■ Kolumne: Gutmenschendämmerung
Des einen Freud, des anderen Leid. Man kann davon ausgehen, daß die Leserschaft dieser Seiten sich über die Tatsache freut, daß in diesem Jahr die Platten bewährter Mainstream-Hitlieferanten wie Stink, Knopfler und Bryan Adams kaum noch Käufer finden – ja, daß sie daraus Hoffnung für die Zukunft schöpft. In Deutschland ist das Tonträger-kaufende Publikum bekanntlich noch weniger an Musik interessiert als anderswo, es kauft Posen, Mythen und Legenden.
Wer sich da einmal als Gutmensch oder als leidgeprüft qualifiziert hat, der steigt aus der ersten Liga nicht so schnell ab. Dennoch: Tina Turner mag siebenmal hintereinander die Münchener Olympiahalle ausverkaufen, ihr neues Album hat es nicht mehr auf die Spitzenposition der Charts geschafft.
Aber die Schadenfreude darüber, daß für einige alte Säcke offensichtlich die Zeit der Götterdämmerung angebrochen ist, wehrt nur kurz. Ein anderer alter Sack, ein guter allerdings, Leonard Cohen, vertritt ja die Position, daß wir uns nach all den Plagen der Gegenwart noch zurücksehnen werden. Denn es werde alles nur noch schlimmer. Und es beschleicht einen das unangenehme Gefühl, er könne recht haben, wenn man einen weiteren Blick in die Top 100 wirft, um herauszufinden, wer denn nun Turner & Co. von dort oben verdrängt hat: Wir sehen deutsche Rocksäcke, den alten Maffay, die Scorpions, vor allem aber die neuen deutschen Rocksäcke alter oder uralter Schule, nämlich Pur und Fool's Garden, a.k.a. die Schwabenpflege.
Und natürlich das neue deutsche Musikwirtschaftswunder, die Trashfloor-Bobos. Auch hier eine neue Erkenntnis: War man sich zu Anfang sicher, daß es sich bei den von den Produzenten vorgeschobenen „Acts“ um vorprogrammierte One-Hit-Wonder handeln werde, zumal sie sich dank der absoluten Nichtbeteiligung am entsprechenden Werk auch dem Starsystem ziemlich entzogen, so kann man spätestens seit „Heaven“ davon ausgehen, daß die Post-X-Generation mit U96 genauso gemeinsam alt wird wie die Jahrgänge vor ihr mit den Biedels, den Schtons oder den Pistels.
Wobei mir ein Angestellter der betreffenden Plattenfirmen neulich verriet, daß er keine Ahnung habe, wer eigentlich die ganzen U96-Platten kaufe. Er habe jedenfalls noch nie jemand kennengelernt, der so etwas tue und er könne sich auch gar nicht vorstellen, wie die Leute aussehen, die die Musik seines ergiebigen Goldesels lieben.
Ich dagegen kann es mir in etwa denken: Mein neunjähriger Sohn favorisiert nach Caetano Veloso, Hank Snow und NRBQ jetzt Scooter – er wird erwachsen. Als er dessen neueste CD, die mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zugeschickt worden war, in die Schule mitnahm, hatte ihn seine Freundin gleich noch ein bißchen mehr lieb.
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