■ Die Konjunkturdaten signalisieren eine Beinahe-Rezession: Im Schatten des Rotstifts
Die soeben veröffentlichten herben Konjunkturdaten für das erste Quartal 1996 überraschen nicht. Das Bruttoinlandsprodukt ist gegenüber dem Vorjahr um nur 0,3 Prozent gestiegen, gegenüber dem letzten Quartal 1995 um 0,5 Prozent gesunken, in Ostdeutschland stagniert es. In der Folge dieser „Wachstumspause“ oder „Konjunkturdelle“, so die offizielle Lesart, stieg die registrierte Arbeitslosigkeit in Deutschland um 10 Prozent.
Was sind die Ursachen dieser Quasi-Rezession, die seit Mitte 1995 bereits anhält und nach US-Sprachgebrauch durchaus als Rezession zu bezeichnen ist? Während die Exporte wieder anziehen, ist die inländische Nachfrage unverändert schlapp. Vor allem sind es die Bauinvestitionen, die nach langen Jahren der Baukonjunktur in Westdeutschland eingebrochen sind, weil die Wohnungsbauförderung abgebaut wurde, die öffentlichen Investitionen zurückgehen und die allgemeine Entwicklung der Masseneinkommen das Bauen nicht gerade stimuliert. Darüber hinaus bremst die Konsolidierungswut des Staates: Er betreibt klassische prozyklische „Parallelpolitik“, um die vereinigungsbedingte Nettoneuverschuldung zu drücken, die Steuern zu senken und die Maastricht- Verschuldungsmarge zu erreichen. Die Konjunkturdaten liegen im Schatten des Rotstifts aller Finanzminister. So kann durchaus von einer Beinahe-Rezession durch die staatlichen Rotstifte gesprochen werden.
Hinzu kommt, daß der Aufschwung Ost beendet ist, obwohl der Aufbau Ost erst zur Hälfte erreicht ist. Im kommenden Jahr ist in den neuen Ländern – laut Ifo-Institut – mit einem Rückgang der ostdeutschen Investitionen um 5 Prozent zu rechnen. Die ostdeutsche Staatskonjunktur der Jahre 1991 bis 1995 ist zu Ende, bis Ende der 90er Jahre ist nur mäßiges Wachstum zu erwarten, kaum mehr als in den alten Ländern. Da aber die Produktivität weiter massiv steigen wird, wird die ostdeutsche Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr wieder drastisch ansteigen.
Alles andere als sicher ist die Annahme, man brauchte nur auf das zweite Halbjahr zu warten, bis der Silberstreif am Horizont erscheint. Die Alternativen zum Abwarten? Kurzfristig gilt: Die Bundesbank sollte die Zinsen weiter senken (siehe Japan), die Finanzpolitik muß wenigstens auf konjunkturneutrales Gebaren umschalten, und die Tariflöhne müssen produktivitätsorientiert steigen. Jan Priewe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen