: Der Wacholderschnaps ist schon getrunken
„Köpfet ihn“ – „Hängt ihn“ – „Feuer, Feuer“. Männer mit Bärten und Bäuchen auf der Suche nach dem Pelz für den Bären: Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst zeigt 106 Entwürfe für ein mögliches Bakunin-Denkmal ■ Von Volker Weidermann
Klar ist nur, daß am letzten Tag der Ausstellung die Siegessäule abgerissen wird. An ihre Stelle tritt dann eine Telefonzelle, geschmückt mit einem Porträt des russischen Anarchisten Michail Bakunin, aus der man umsonst in die ganze Welt telefonieren kann („freie Kommunikation, an der niemand verdient“). Oder irgendein anderer der 106 Entwürfe, die seit gestern in den Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst ausgestellt werden.
Es gilt, Michail Bakunin ein Denkmal zu setzen. Irgendwie auch Quatsch, ein Anarchisten- denkmal, das wäre wie „ein Pelz für einen Bären, wie Wasser im Bier und Scheiße in der Bowle“ meint Peter Funken, der die Ausstellung mitorganisiert hat. Er hat sich da auch nur mit reinziehen lassen, weil er die Idee mit der Siegessäule so gut fand. Denn in der Siegessäule sind die Kanonen eingemauert, mit der die Preußen die Pariser Kommune anno 71 zusammengeschossen haben. Ihr Abriß ist schon lange fällig.
Am Tag vor Ausstellungseröffnung ist man noch mit kleinteiligeren Problemen beschäftigt. Ein bärtiger Mann, der ziemliche Ähnlichkeit mit Bakunin hat, versucht ein Karussell in Gang zu bringen, auf dem der Uranarchist skateboardfahrend eine weltkugelartige Bombe wirft. Man denkt schon, der Karussellbauer, das ist bestimmt Bernd Kramer, der die 12bändige Bakunin-Werkausgabe herausbringt und seinem Vorbild sehr ähneln soll. Er ist es aber nicht, und als er dann kommt, ist die Ähnlichkeit tatsächlich erschütternd. Der Bart, das Haar, der Bauch, die Pfeife, alles wie auf den alten Bildern, und überall hängen Bakunin-Porträts, bakuninartige Männer wuchten Denkmal- entwürfe auf schwarze Sockel, und plötzlich scheint die Geschichte mit der Siegessäule gar nicht mehr so unwahrscheinlich.
Doch einer der Entwürfe würde nicht am Großen Stern errichtet, sondern in der Friesenstraße. Der Vorschlag von M. E. Thäsler sieht vor, die burgartige Polizeistation abzureißen und statt dessen ein „Anarchistisches Zentrum“ zu errichten. Darin gäbe es dann Bibliotheken, Vergnügungsstätten, Trinkhallen, Waffenarsenale und Obstplantagen. Auf dem Gebäude wäre in Polizei-Blaulichtform ein Planetarium angebracht, an den vier Ecken des Gebäudes würden die vier anarchistischen Tugenden symbolisch dargestellt (Freude, Utopie, Einfallsreichtum und Analyse). Eine halbe Stunde täglich würde das „Anarchistische Zentrum“ von Wagner-Musik umsäuselt, wann, das bestimmt ein Zufallsgenerator.
Dazu paßt irgendwie auch eine sehr hübsche Geschichte, die Richard Wagner in seiner Autobiographie beschreibt: Als er in einer der Gefechtspausen bei den Barrikadenkämpfen in Dresden Bakunin zu sich nach Hause einlädt und ihm dort von seinen Plänen für eine neue Tragödie mit dem Titel „Jesus von Nazareth“ berichten will. Bakunin möchte davon allerdings nichts hören, gibt Wagner jedoch den Ratschlag für die Musik nur einen Text zu variieren: der Tenor solle singen: „Köpfet ihn“, der Sopran: „Hängt ihn“ und der Basso continuo: „Feuer, Feuer“. Richard Wagner hat den Plan daraufhin leider verworfen.
Den „Fliegenden Holländer“ jedoch, schreibt Wagner, habe Bakunin „ungeheuer schön“ gefunden. (Die sächsischen Schnittchen, die Minna Wagner zubereitet hatte, seien ihm an jenem Abend jedoch entschieden zu dürftig gewesen, und er habe zum Entsetzen Minnas die Wurst ohne Brot „haufenweise veschlungen“. Auch für den gereichten Wein in kleinen Gläsern habe er nur Spott übrig gehabt, das Widerwärtigste in allem sei ihm das philisterhafte Ausdehnen des Genusses durch berechnete Mäßigung gewesen, „ein kräftiger Zug Branntwein“ führe doch entschieden schneller zum Ziel.)
Womit wir bei dem Entwurf von Eberhard Schlichting aus Remscheid sind, der eine Komposition aus russischem Tabak, Bier und einer Flasche doppelten Wacholderschnaps vorschlägt. „Wer mein Denkmal, aus welchen Gründen auch immer benutzen will, macht es kaputt.“ Natürlich ist die Wacholderflasche schon vor der Eröffnung leergetrunken, das Denkmal zerstört, doch hat Bakunin- Wiedergänger Bernd Kramer schuldbewußt schon zugesagt, sie bis Ausstellungsbeginn wieder aufzufüllen.
Auerdem ist das zerstörende oder sich gar selbst zerstörende Kunstwerk ja irgendwie auch eine gute Idee für ein Gedenken an Bakunin. Pflastersteine sind das Lieblingsmotiv der Künstler, als Möwe verkleidet, als Paketsendung oder, beklebt mit Bakunin-Porträts als „schlagende Argumente“ in einem kleinen Reisekoffer, sind sie allgegenwärtig. Das Zerstörerische hat Thomas Kapielski am radikalsten zu Ende gedacht, der eine 35 Meter hohe, „grob behauene“ Bakunin- Statue vorschlägt, die in einem beliebten Park aufzustellen sei („im Schatten läßt sich's schön grillen“). Eine Hydraulik am Fuß der Säule kann sie zum Umkippen bringen. Ein Zufallsgenerator bestimmt den Zeitpunkt innerhalb der nächsten 250 Jahre. Das sei „auch nach der Katastrophe noch ein gültiges Denkmal. Da wird mir nichts weggeräumt!“
Es gibt auch ein Denkmal, das sich immer wieder selbst zerstört, und das hat Ulrike Flaig aus Stuttgart entworfen: Ein Luftballon, der mit einer Pumpe aufgeblasen wird, ist über das Objektiv eines Projektors gestülpt. In den Luftballon wird ein Film projeziert, je größer er wird, desto deutlicher läßt sich ein dozierender russischer Anarchist erkennen. Der Denkmalbenutzer hat es selbst in der Hand, wann er die Projektionsfläche zerstört.
Bis 28. 7., täglich 12–18.30 Uhr, Eintritt frei, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25. Grundsteinlegung in der Friesenstraße, am Großen Stern oder irgendwo anders am 28. 7.
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