Wand und Boden: Mit harmonischen Wesen kommunizieren
■ Kunst in Berlin jetzt: Gabriele Konsor, Nina Fischer&Maroan El Sani, Malerei: Apollo 1
Das harmonische Verschmelzen unvereinbar geltender Stile, Techniken und Diskurse ist die neue Kunst der Kunst. Nach Ambient music jetzt also Ambient art. Jedenfalls liegt dieser Gedanke angesichts Gabriele Konsors Ausstellung „AURACORAMA der Wohnlust“ nahe. Konsor überführt die Farbigkeit der 60er Jahre und Erinnerungen an die massenhaft reproduzierte psychedelische Ornamentik der frühen 70er Jahre zusammen mit dem aus den 80ern stammenden feministischen Konzept weiblicher Dekorationswut in die Totalinstallation der 90er Jahre.
Ihr künstlerisches Decade blending verwandelt die Galerie Unwahr in eine bezugsfertige 2-Zimmer-AURACOR-Musterwohnung, einen Auskühlraum – chill- out! – für den Kunstfreund und den ermatteten Geistesmenschen. Vis à vis ihrer roten „Crealit“-Tapete mit den seltsam schwebend eingezeichneten Fältelungen, kommt er wieder zu Kräften; im perfekten Heim in Standardausführung, wie er es sich nie einzurichten gewagt hätte. Konsors Ausstattungsstücke haben inmitten der mintgrünen Auslegeware von Wand & Boden und den hellen Ikea-Möbeln kapriziösen Pep. AURACOR, das strahlende Herz der Harmonie, schmückt Kissen, Steh- und Nachttischlampen, Teller und Platzdeckchen; und hinter dem Doppelbett im Schlafzimmer erblüht aus grünen Wolken eine wunderschöne Wunde, rotes Fleisch, mit kleinen Spuren Schorf. Die Einladungskarte verspricht zu Recht: „Gabriele Konsor hat für Sie eine Basisausstattung geschaffen, die das Wohnen lebenswert macht.“ Wir empfehlen: Nehmen Sie die Gelegenheit zum Probewohnen wahr!
Bis 7. 7., Fr. 16–20, Sa. 14–19, So. 11–15 Uhr, Invalidenstr. 116
Den faszinierenden Duktus dieser ganz spezifischen Werbesprache, die die besonders abstrusen Produkte wie den ultimativen Teppichschampoonierer oder die (ver-)steckbaren Haarteile bewirbt, machen sich auch Nina Fischer&Maroan El Sani in ihrem Video „Be Super Natural – Concentrate Your Energy!“ bei Eigen+Art zunutze. Nie tönte eine Off-Stimme sonorer: „It takes some practice, don't give up too early. Balance your brain.“
Ambient art, Teil zwei: Hier sind es die rechte und die linke Gehirnhälfte, die in harmonischen Gleichklang gebracht werden möchten. Nina Fischer &Maroan El Sani, die sich überaus sympathisch präsentierenden Medien (und keineswegs als gewöhnliches Medienkunstpaar, zu dem sie kürzlich in dieser Zeitung korrigiert wurden), entwickelten dafür eine neue Körpertechnik, die international großen Anklang findet, zuletzt etwa in Moskau. Man steckt den rechten und den linken Daumen in das jeweilige Ohr, stützt den Kopf in den Fingern ab und bewegt den Oberkörper sanft nach rechts und nach links: „Get ready for non-tech-telecommunication“. Denn ein gut ausbalanciertes Gehirn befähigt seinen Besitzer ohne Modem, Glasfaser und Satellit mit anderen harmonischen Wesen in aller Welt zu kommunizieren.
Zur weltweiten „Be Super Natural Tour“, die die Medien im August nach Japan führt, gibt es bei Eigen + Art auch entsprechende Merchandising Produkte zu kaufen, wie T-Shirts oder die CD mit Brain Balancing Übungen und Musikauskopplungen aus dem Video. Mit dem Kauf erfolgt – wie kann es anders sein – die automatische Aufnahme in den Kreis der „Super Natural Family“. Eine gute Vorübung für das ausbalancierte Gehirn ist übrigens der ausbalancierte Körper. Das kann man mit Inline-Skates trainieren, was wohl das Geheimnis von deren wahrhaft rasendem Erfolg erklärt. Zur Eröffnung wurden sie an die Besucher verliehen, damit sie die Rampe, die den Galerieraum als „Erlebnisskulptur“ durchzieht, entlang sausen konnten. Auch hier kann man nur die Botschaft weitergeben: „You can do it, we know you will be successfull.“
Bis 8. 7., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Auguststraße 26
Die Grenzen der Malerei haben die Medien weit hinter sich gelassen, doch ihre süffisante Abwendung von Techno-Hype spricht vielleicht dafür, daß man es mit den alten Mitteln noch einmal probieren sollte. Das tun Ursula Döbereiner, Joachim Grommek, Rupprecht Matthies und Maja Weyermann in der neugegründeten museumsakademie von Helen Adkins. Adkins, deren Sache museale Großformate wie die Berlin-Moskau-Schau nicht länger sind, will im dritten Hinterhof des Schwarzenberg Hauses, Rosenthalerstraße 39, eine private Berufsakademie für professionelle Kunstvermittler etablieren. Die erste der sechs jährlichen Ausstellungen, die auf den über 300 Quadratmetern die zeitgenössische internationale Kunst präsentieren sollen, geht dem Verhältnis Bild/Material und den Grenzen der Malerei nach.
Maja Weyermanns wachsüberzogene Holztafeln, denen minimale Pigmentbeimischungen ein erstaunlich reiches Spektrum an Erdfarben geben, zeigen das Urbild, die Ikone ohne Figur, und nur Grund. Ihre unterschiedliche Größe läßt die Tafeln in der seriellen Reihung aber auch als die Schrift an der Wand deuten. Joachim Grommek stapelt seine Gemälde in einer Eisen-Glas-Stellage, die schwer nach bittrer Medizin schmeckt. Auf die Plastikunterseite von Windelwatte, die am laufenden Meter geliefert wird, hat er perfekte Ovale gemalt, die allerdings winzige Verletzungen, Flecken und Schrunde aufweisen. Kleine Luftventile deuten an, daß man Material und Form noch ganz anders zum Bild formen könnte, durch Aufblasen zum Beispiel. Auf seine Weise tut das Rupprecht Matthies, der einfache, unregelmäßige Muster vom Zeichenblock auf die Wand vergrößert, schnell hingepinselt, in knalligem Blau und Rot. Die Wand wirkt dann bedrohlich räumlich, lebendig.
Auch Ursula Döbereiner macht gewissermaßen die Blase, die weiße Leerstelle, zum tragenden Element ihrer Filzstiftkompositionen, die sich nur als Bild lesen lassen, obwohl die naive Kunstlosigkeit ihrer Quadrate und wackligen Kreise, auch das ins Lächerliche zieht: Wieviel Bedeutung messen wir dem gemalten, gezeichneten, montierten Bild noch zu? Am Ende vielleicht mehr als uns lieb ist, weil uns die Schau überraschend lieb ist.
Apollo 1, bis 22. 6., Di.–So. 14–19 Uhr Brigitte Werneburg
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