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Der Deutschen liebste Kleinkunst

■ Kabarett auf Kampnagel und Hollaender im TiK: zwei Abende am Wochenende

Kabarett-Revue

Kabarett ist wie Stadtteilkultur. Es geht bunt und durcheinander zu, überall gibt es etwas zu lachen, und mitten im politischen Mief sollen wenigstens mikrokulturell verstärkte Kommunikationsanstrengungen unternommen werden. Aber Kabarett ist auch wie die SPD, die tümelnde oppositionelle Kraft, die sich inhaltlich stets selber abschafft. Eine solche Kraft, die zum Lachen bringen will, steckte in den Reden, Chansons und skurrilen Reflexionen der Mitwirkenden der Revue zum 10jährigen Jubiläum des Kabarettfestivals auf Kampnagel. Horst Schroth ließ zu Beginn noch einmal das Jahr 1987 Revue passieren. Dem Verweis auf den Schrecken, nach einer Legislaturperiode die zweite unter der Führung des „Mega-Pfälzers“ durchmachen zu müssen, folgte eine Betrachtung über die alten Grenzen des Landes: „Die schlanke BRD mit dem kecken Hüftschwung.“ Achim Konejung interviewte daraufhin den fröhlichen, von Schroth dargestellten Neu-Kapitalisten Stanislaus Krawattka, der zur Zeit der Wiedervereinigung und nach 10 Tagen im Westen viel zu schnell gelernt hat, das eigene Wohlergehen vor sozialer Ungerechtigkeit durchgehen zu lassen. Der ehemalige Tornado Arnulf Rating berichtete, wie die Bewohner der neuen Bundesländer ihre von der Bundesregierung überlassenen 100 Mark Amüsiergeld umgehend in Jeans anlegten und die jeansführenden Kaufhäuser ihre Einnahmen umgehend zu den Banken zurückbrachten, in welchen dieses Geld ausgegeben worden war. So wurde das Amüsiergeld nie knapp.

Nach Ratings, Konejungs und Schroths Auftritten vereinten sich die drei mit Verstärkung, um singend noch einmal den „Reichspolterabend“ von 1990 zu begehen. Es handelte sich um ein Potpourri aus bekannten Melodien von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart, von den vier Kabarettisten mit aktualisierten Texten bestückt. Auch wenn seit Piscator und Brecht ein dialektischer Umgang mit Melodien und Texten anderer etabliert ist, bleibt doch eines anzumerken: Ein Stück wie „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ haben vor Schroth, Konejung und Rating nicht nur andere in den 40er Jahren textlich bearbeitet, sondern mit der Bearbeitung auch das propagandistische Ziel verfolgt, den Durchhaltewillen bei der Luftschlacht um England zu stärken. Von diesen anderen unterscheidet die Kabarettisten auf Kampnagel sicher der Standpunkt. Aber es wäre möglich, daß sich nicht nur die Lacher damals und heute zu ähneln beginnen. Wenn Jahrzehnt um Jahrzehnt und Tucholsky um Engholm immer wieder jemand die Frage stellt, was Satire darf, dann evozierte die Veranstaltung auf Kampnagel umgekehrt die Frage, was die Kabarettisten eigentlich noch sollen. Gag-Schreiber für Harald Schmidt werden? Kristof Schreuf

Hollaender im TiK

Die Theater-, Film- und Restwelt hat ihm weit mehr zu verdanken als jede Menge fesche Lolas, von Kopf bis Fuß auf Diven eingestellte Halbdiven und auf Tangogeier eifersüchtige Sozialpartner. Und weil Easy Listening und plüschige Kulturstätten angesagt sind, herrscht Hochkonjunktur für Friedrich Hollaender. Vor allem die Meister des Spieles mit den Geschlechtern – wie Tim Fischer, Georgette Dee oder Jo van Nelsen – bereiten ihm ein Revival, doch auch Traditionstheater graben seine frechen Worte und verläßlichen Melodien immer wieder gerne aus. Gerade jetzt, wo sich Hollaenders Geburtstag (am 18. Oktober) zum hundertsten Mal jährt. Kitsch Tango – Ein Abend mit Liedern von Friedrich Hollaender heißt der Ehrerbietungs-Beitrag im TiK, der am Samstag Premiere feierte.

Sich vom Mega-Musical-Wahn der nah und entfernt Verwandten distanzierend, leistet die TiK-Crew (Regie: Barbara Kröger) eine schlichte Singspiel-Gestaltung: kein übermäßiger Prunk, kein langanhaltendes Vibrato der Stimmbänder. Die zwölfhändige Kapelle und sechsköpfige Sänger-Schauspieler-Gruppe befindet sich in der „Bar bei Inge“, wo ganz normale Nachbarn ihr Gläschen trinken. Auch eine Rahmenhandlung existiert nur andeutungsweise, verzichtet auf sinnloses Zusammenschweißen. In der Hauptrolle singt und spielt Angelika Thomas so, wie es sich für eine 20er-Jahre-Inge gehört. Sogar ihr Aussehen – nicht wirklich schön, aber betörend für die Männer des Viertels – paßt gut zur Rolle.

Schade aber, daß sich neben der Gesamt-Inszenierung auch die Liebe zum Detail eher zurückhaltend gibt: So findet der Zuschauer eine Strumpfhose statt der begehrten Strapse vor, als Inge ihren Rock zum Tanze lüftet. Und Edgar Bessen als Wirt serviert zwar toll ge- stylte Cocktails, doch holt er die fertig unter der Theke hervor, statt unterhaltsam zu shaken. Trotzdem: Eineinhalb Stunden lang bringen Hollaender-Lieder Spaß. Nur als die Musiker sich nach der x-ten Verbeugung erneut an die Instrumente setzen, wird Zuschauer-Stöhnen laut: „Etwa noch eine Zugabe?“ Nele-Marie Brüdgam

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