: Inselhüpfen
Eine Fahrt in einer „Nußschale“ zu den schottischen Inseln Iona und Staffa ■ Von Hans-Günter Semsek
Zwei Autostunden von Glasgow entfernt liegt an der schottischen Westküste das achttausend Einwohner zählende Städtchen Oban. Der gälische Name bedeutet „kleine Bucht“, und an einer solchen reihen sich die blitzblanken Häuser des Ortes entlang. Seit über einem Jahrhundert ist Oban einer der bedeutenden Touristenorte im „Alaska Großbritanniens“; im August 1858 schon standen Theodor Fontane und Freund Bernhard von Lepel recht niedergeschlagen im Caledonian Hotel, das „besetzt war bis unters Dach“. Schließlich kamen die beiden bei einer schnurrbärtigen Bed& Breakfast-Wirtin unter, aus deren Küche „der Fettbrodem etwas zudringlich“ ins Freie strömte. Nein – zufrieden mit ihrer Unterkunft waren sie keineswegs.
Fast ein Jahrhundert zuvor, im August 1773, schätzten sich der berühmte Dr. Samuel Johnson – dessen Einfluß auf die britische Literatur mit dem Wirken Goethes in Deutschland vergleichbar ist – und sein Biograph James Boswell glücklich, nach Strapazen in dem Weiler überhaupt einen erträglichen Gasthof gefunden zu haben.
Einzige Sehenswürdigkeit im atmosphärereichen Städtchen ist ein Folly, eine typisch englische Torheit. Hoch über dem Ort ragt der MacCaig's Tower auf, den der Bankier MacCaig zwischen 1897 und 1900 in Form des römischen Kolosseums errichten ließ – wie es heißt, um die Arbeitslosigkeit in der Stadt zu bekämpfen. Das Monument blieb unvollendet, denn nach dem Tode des Philanthropen stoppten seine Erben die geldverschlingende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Von dort oben sieht man den Hafen, die Stadt und die im Meer liegenden Inseln.
Und wegen der Inseln kommt man nach Oban! Machen wir uns also auf und nehmen die Morgenfähre zur Isle of Mull. Die Überfahrt dauert nur eine knappe halbe Stunde, dann rollt man im Hafen des Weiler Craignure schon wieder aus dem Bauch der Fähre. Quer über die Insel führt eine landschaftlich sehr schöne Strecke zum am anderen Ende des Eilands gelegenen Pier von Fionnphort. Auf der Isle of Mull verlor Dr. Johnson seinen Spazierstock; später räsonierte er, welchen Wert seine hölzerne Gehhilfe auf einem baumlosen Eiland wohl habe.
Am Pier von Fionnphort geht es zusammen mit einem Schwung weiterer Besucher an Bord einer kleinen, zu drei Vierteln offenen Nußschale. Auch bei schönem, windstillem Wetter ist der Wellengang beträchtlich – herrscht doch ein starker Tidenhub zwischen den Eilanden –, und man braucht eine wasserdichte Jacke; Spritzwasser, sogar große Brecher spülen immer wieder über die niedrige Schanz, viele Passagiere werden seekrank. Nach 45 Minuten Fahrt ist die Insel Staffa erreicht.
Auch Fontane besuchte während seiner Schottlandreise das Naturwunder und hinterließ uns eine exakte Beschreibung: „Staffa ist kaum eine Viertelmeile lang, etwa 500 Schritt breit und 150 Fuß hoch. Das gibt eine Felsmasse, die auf der weiten Fläche des Ozeans so bescheiden daliegt wie ein Feldstein auf einem Ackerfeld, und wenn die Wellen hoch gehen, muß Staffa kaum zu sehen sein. Als wir uns näherten, erkannten wir deutlich die drei Schichten, aus denen es sich aufbaut. Tuffstein, der die Fläche des Ozeans wenig überragt, bildet das Fundament; auf demselben erheben sich die sechzig Fuß hohen Basaltsäulen, die dann wiederum eine formlose Felsmasse als kompaktes Dach und auf demselben eine dünne Erdschicht tragen. (...) Staffa, als Gott Vulkan sein Werk getan und zehn- oder hunderttausend Basaltsäulen an dieser Stelle ans Licht geschickt hatte, stand da wie ein festgeschnürtes Bündel steinerner Tannen.“
Es sind diese von der Natur ganz regelmäßig geformten Basaltsäulen, die seit 1772 die Besucher in Erstaunen versetzen und dem Eiland den namen Stabinsel einbrachten. In jenem Jahr nämlich besuchte Sir Joseph Banks, der mit James Cook die Welt umsegelt hatte, den Felssplitter im Meer und berichtete seinen staunenden Zeitgenossen davon. Als man dann die große Inselhöhle nach dem allseits bekannten mythischen Gälenkönig Fingal benannte und damit die Verbindung mit der eigenen glorreichen Historie knüpfte, strömten die Besucher dorthin, unter ihnen viele große Geister: John Keats, William Turner, William Wordsworth, selbstverständlich Queen Victoria, Walter Scott, der Hofdichter Tennyson und Felix Mendelssohn Bartholdy. Letzterer war so angetan von dem rauhen Naturereignis, daß er sich zu der Hebriden-Ouvertüre inspirieren ließ.
Schon bei leichtem Wind gehen die Wellen so hoch, daß an ein Anlegen nicht zu denken ist, und die kleine Nußschale hüpft im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Ball auf den Wogen. Ist es jedoch ruhig auf dem Meer, so daß das Anlegemanöver gelingt, dann sollte der Besucher nach der Besichtigung der Höhle auf die Ostseite des kleinen Eilands herüberspazieren. Hier findet man nämlich ein Naturereignis ganz anderer Art, denn in Erdlöchern nistet eine Papageientaucherkolonie; die Vögel mit ihren orangeroten Beinen und dem gelbrotschwarz gestreiften Schnabel scheinen an Menschen gewöhnt zu sein und watscheln bis auf Armeslänge heran.
Von Staffa dann nimmt das Bötchen Kurs auf die Insel Iona – „unter den heiligen Plätzen des Landes der heiligste“, wie Fontane bemerkte. Und Dr. Johnson und James Boswell hatten bei ihrer Landung folgende Gedanken im Kopfe: „Wir betraten nunmehr jene berühmte Insel, die vormals die Leuchte der kaledonischen Gegend war, woher wilde Stämme und herumschwärmende Barbaren die Früchte der Wissenschaft und die Segnungen der Religion schöpften.“
Im Jahre 563 landete der irische Abt Columban d.Ä. mit zwölf getreuen Anhängern auf dem kleinen Eiland. Der Heilige befand sich auf dem Weg in die selbstgewählte Verbannung. Seine Halsstarrigkeit gegenüber dem König von Munster hatte eine militärische Auseinandersetzung provoziert, in der – wir folgen der Überlieferung – 3.000 Recken ihr Leben ließen. Dafür Buße zu tun war fortan das Lebensziel des Kirchenmannes. Die gläubigen Männer bauten Unterkünfte, ihre Kirche und machten das Land urbar. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte überfielen die Wikinger ein um das andere Jahr diesen geistlichen Ort, drangsalierten die Mönche. Anfang des 9. Jahrhunderts kam es zu einem schlimmen Massaker. Die blutrünstigen Nordmänner töteten 68 Mönche, die Überlebenden flohen nach Irland in die Abtei von Kells. Im Gepäck hatten sie das fast fertige Evangelienbuch, das heute unter dem Namen „Book of Kells“ weltbekannt ist.
Über 200 Jahre lang ließen sich Könige auf Iona – auch Icolmkille, Insel der Zelle Columbans genannt – begraben. Insgesamt ruhen hier die sterblichen Überreste von 48 schottischen, vier irischen und acht norwegischen Herrschern. Diese Tradition begann im Jahre 860 mit der Bestattung von Kenneth MacAlpin, dem ersten König der Pikten und Schotten; 1057 fand Macbeth hier die ewige Ruhe neben seinem Opfer Duncan. Auch Shakespeare wußte darüber: „Wo ist der Leichnam Duncans?“ fragt Rosse, und MacDuff antwortet: „Fort gen Westen, nach Icolmkille, dem Beinhaus seiner Ahnen.“
Für Furore sorgte Iona dann wieder 1.000 Jahre später; der Duke of Argyll, Eigentümer des kleinen Eilands, benötigte Geld, um seine horrend hohen Erbschaftssteuern zu begleichen. So schaltete der Adlige im Mai 1979 Anzeigen im Wall Street Journal und in der New York Times und bot Iona für 3 Millionen Pfund weltweit zum Verkauf an. Von Land's End im Südwesten bis Duncansby Head im Nordosten durchzog ein Aufschrei der Entrüstung das Inselreich.
Der National Trust publizierte einen Spendenaufruf nach dem anderen, doch kamen nur 600.000 Pfund zusammen; eine nationale Katastrophe bahnte sich an, derweil neureiche Amerikaner ihre Angebote stetig erhöhten. Da sprang Sir Hugh Fraser, in jenen Tagen Eigner des Londoner Kaufhauses Harrod's, in die Bresche und stiftete dem Trust 1,5 Millionen Pfund. Iona – wir hören es mit großer Erleichterung – ist nicht in die Hände eines kulturlosen Amerikaners gefallen.
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