: War die Hand im Spiel?
30 Jahre später: Gefeierte und Gescheiterte der Europameisterschaft 1996 in England diskutieren über die dramatischen Ereignisse von damals ■ Von Matti Lieske
Wir schreiben das Jahr 2026. In wenigen Tagen beginnt in England mit 64 Mannschaften das zweimonatige Turnier um die Fußballweltmeisterschaft. Aus diesem Anlaß hat die taz eine Gesprächsrunde mit Protagonisten der Europameisterschaft 1996 zusammengerufen, dem letzten großen Fußballereignis, das auf der Insel stattfand.
taz: Hand aufs Herz, Herr Stoitschkow. Jetzt können Sie es ja sagen. War bei Ihrem Goldenen Tor in der Verlängerung des Endspieles gegen Deutschland die Hand im Spiel?
Hristo Stoitschkow (60): Ich schwöre Stein und Bein, es ging alles mit rechten Dingen zu.
Oliver Kahn (56): Lügner, elender. Als ich den Ball aus dem Tor holte, habe ich ja noch deine Fingerabdrücke darauf gesehen.
Stoitschkow: Das werden wohl deine Fettgriffel gewesen sein.
Kahn: Ha. Angeschmiert. Ich trug Handschuhe.
Thomas Häßler (60): Ich habe mir den Ball gleich geschnappt und nach der Siegerehrung sofort zu Scotland Yard gebracht. Aber die haben nur Sprengstoffspuren und die Fingerabdrücke eines irischen Terroristen gefunden. Ich glaube, der sitzt heute noch.
taz: Reden wir von etwas anderem. Herr Beckenbauer, wie konnte diese Niederlage in Wembley passieren?
Lothar Matthäus (65): Mit mir wären wir Europameister geworden.
Beckenbauer (80): Lothar!
Matthäus: Der Klinsi hat mich angeschwärzt.
Beckenbauer: Lothar, sei ruhig!
Matthäus: Ich sag' nie mehr was.
taz: Also, Herr Beckenbauer?
Beckenbauer: Jo mei. Da kannst halt nix machen. Die Bulgaren hatten die beste Mannschaft der Welt. Natürlich hätten wir gewinnen müssen, weil wir die besseren Fußballer waren und normalerweise kein Bulgare und auch sonst niemand gegen uns gewinnen kann. Aber so ist eben Fußball. Manchmal gewinnen die einen, manchmal verlieren die anderen. Das ist Naturgesetz.
taz: Danke, Herr Bundespräsident, für diese Analyse.
Matthäus: Mit mir wären wir Europameister geworden.
Beckenbauer: Lothar!
Matthäus: Angeschwärzt!
taz: Herr Häßler, der Bundestrainer Vogts hatte Ihnen ja damals ein ganz neues taktisches System beigebracht.
Häßler: Richtig. Wir nannten das Verschieben oder Pressing. Der Berti ist zufällig beim Zappen darauf gestoßen. Eigentlich suchte er eine Sendung über sibirische Wüstenbären, die wurde aber verschoben, und er ist plötzlich in ein Spiel vom AC Mailand geraten. Er war sofort begeistert und hat ziemlich mit dem Bonhof geschimpft, weil der ihm nicht gesagt hat, daß Mailand schon zehn Jahre so spielt.
taz: Wie hat die Mannschaft die Neuerung aufgenommen?
Häßler: Zwiespältig. Der Berti meinte, daß wir so weniger rennen müßten. Wir sagten: Trainer, das ist doch Scheiße. Rennen können wir ja am besten. Müßt ihr euch eben umstellen, hat er gesagt.
taz: Bis zum Finale hat das ja ganz gut geklappt. Herr Stoitschkow, wie haben Sie sich denn auf diese heimtückische Taktik der Deutschen eingestellt.
Stoitschkow: Das war ganz einfach. Unser Trainer hat gesagt: Wenn die nach rechts verschieben, geht ihr einfach links durch. So haben wir es dann ja auch gemacht.
taz: Können Sie sich denn noch an einige deutsche Spieler erinnern?
Stoitschkow: Klar. Da war zunächst mal King Kong.
taz: Wie bitte?
Stoitschkow: So nannten wir den deutschen Torwart.
Kahn: Grrrr.
Stoitschkow: Dann dieser dürre Kerl auf der rechten Seite, der fast so gut Freistöße schießen konnte wie ich. Wenn der in meine Nähe kam, dachte ich immer, der Schiri hätte das Spiel unterbrochen. Dabei war es nur seine Lunge, die so gepfiffen hat. In der Halbzeit hat er mich nach einer Kippe gefragt.
taz: Interessant.
Stoitschkow: Dann dieser Rotkopf, der schon wenn er aus der Kabine kam, immer so zerschunden und blutig aussah wie Bruce Willis am Ende von „Die Hard“. Und dieser rasende Zwerg im Mittelfeld.
Häßler: Icke.
Stoitschkow: Genau. Und Klinsmän natürlich.
Matthäus: Der hat mich angeschwärzt.
taz: Herr Beckenbauer. Sie haben ja vor dem Finale kurzfristig die Mannschaft übernommen, nachdem DFB-Präsident Braun den Vogts nach Hause geschickt hat, weil dieser während des Halbfinales lieber in den Zoo gegangen ist. Was haben Sie anders gemacht?
Beckenbauer: Jo mei, in zwei Stunden kannst halt nicht viel bewegen. Ich bin zur Mannschaft und hab denen gesagt: Gehts raus und g'winnts. Hätte ja auch geklappt, wenn dieser Ganove seine Pfoten bei sich behalten hätte.
Stoitschkow: Noch ein Wort, Opa, und du kannst die Pfoten aus der Nähe kennenlernen.
taz: Äh, zum Abschluß sollten wir vielleicht lieber noch einen Blick auf das kommende Turnier werfen. Wer gewinnt?
Matthäus: Mit mir werden wir Weltmeister.
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