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Der Klang von flüssigem Beton

Blanke Wilde, feine Fotos und knochige Konzeptkunst: Michael J.Wewerka feiert den 60. Geburtstag mit einer Retrospektive seiner Galerie  ■ Von Ulrich Clewing

Alles neu, alles nur für dieses eine Mal gemacht: das Café, der Büchertisch, der Popkornautomat, plus – nicht zu vergessen – rund 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, frisch geweißelt und ausgefegt. Kein Zweifel, die „Interims- Kunsthalle“, für zwei Monate auf dem Gelände der Kulturbrauerei zwischengelandet, ist zuallererst ein Geschenk des Schenkenden an sich selbst.

Michael J. Wewerka hat sich, wie schon oft in den vergangenen 22 Jahren, nicht lumpen lassen. Und zum Jubiläum seiner Galerie, das in feinsinniger Koinzidenz mit dem eigenen 60. Geburtstag zusammenfällt, eine Ausstellung eingerichtet, die allein schon durch ihren Umfang Züge einer Retrospektive trägt. Rund 500 Arbeiten von 130 internationalen Künstlern, darunter Sophie Calle, Christian Boltanski, Sarkis, Katharina Karrenberg, Ilya Kabakov, Ulrich Meister, Raphael Rheinsberg sowie Guillaume Bijl, haben Wewerka und die Kuratorin Klara Wallner aus dem Fundus der Galerie zusammengetragen. Verschiedene Leihgeber steuerten Werke bei, so daß die Besucher der Kulturbrauerei ein Panorama von zwei Jahrzehnten junger Kunst erwartet. Manches ist inzwischen in großen Museen zu sehen, anderes zeigt, wenn es sich schon nicht in dem gewünschten Maß hat durchsetzen können, zumindest die Passion des Galeristen Wewerka.

Er hat sich nie an eine bestimmte Kunstrichtung binden mögen. Gleichberechtigt findet sich hier heftige Malerei neben knochentrockenem Neokonzeptualismus, in Wewerkas Sammlung haben Rauminstallationen ebenso ihren festen Platz wie Videokunst, Fotoarbeiten und Spaßkunst à la Fritz Heisterkamp, von dem die komische Fake-Produktwerbung „Glück durch Zugriff“ am Aufgang zum ersten Stock der Interims-Kunsthalle stammt.

Der Rundgang beginnt mit Arbeiten der 1950 geborenen belgischen Künstlerin Marie Jo Lafontaine. Ein starker Einstieg: „L'étoile filante“ (1980/81), die „Sternschnuppe“, ein auf eine dunkelgraue Stahlplatte montierter, mittels brennbaren Gases entzündbarer Judenstern, ist eine schockierende Ikone des Verlusts. Auf ganz andere Weise schmerzhaft präsentiert sich daneben Wolf Vostell, der Hau-drauf-und- Schluß unter den deutschen Fluxus-Adepten, mit Überbleibseln seiner Aktion „Die Nackten und die Toten“. Vostell traktierte damals im Dezember 1983 in der Wewerka-Galerie – begleitet von der Sängerin Nancy Betton – ein Klavier mit Preßlufthammer, H-Milch und flüssigem Beton. Jetzt steht das malträtierte Musikinstrument als Happening-Relikt da, und die Klänge, die seinerzeit entstanden, legen sich düster und schwer über die Räume der Kulturbrauerei.

Doch hat Wewerka, und vielleicht liegt darin sein eigentliches Verdienst, Kunst nie als Vehikel für die eigene Egomanie verstanden. Bei seiner Tätigkeit als Galerist konnte er sich auf Mitarbeiter verlassen, deren künstlerischen Vorstellungen er großzügig Raum gewährte. Zuerst Michael Schultz, dann Barbara Weiss (beide sind mittlerweile selbst mit Galerien in Berlin vertreten), beide haben zu ihren Zeiten das experimentierfreudige Image der Wewerka-Galerie entscheidend mit geprägt.

So erinnern Arbeiten von David Hammonds, Ilya Kabakov, Katharina Karrenberg und Maria Eichhorn an die großen, von Barbara Weiss 1990/91 zusammengestellten und im Rückblick für die Berliner Kunstszene immens wichtigen Themenausstellungen „1,2,3“ und „Heimat“. Anderen Künstlern wie dem Österreicher Thomas Wörgötter, der in seinen Fotoarbeiten die unendlichen Variationen des Immergleichen zelebriert, ist Wewerka bis heute verbunden.

Am Ende ein Ausblick: Als Dreingabe zum Jubiläum organisierte Klara Wallner eine Ausstellung mit jungen KünstlerInnen, die zeigen soll, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte – falls Wewerka seine Absichten nicht doch noch wahr macht und mit der Galeriearbeit endgültig aufhört. Titel der Schau: „Macht der Verführung“. Ein Motto, das zur Vergangenheit genauso gut passen würde.

Bis 28. Juli, Interims-Kunsthalle in der Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, Di.–So. 15–21 Uhr. Informationen zum Begleitprogramm mit Videovorführungen und Vorträgen über die Galerie Wewerka, Tel. 4826662

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