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Die Genossen sprechen sich Mut zu

Ostdeutsche SDPler tagten und suchten ihre zweite politische Chance. Unkonventionelle „Experimente“ auf dem Arbeitsmarkt sollen neue Stellen bringen  ■ Aus Leipzig Christoph Seils

Auf dem Podium sitzt Oskar Lafontaine und grinst verlegen. „Im Osten spielt die Musik!“ ruft Reinhard Höppner ins Auditorium. Und zu Recht fühlt sich der Gast aus dem fernen Saarland angesprochen. Der Ministerpräsidentskollege aus Sachsen-Anhalt gibt sich kämpferisch. Wenn er gegen die „Arroganz“ der westlichen Leistungsgesellschaft wettert oder westdeutsches „Besitzstandsdenken“ anprangert, dann tobt der Saal. Und der stellvertretende SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse legt nach: Die SPD dürfe nicht länger „leisetreten“. Selbstbewußte Töne kommen an bei ostdeutschen Sozialdemokraten.

600 Mitglieder und Sympathisanten der SPD trafen sich am Samstag in Leipzig zur ersten Sitzung des „Forums Ostdeutschland“ der SPD. „Netzwerk Zukunft: Für Ostdeutschland eine zweite Chance!“, so der vielsagende Titel der Veranstaltung. Das Forum solle „ostdeutsche Interessen organisieren und ostdeutsche Kompetenz bündeln“, formulierte Berlins Arbeitssenatorin Christine Bergmann. Doch gleichzeitig war es der Versuch, den innerparteilichen Ost-West-Konflikt zu kanalisieren und den Einfluß der Ost- SPD in der Bundespartei zu stärken. Doch die innerparteilichen Machtverhältnisse stellte ein Genosse aus Nordrhein-Westfalen rasch klar, schließlich gebe es allein in der Stadt Dortmund mehr GenossInnen als im gesamten Osten.

Rund 28.000 haben sich zwischen Rügen und dem Thüringer Wald bei der SPD eingeschrieben. Den Eindruck jedoch, im „Forum Ostdeutschland“ solle einem „ostdeutschen Separatismus“ das Wort geredet werden, versuchte Manfred Stolpe zu entkräften: „Die Hilfen für den Osten sind kein Gnadenbrot, sondern Auftrag des Grundgesetzes.“ Er könne sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß Ostdeutschland einmal mehr als „Experimentierfeld“ genutzt werden soll: „Diesmal nicht von Realsozialisten, sondern von Manchesterkapitalisten.“ Experimentieren will allerdings auch Reinhard Höppner. „Deutschland braucht mehr Spielraum für Experimente“ fordert er im schönsten Unternehmerdeutsch und denkt dabei an die Arbeitsmarktpolitik. Mit dem Geld der Bundesanstalt für Arbeit würde er zeigen, daß sich damit auf dem zweiten und dritten Arbeitsmarkt auch unkonventionell neue Arbeitsplätze schaffen ließen.

Der Mut soll mit Geld aus Bonn unterstützt werden

Wenn die Bundesregierung nicht den Mut habe, moderne Regelungen in ganz Deutschland einzuführen, so der Ministerpräsident, „dann soll sie wenigstens dem Föderalismus eine Chance geben und in ihre Gesetze Experimentierklauseln einbauen, die es einzelnen Landesregierungen gestatten, auf neuen Wegen Erfahrungen für ganz Deutschland zu sammeln.“

Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine lauscht, teils gequält, teils nachdenklich, und macht sich fleißig Notizen. Sein vorbereitetes Manuskript läßt er links liegen. Er warnt vor ostdeutscher „Kirchturmpolitik“, denn nur gesamtdeutsch könne das „Fundament der sozialen Marktwirtschaft“ erneuert werden. Schnell allerdings geht er zu Grundsätzlichem über, redet mehr über die Weltwirtschaft als über die ökonomischen Probleme der neuen Bundesländer, verliert sich zwischen dem Schein des amerikanischen Jobwunders und der Überlegenheit der deutschen Wirtschaft gegenüber den ostasiatischen Tigern. Für die Ostdeutschen hat er nur einen schwachen Trost parat. Es habe keinen Sinn, die Menschen hier länger zu belügen, mahnt er mit Blick auf Kanzler Kohl. Die wirtschaftliche Angleichung an den Westen werde noch viele Jahre dauern.

Von „Mut“ ist bei den Genossen viel die Rede. Vom „Mut zur Wahrheit“, vom Mut mit „Phantasie und Kreativität“, neue Arbeitsplätze zu schaffen. „Mutmachveranstaltung“ tauft ein Besucher die Tagung, doch wenn der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse die Ostdeutschen in einem kulturphilosophischen Vortrag dazu aufruft, „kämpferischer und selbstbewußter“ zu werden, dann macht es eher den Eindruck, als hätten viele ostdeutschen SPDLer den Mut längst verloren.

Während Thierse die verlorengegangene „kulturelle Deutungsmacht“ über die ostdeutschen Biographien bejammert und Reinhard Höppner „unkonventionelle Rezepte“ zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zusammenträgt, hängen drei magische Buchstaben in der schwülen Luft des Kongreßzentrums. Die PDS ist ständig präsent, aber kaum einer wagt, über die Konkurrenz zu sprechen. Sozialdemokraten haben das Thema mit einem Bann belegt. „Wir werben zunächst für unsere Politik und unsere Ziele“, betont Oskar Lafontaine auf der Pressekonferenz. Demonstrativ hat der SPD-Landesvorsitzende von Mecklenburg- Vorpommern, Harald Ringstorff, unter den Journalisten Platz genommen, während Lafontaine und Genossen vorn ihre Botschaften verkünden. Ringstorff, der für eine mögliche Koalition zwischen SPD und PDS wirbt, lacht verschmitzt: „Ich werde mich wieder zu Wort melden.“

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