bühne bringt, noch alle Tassen im Schrank hat?
Im Falle von Mats Ek, dem schwedischen Choreografen, mag man – auch wenn es einen stante pede aggressiv macht – eigentlich nicht glauben, was man da sieht. Denn Ek hat mit seinen ehedem in Hamburg gezeigten Choreografien wie Meinungslose Weiden oder Gras das Publikum im Sturm für sich eingenommen. Lyrische Erzählweise und charmanter Humor zeichneten seine märchenhaften Raumergreifungen aus. Sich jetzt besonders komplizierte Erklärungs- muster zu stricken, um dieser plakativ inszenierten Schlußwendung seiner Dornröschen-Adaption etwas gutes abzugewinnen, das fällt trotzdem schwer.
Dabei entwickelte sich das zweistündige Ballett bis zur Pause kurzweilig und unterhaltsam, wenn auch nicht in der sozialen Epik, die Ek vorher angekündigt hatte. Gerade die Sequenzen der beiden Eltern von Prinzessin Aurora, der Dame, die am Ende das schwarze Kind (hier ein Ei) gebiert, sind oft herzergreifend. Wenn Königin Sylvia die Aurora zur Welt gebracht hat und König Florestan mit elf weiteren Florestans seine Freudentänze aufführt, da schluchzt die härteste Abonnentenseele. Joelle Boulogne und Lloyd Riggins schaffen es, die zärtliche Erotik zwischen verliebter Euphorie und guter Erziehung wunderschön auszudrücken.
Auch die Frauenrollen sind in diesem ersten Teil weit selbstbewußter gezeichnet als gegen Ende, wo doch Lacher arg mit Klischees von affektierter Weiblichkeit gefangen werden. Sowohl die vier Feen (Anna Polikarova, Heather Jurgensen, Laura Cazzaniga und Niurka Moredo) als auch Königin und Prinzessin zeigen hier ballett- untypische Bestimmtheit.
Bettina Beckmann als Aurora führt in dieses Idyll den Generationskonflikt ein. Sei es aus Eifersucht oder Trotz, wirft sie sich allen Männern an den Hals, bis sie in Carabosse – statt der bösen Fee ein undurchschaubarer Liebhaber (Gamal Gouda) – eine Beziehung findet, die nun tatsächlich einige der angekündigten Züge einer Junkie-Ehe aufweist. Carabosse (im Original böse) wird dann vom Volkszorn in Person von Prinz Désiré (im Original der gute Prinz) wie oben erzählt gelyncht, was die Frage nach dem Sinn der Verwirrung von Charakteren stellt. Denn dann nimmt die Geschichte ihren schauerlich-konfusen Ausgang, der auch choreografisch krass gegen die erste Stunde abfällt. Dramatische Momente von Tschaikowskys Musik werden für einfallslose Soli vertan und die Feen müssen jetzt als Gimmicks herhalten, die arg wie Pausenfüller wirken.
Eks Interpretation des Ballett-Klassikers läßt also viele Fragen offen und hält zudem die Länge nicht aus. Der krude Schluß aber ist wohl ein peinliches Mißverständnis, das neu gestaltet gehört. Denn einfach die entscheidenden Deutungen umzudrehen (Frau zu Mann, gut zu böse, glücklich zu unglücklich, Sieger zu Besiegte) ist keine schlüssige Neuinterpretation. Till Briegleb
Londn-L.Ä.-Lübbenau
Von allem, was Altona an Szene zu bieten hat, waren ein paar 35- bis 65jährige gekommen, um der Premiere von Oliver Bukowskis Stück Londn-L.Ä.-Lübbenau im Altonaer Theater beizuwohnen. Stühle scharren und Gläser klirren uff den Tischen. Endlich isses dunkel und schon setzt eener von uns an, aus'm Tui-Katalog wat vorzulesen. „Und dat is jetzte Sardinien, wo wa hinmachen könntn, wenns rechtens zujejang wär mit der Tombola.“ Ach, dat war ja man nur de Schauspieler Frank Felicetti in der Rolle des Herrn Gretschke aus'm Stück. Aber, überrascht war man doch.
In Lausitzer Mundart, jepaart mit een bißken Kauderwelsch aus allet möglichen, frönt Greschke seinem aussichtslosen Traum von Ruhm und Reichtum in der verlockenden Wessi-Welt. Die Wende ist bereits Schnee von gestern, der Alltag hat die Gretschkes wieder. Zusammen sitzten Herr und Frau Gretschke (Konstanze Ullmer) im Wohnzimmer und lamentieren über Chancen, Hoffnung und die alltäglichen Absurditäten.
Wie zu erwarten, wandelt sich die Aufbruchstimmung in verzweifelte Hilflosigkeit und Aggression. Gretschke, der Meister der Selbstüberschätzung, nimmt den Mund zu voll, verlangt eine 100prozentige Gehaltserhöhung und sitzt auf der Straße. Aber was 'n richtger Ossi is, weiß, wo's langgeht.
Aus der leerstehenden Garage wird kurzerhand „Gretschkes Getränke Boutique“. Natürlich eins a, mit Produkt-Plazement, Immätschpflege und einer fitnessgeschönten, studiobraunen Ehefrau als Kundenbetreuerin. Klar wissen Gretschkes, daß die erste Million die schwerste ist. Bisher sind 112 Mark in der Kasse und das Konto schon geplündert. Noch dazu „Rämmidämmi im Familiären“ – das schafft den Kräuterschnaps nur rein privatmäßig weg. Konstanze Ullmer und Frank Felicetti spielen mimisch und gestisch ohne sentimentales Pathos und geben den regional und dialektal geprägten Knäueln Bukowskis aus Schimpf-, Lust- und Liebesworten unaufdringliche Gestalt. Und ihre Interpretation spottet nicht über die Naivität der Versuchung der Gretschkes. Das macht das Stück sehenswert. Aber es bleibt an Klischees haftendes Amüsement, flüchtige Erinnerung.
Im Vergleich etwa zu Schwab's Eskalationen erscheint Bukowskis Farce betulich, wenig wild und nur mäßig deftig. In der Inszenierung Axel Schneiders bleibt die dramatische Interpretation der widerstreitenden Welten von DDR-Symbolik und kapitalistischem Konsumterror zudem verhalten. Offenbar hat sich der Regisseur dazu entschieden, die Textlastigkeit mit schwacher Untermalung nicht zu stören.
Britt-Kristin Feldmann
Gipfelstürmer
Gipfel wurden sicher nicht erstürmt. Was die vier Kabarett-Nachwüchse am Sonntag auf Kampnagel erklommen, war die gut einmeterfünfzig hohe Bühne in der Halle K4. Daneben scheinen sich katholisch und süddeutsch als weitere Minimalanforderungen an Kabarettisten durchzusetzen. Jedenfalls beschreiben diese die Gemeinsamkeiten der Newcomer.
Empfängnislose Befleckung bot Stand-Up-Comedian Jess Jochimsen. Langeweile und Flachwitz auf den Ebenen Sex, Kohl und Strip lösten sich ab. Tatsächlich empfäng- nislos blieb die Begegnung mit den Sprengseln seines Programmes. Wahrlich ein unglücklich gewählter Titel. Mit Beknackten Tatsachen von den Handwerkern ging es munter weiter. Ihre Show war vielfältiger und schon runder. Neben dem zynischen Schlagabtausch einer Hautkrebszelle mit einem HIV-Virus: „Ohne Gummi macht's mehr Spaß, dafür beißt du auch in's Gras“, kämpften belämmerte Dipl.-Soz.-Päds und kotzende Golf-Edison-Fahrer um zeitgeistmäßige Beachtung.
Mit einem dritten Bein aus Silikon unter rotem Kleid beeindruckte Karin Pientka skurril in den ersten Minuten ihres Gegen-Zirkus. Nett erzählt, aber zum Gähnen reizend ihre Geschichte aus dem Leben einer Darmzote. Organisch orientiert auch das äußert ungleiche Paar Osterritter (1,85 m) und Schunck (1,10 m). Ihre Show um ihr Lieblingsorgan war nur ansatzweise bissig bis absurd. Ansonsten funktionierten die Witze über so bekannte wie dankbare, ergiebige Sujets wie holländische Talkmaster, dicke Saumagen-Liebhaber und schlüpfrige Zweideutigkeiten.
Selbst wenn der Programmleiter Ulrich Waller beschwört, daß das deutsche Kabarett Nachwuchs brauche – diese Reihe schlechter und plumper Pointen braucht es nicht. Britt-Kristin Feldmann
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