■ Buchtip: Viel Gischt um nischt
Mehr als 4.000 Opfer eines Fährunglücks vor den Philippinen im Jahre 1987 und über 900 Ertrunkene der Estonia: Sie haben einen Mythos wachgerufen, der die Mitglieder Titanic Historical Society in Kalifornien genauso zuschammenschweißt wie die members of the British Titanic Society und anderer Katastrophen-Clubs. Der Titanic-Stoff füllt Bibliotheken und Archive, und immer wieder ist der Markt reif für ein neues Buch.
Zwei Männer, denen es Dampfer angetan haben, spannen das Garn zu einem neuen Titanic-Stoff: Robin Gardiner, ein Titanic-Spezialist, und Dan van der Vat, früherer Auslandskorrespondent der Times und Chef des Auslandsressorts beim Guardian, außerdem Autor marinegeschichtlicher Bücher.
Von seinen Kenntnissen zehrt vor allem das erste Drittel des Buches. Hier werden Persönlichkeiten, Firmengeschichte, Besitzverhältnisse und Marktstrategien der englischen und amerikanischen Reedereien aus dem sogenannten Goldenen Zeitalter Englands skizziert.
Die Hypothese Gardiners und van der Vats: Nicht die Titanic, sondern die fast baugleiche Olympic wurde auf die Jungfernfahrt geschickt. Diese hatte sich durch eine schwere Havarie aufgrund technischer Mängel Schäden zugezogen, für die keine Versicherung einsprang. Sie verbrachte mehr Zeit im teuren Dock als im lukrativen Passagierdienst. Man wollte, so die Vermutung der Autoren, die Olympic notdürftig flicken, sie dann sanft mit einem Eisberg kollidieren und darauf langsam in die Tiefe gleiten lassen.
Alle Passagiere sollten von Schiffen der Schwesterreedereien, die sich in der Nähe der Unglücksstelle aufhielten, übernommen werden: „Die Olympic wird mit der Versicherung der Titanic abgeschrieben, während letztere unter dem Namen ihrer Schwester noch 23 Jahre lang unterwegs ist.“
Auf den ersten Blick eine bestechende These. Doch sie trägt gerade bis zur Mitte des Buches. Zweifel kommen auf: Wie soll die Olympic, die schon Spuren eines ganzen Betriebsjahres trägt – von 20.000 Arbeitern unbemerkt –, zur brandneuen Titanic umgewidmet werden können? Um so ein Verwechslungsdrama zu inszenieren, hätten Hunderte mitspielen und gute Schweigegagen kassieren müssen.
Den Beweis für ihre Theorie bleiben uns die Autoren bis ans Ende schuldig. Vieles, was ihre These unterstützen könnte, wird bedeutungsvoll aufgebauscht und wenig später wieder als untauglich fallen gelassen. Die Autoren hätten uns mit dieser trüben Gischt besser verschonen sollen. Uwe Wandrey
Robin Gardiner, Dan van der Vat: „Die Titanic-Verschwörung. Die Geschichte eines gigantischen Versicherungsbetrugs“. C. Bertelsmann, 410 Seiten, 44,80DM
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