: Freie Fahrt für die Forschung
Deutsche Forschungsgemeinschaft fordert gesetzesfreie Zone für die Wissenschaft ■ Von Wiebke Rögener
Forschungsfreiheit über alles: Der Gesetzgeber möge bedenken, „daß das Zurücktreten zum Beispiel des Grundrechts auf Leben oder des Staatsziels Umweltschutz gegenüber dem Grundrecht auf Forschungsfreiheit geboten“ sein könne. Dieser bemerkenswerte Satz stammt aus einer kürzlich veröffentlichten sogenannten Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die bekanntlich einen großen Teil der deutschen Forschungsmittel verteilt.
Eventuelle Gefährdungen durch den wissenschaftlichen Fortschritt solle die Gesellschaft gefälligst akzeptieren, fordert die DFG, da daß „Grundrecht mit der Garantie der unbeschränkten Wissenschaftsfreiheit die grundsätzliche Inkaufnahme des Risikos, das mit dem Entdecken des Unbekannten einhergeht, verbunden hat“. Probleme gibt es ohnehin nur in den Köpfen einer unverständigen Öffentlichkeit: Risiken der Gentechnik sind „nicht existent“, über den Umgang mit menschlichen Embryonen möchten die Herren Professoren allein entscheiden, und daß das Datenschutzgesetz auch für Wissenschaftler gilt, ist in ihren Augen eine Unverschämtheit. Ebenso sind Natur, Umwelt und Tierschutzgesetz der DFG nichts als eine Ansammlung von Forschungshindernissen. Wo sich Regulierungen der wissenschaftlichen Tätigkeit nicht gänzlich vermeiden lassen, soll es allenfalls Selbstverpflichtungen der scientific community geben. Schon die Tatsache, daß überhaupt ein Embryonenschutzgesetz erlassen wurde, anstatt auf das selbstverantwortliche Handeln der Wissenschaftler zu vertrauen, empfinden die Autoren als beleidigend. Auch das Gentechnikrecht wird als ganz und gar überflüssig hingestellt.
Als Sammlung absurder Ideen weltfremder Wissenschaftler läßt sich dieses Pamphlet jedoch nicht abtun. Es ist offenbar Teil einer gezielten Kampagne: Die öffentliche Kritik an zweifelhaften Segnungen des wissenschaftlichen Fortschritts soll zurückgedrängt werden, die Anbindung an die Wirtschaft verstärkt werden.
„Forschung und Industrie verhalten sich noch viel zu sehr wie zwei eigenständige soziale Systeme“, beklagte Hans-Olaf Henkel, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), im Spektrum der Wissenschaft. Anstatt sich im globalen Innovationswettlauf für die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen abzustrampeln, sind „zu vielen Forschern die Publikationen ihrer Ergebnisse und die Anerkennung durch Kollegen wichtiger als die Sicherung einer Erfindung durch Patente und die Umsetzung in Produkte“. Henkels wenig originelles Rezept: Die Forschungsförderung muß weit stärker durch die Industrie kontrolliert werden. Schließlich, so argumentiert Henkel ganz ungeniert, habe die deutsche Industrie ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den letzten Jahren verringert und möchte daher stärker auf die mit öffentlichen Mitteln gewonnenen Ergebnisse zurückgreifen.
Gefährdung der Forschungsfreiheit? Für die DFG nicht erkennbar. Höchstens die eingeschränkten Publikationsmöglichkeiten für Wissenschaftler, die mit der Industrie zusammenarbeiten, machen ihr etwas Sorgen. Prinzipielle Bedenken dagegen, daß die deutsche Wettbewerbsfähigkeit Maßstab und Ziel wissenschaftlicher Tätigkeit sein soll, hegt sie nicht. Schließlich fordert auch Henkel, „Barrieren für neue Forschungsgebiete“ abzubauen. So treffen sich DFG und BDI-Präsident einvernehmlich in dem dreisten Ansinnen, Forschung und Wissenschaft sollen befreit werden von aller öffentlichen Kontrolle.
„Das Bewußtsein, daß die Freiheit einer Forschung, die von der Gesellschaft bezahlt wird und deren gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann, dieser Gesellschaft rechenschaftspflichtig ist, kommt in der Denkschrift nicht zum Ausdruck“, merkt dazu die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) in einer Ende Mai veröffentlichten Stellungnahme an. „Mißtrauen und Ansehensschwund sind“, so die kritische Wissenschaftlervereinigung, „durch Ziele und Methoden der modernen Wissenschaft, vor allem aber auch durch den Mangel an Selbstkritik und die inhaltliche Abschottung gegenüber der öffentlichen Diskussion bedingt“. Dabei ist „Kritik das Lebenselixier von Wissenschaft“, konstatiert die VDW und nennt die DFG- Denkschrift ganz unverblümt ein „Dokument des Unverständnisses“.
Sie hätten „keine Ahnung von den Problemen“, bescheinigte der Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Mühlheim den Autoren der DFG-Denkschrift. Ganz im Sinne der DFG und des BDI- Präsidenten argumentierte auf dieser Veranstaltung auch der Physiker Gernot Born, ehemaliger Direktor der Universität Duisburg. Seit der Auseinandersetzung um die Kernenergie zögen sich Naturwissenschaftler mehr und mehr auf möglichst anwendungsferne Bereiche zurück. Es sei jedoch vor allem Aufgabe der Forschung, für die Innovationen, also neue Produkte und damit Arbeitsplätze zu sorgen.
Es gebe „keinerlei Zusammenwissen mehr, die Erkenntnisse verschiedener Disziplinen werden allenfalls noch durch Buchdeckel zusammengehalten“, hält der Mitverfasser des VDW-Papiers, Wolf- Dieter Narr, dagegen. Notwendig sei, so fordern die Verfasser des VDW-Papiers, „die Verfahren, denen gemäß Forschungsprioritäten entschieden werden, problem- und demokratiegemäß zu verändern“.
Solche Überlegungen sind auch Hubert Markl, dem neuen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, fremd. Neue Institute sollen nicht etwa problemorientiert, sondern, bisherigen feudalistischen Gepflogenheiten folgend, um Leitfiguren herum gegründet werden, tat er in einem Interview kund. „Denn Ideen werden immer in und nicht zwischen den Köpfen geboren.“ Er will dafür sorgen, daß „diese Talente durch Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft volkswirtschaftlich ihren vollen Nutzen entfalten“.
Die Richtung der konservativen wissenschaftspolitischen Offensive ist klar: Wissenschaft soll nur sich selbst und den Bedürfnissen der Industrie verpflichtet sein. Wissenschaftskritik und öffentliche Einmischung werden als lästige Behinderungen diffamiert. Die VDW dagegen stellt fest: „Machtnähe und Machtförmigkeit der modernen Naturwissenschaften erfordern Machtkontrolle und nicht nur unhinterfragte und privilegierte Standesethik der Wissenschaftler.“
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