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Ein einmaliges Experiment in Sachen Solidarität läuft derzeit in Berlin: 10.000 Berliner Lehrer sollen freiwillig auf eine Unterrichtsstunde und entsprechend auf Gehalt verzichten, um 600 ihrer Kollegen vor der Arbeitslosigkeit zu retten. D

Ein einmaliges Experiment in Sachen Solidarität läuft derzeit in Berlin: 10.000 Berliner Lehrer sollen freiwillig auf eine Unterrichtsstunde und entsprechend auf Gehalt verzichten, um 600 ihrer Kollegen vor der Arbeitslosigkeit zu retten. Der Erfolg des Großversuchs ist zweifelhaft.

Abgeben? Warum gerade ich?

Der Mann leistet Schwerarbeit und gibt sich gerade deshalb optimistisch: „Die Initiative wird von der großen Mehrheit der Lehrer und vor allem von den Schulleitern unterstützt“, sagt Detlev Mücke, Personalrat der Lehrer im Berliner Stadtbezirk Neukölln. In Personalversammlungen wirbt Mücke für die bundesweit einmalige „Teilzeitoffensive“ nach Berliner Art. Dieser Großversuch wurde von der GEW und Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) gemeinsam ausgeheckt: Mehr als 10.000 Lehrerinnen und Lehrer sollen eine Unterrichtsstunde samt entsprechendem Gehalt abgeben, um bis zu 600 Kolleginnen und Kollegen mit Fristverträgen vor der Arbeitslosigkeit zu retten. Der Erfolg des Experiments ist ungewiß. Scheitert es, droht den rund 600 betroffenen Lehrern der Gang zum Arbeitsamt.

Die Zeit drängt: Bis zum 19. Juni, dem letzten Schultag vor den Berliner Sommerferien, müssen alle Anträge auf freiwillige Teilzeit eingegangen sein. Aber erst seit Ende Mai wirbt die GEW um die Solidarität der Lehrer. Eine sehr kurze Zeit, um Freiwillige zu gewinnen. In den Schulen rafft sich nur ein Drittel der Angesprochenen zu den extra anberaumten Personalversammlungen auf. „Zu den Versammlungen kommen nur diejenigen, die ohnehin schon für das Problem sensibilisiert sind“, weiß auch Mücke. „Aber den Rest kriegen wir über die Schulkonferenzen. Da ist Anwesenheit Pflicht.“

Die meisten hören zu, aber entscheiden sich nicht

Auf einer Versammlung in Neukölln sind die meisten Anwesenden reserviert und wollen vor einer Entscheidung zunächst über die genauen Bedingungen informiert werden. Mücke hat sich Unterstützung geholt. Klaus Schröder, Mitglied im Landesvorstand der GEW, übernimmt die Kritik am Berliner Senat, der für die Stellenkürzungen verantwortlich sei. Elke Gabriel, befristet beschäftigte Lehrerin aus Charlottenburg, appelliert wiederum aus der Sicht der Betroffenen an die Solidarität der Kollegen mit einem sicheren Arbeitsplatz. „Wenn ich jetzt arbeitslos werde“, erklärt sie nach der Versammlung, „habe ich bei der derzeitigen Haushaltslage über Jahre keine Chance, irgendwo wieder eingestellt zu werden.“

Elke Gabriel wird in jedem Fall eine Gehaltseinbuße in Kauf nehmen müssen, auch wenn die „Teilzeitoffensive“ ihr zu weiterer Beschäftigung verhilft. Laut Berliner Haushaltsstrukturgesetz können in Zukunft maximal Zweidrittel- Stellen besetzt werden. Als bisher Vollzeitbeschäftigte fehlen Gabriel dann monatlich etwa 1.000 Mark auf dem Konto. Dagegen erscheinen die 120 bis 150 Mark erträglich, auf die ihre Kollegen pro abgegebener Unterrichtsstunde bei Nettoverdiensten zwischen 3.000 und 4.000 Mark verzichten müßten. Vollzeitlehrer haben im Schnitt ein Deputat von 25 Unterrichtsstunden pro Woche.

Ein Bündnis für Arbeit in einer Neuköllner Schule

Nach der Versammlung ist Personalrat Mücke froh, daß viele die ausgelegten Antragsformulare mitgenommen haben. Dennoch läßt sich kein Lehrer finden, der sich spontan zur Stundenreduzierung entschlossen hat, auch wenn die Mehrheit die Initiative prinzipiell gutheißt. Doppelverdiener oder ältere Kollegen, deren Pensionsansprüche bereits gesichert sind, sollten ihren Beitrag leisten, meinen viele. Zur eigenen wirtschaftlichen Lage will sich jedoch vorsichtshalber niemand äußern.

„In der DDR war Teilzeitarbeit so gut wie unbekannt“, begründet Holger Dehring, Personalrat im Bezirk Pankow, die extreme Skepsis bei der Lehrerschaft im Ostteil Berlins. Persönlich will er zwar Stunden abgeben, dennoch hält er die Zeit nicht für ausreichend, um seine Kollegen zu überzeugen. Während im Westen schon über 20 Prozent der Lehrer Teilzeit arbeiten, sind es im Osten gerade mal drei Prozent. Kein Wunder, daß viele Westlehrer jetzt von den Ostkollegen ein Opfer fordern. Da die Gewerkschaft zudem eine vorzeitige Anpassung der Ostgehälter an das Westniveau durchsetzen konnte, appelliert auch der GEW- Vorsitzende Erhard Laube vordringlich an die Solidarität der Ostlehrer.

Betroffenheit zeigen vornehmlich diejenigen, die mit befristet beschäftigten Kollegen zusammenarbeiten. So hat das Kollegium der Neuköllner Bruno-Taut-Schule einen schulinternes „Bündnis für Arbeit“ entwickelt. Auf insgesamt 73 Wochenstunden, im Schnitt sieben Prozent des Einkommens, wollen die Lehrer hier verzichten, um vier Kollegen die Weiterbeschäftigung zu garantieren. „Wir wollen gleich für drei Jahre reduzieren“, erklärt Peter Rund, Pädagoge an der Bruno-Taut-Schule. „Aber nur, wenn die Kollegen dafür festangestellt werden.“

„Ein beispielhaftes Kollegium“, lobt die Berliner Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) und besucht sogar die Schule, um für die Teilzeitoffensive zu werben. Ob dieses Schulbündnis aber zustande kommt, scheint mehr als fraglich. Eine Entfristung sei schwierig, meint Stahmer. Und schulinterne Lösungen lehnt sie ab.

Zwar hoffen die Personalräte noch auf den großen Schwung der Anträge, dennoch ist zu befürchten, daß ein Großteil der gefährdeten Lehrer mit Fristvertrag am Ende die Suppe allein auslöffeln muß. Für sie wäre dann nur noch eines der GEW-Informationsblätter interessant: „Arbeitslosmeldung – was ist zu beachten?“ Gereon Asmuth

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