: Zweigesichtig
■ betr.: „Der kalte Glanz der Funk tionselite im NS-Staat“, taz vom 21. 5. 96
Ahlrich Meyers Rezension der neuen Studie über Heydrichs zeitweiligen Stellvertreter Werner Best in der taz vom 21.5. 96 bietet zwar einen Überblick über die fast 700 Seiten starke Arbeit des Freiburger Historikers Ulrich Herbert, doch versäumt es Meyer meiner Meinung nach, auf Ungenauigkeiten, Fehler und Nachlässigkeiten in der Studie einzugehen.
Ein weiterer schwerer Mangel dieser Rezension wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, auf welche Abschnitte aus Bests Leben Meyer sein Hauptaugenmerk richtet. Der SS-Stratege Best wird eigentlich nur in zwei verschiedenen Rollen vorgestellt: einmal als Administrator deutscher Polizeiarbeit und zweitens als windiger Nazijurist, dem es im Verdunkelungsklima der Nachkriegszeit beinahe ohne Probleme gelingen konnte, tragendes Teil der Adenauer-Gesellschaft zu werden. Beleuchtet man indes nur diese beiden Seiten Werner Bests, so wird dem Leser nicht recht verständlich, warum Uli Herbert mehrere Jahre wissenschaftlicher Arbeit ausgerechnet dieser eher unscheinbaren Figur aus dem zweiten Glied der NS-Hierarchie geopfert hat. Ahlrich Meyer scheint bei der Lektüre des Buches die Zweigesichtigkeit dieses Mannes entgangen zu sein, der keinesfalls immer folgerichtig und im Sinne seiner Vorgesetzten gehandelt hat. Die Rechnung SS-General und enger Mitarbeiter Heinrich Himmlers = bedingungsloser Nazischerge und Judenschlächter geht bei Best nicht so einfach auf.
Leider unterschlägt Meyer in seiner Rezension vollkommen Bests Tätigkeit als Bevollmächtigter des Deutschen Reiches in Dänemark von November 1942 bis zur Kapitulation 1945. Gerade ein Hinweis auf seine dortige Arbeit wäre dazu geeignet gewesen, das Dunkel um Werner Best zu erhellen und das Interesse des taz-Lesers zu wecken.
Es steht außer Zweifel, daß sich Best als Vordenker eines rassistischen Polizeistaatskonzeptes und auch als Planer der Judendeportation in Frankreich schlimmster Verbrechen schuldig gemacht hat, für die er mit lächerlichen neun Jahren Gefängnis natürlich nicht streng genug bestraft worden ist. Der gleiche Best war aber während seiner Tätigkeit in Dänemark auch dafür verantwortlich, daß es in Skandinavien 1945 nicht zu einem infernalen Shoot-out kam, den Dänen ein Reichskommissariat nach dem Muster Norwegens oder Hollands erspart blieb und Dänemark bis zum Kriegsende von seiner eigenen Regierung – einem Gremium liberaler und sozialdemokratischer Staatssekretäre – verwaltet wurde.
„Best kennt [im Gegensatz zu Norwegens Reichskommissar Terboven] nur die weiche Hand“, schrieb Goebbels 1943 in sein Tagebuch, und als im Oktober 1943 die Deportation der dänischen Juden durch Weitergabe der Aktionspläne an den dänischen sozialdemokratischen Politiker Hans Hedtoft scheiterte, entzog Hitler seinem Statthalter in Kopenhagen das Vertrauen. „Bei Best kommt ja doch alles vorher heraus“, beklagte sich Hitler gegenüber seinem Außenminister Ribbentrop im September 1944 und spielte dabei auf die nächtliche Flucht Tausender dänischer Juden über den Öresund nach Schweden an. Unter anderem dies und die Tatsache, daß insgesamt wirklich „nur“ 52 dänische Juden den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt haben, war wohl der Grund für Bests Begnadigung nach nur fünfjähriger Haft in Kopenhagen.
Die für den dänischen Widerstand so gefährliche Geschmeidigkeit des Reichsbevollmächtigten, die das eigentlich so liberale und freiheitsliebende dänische Volk jahrelang in eine weitgehende Kollaboration zwang, diese Charakterseite erwähnt Ahlrich Meyer nicht, und sie kommt auch bei Uli Herbert zu kurz.
Ungenügend waren zudem die Bildunterschriften der Rezension. Auf dem Foto, das Tagungsteilnehmer eines Polizeiausschusses im Jahre 1938 zeigte, hätte bei „Dr. Frank“ vielleicht noch der Zusatz „späterer Generalgouveneur in Polen“ stehen können. Bei dem zweiten Bild, das Best im Jahre 1987 zeigte, scheint bei Meyer die Phantasie durchgegangen zu sein. „Best 1987, wie ihn sein Freund, der dänische Rechtsextremist S. Matlok, sah“, steht als Erklärung darunter.
Siegfried Matlok, der der deutschen Minderheit in Nordschleswig/Südjütland angehört und das Minderheitenblatt Der Nordschleswiger in Apenrade/Aabenraa herausgibt, ist meines Wissens Sozialdemokrat und war 1994 maßgeblich daran beteiligt, den deutschen Altnazi Thies Christoffersen aus seiner rechtsextremistischen Kommandozentrale im südjütischen Baurup zu vertreiben. Derselbe Matlok war es, der 1987 Bests Bericht über seine Zeit als Reichsbevollmächtigter in Dänemark herausgegeben und mit einem Interview angereichert hat. Dieses Buch, „Dänemark in Hitlers Hand“, ist in der Tat ärgerlich, weil Matlok es als Herausgeber an vielen Stellen versäumt hat, Bests verlogene Behauptungen richtigzustellen. Gewiß war Matlok während des Interviews von der Geistesschärfe und der spielerischen Eloquenz des alten Best beeindruckt, und vielleicht hat er sich von dem geübten Gewohnheitsverbrecher Best dabei um den Finger wickeln lassen. Ihn aber deswegen als Bests alten Freund zu diffamieren, ist böswillig und geht an den Tatsachen vorbei.
Vielleicht wäre Ahlrich Meyers Urteil über Werner Best ausgewogener ausgefallen, wenn er sich mit dem Stand der dänischen Historiographie zur deutschen Besatzungspolitik vertraut gemacht hätte. Wärmstens zu empfehlen ist die leider nur in dänischer Sprache erschienene Studie „Dr. Werner Best og tysk besaettelsespolitik i Danmark 1942-1945“ (Best und die deutsche Besatzungspolitik in Dänemark) von Björn Rosengreen, Odense 1982. Detlev Hauswaldt, Berlin
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