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Fehldiagnose Krebs?

■ Essener Pathologe arbeitete 1992 in Bremen

Waren Sie zwischen dem 1.3. und dem 1.10.1992 Patientin im Krankenhaus Links der Weser? Sie haben dort auch die Dienste des Pathologischen Instituts in Anspruch genommen? Dann sollten Sie bei dem Krankenhaus nachfragen, ob irgendwo an entscheidender Stelle der damalige Leiter der Pathologie, Prof. Josef Kemnitz, für Sie eine Diagnose beeinflußt hat. In Essen nämlich sind nun aufgrund falscher Diagnosen des Prof. Kemnitz staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen worden. Den betroffenen Frauen wurde nicht mitgeteilt, daß sie eigentlich keinen Brustkrebs gehabt hatten. Nur weil die Zahl der Brustamputationen merkwürdig anstieg, so der Stern, hatten Kollegen die Arbeit des Pathologen überprüft. Bevor Kemnitz in Essen wirkte, war er in Bremen Institutsleiter am Krankenhaus Links der Weser.

Hier wurde er nach einem halben Jahr buchstäblich vor die Tür gesetzt, erklärte Klinik-Chef Franz Böhmert gegenüber buten&binnen. Schon bald nach Arbeitsbeginn hatten die Medizinisch-Technischen Assistentinnen, deren Gewebe-Analysen der Professor bewerten mußte, bevor die Diagnose unter anderem an die Frauenklinik ging, Alarm geschlagen. MTA Hanna Homeier erklärt heute, daß sie damals genau dieselbe Befürchtung hätten, die jetzt die Staatsanwaltschaft Essen überprüft: „Wir hatten die Befürchtugng, daß falsche Diagnosen rausgehen“, was sogar „falsche Operationen“ zur Folge haben könnte. MTA-Kollegin Hella Bellwinkel vor der Kamera: „Wir hatten das Gefühl, mit dem halben Bein im Gefängnis zu sein.“ Insbesondere bei der Zuordnung der Proben zu den Patientinnen sei Kemnitz sehr schlampig gewesen, sein Arbeitszimmer in Bremen damals bot ein Bild größter Unordnung. Der Stern berichtete aus Essen dasselbe Phänomen: „In sechs von zehn Fällen stammte das krebsige Material gar nicht von den betroffenen Frauen.“

„Rüde und sexistische Bemerkungen“ (Bellwinkel) gegenüber den MTA-Mitarbeiterinnen brachten das Faß in Bremen zum Überlaufen: Der Personalrat forderte ein Hausverbot für den Chef der Pathologie. Als dann die Ärzte der Gynäkologie die Zusammenarbeit mit Kemnitz ablehnten, weil ihm in einem akuten Krebsfall eine krasse Fehldiagnose passiert war, beendete die Klinikleitung nach sechs Monaten das Arbeitsverhältnis. Zunächst wollte der Pathologe in Diepholz eine private Praxis aufmachen, dann erhielt er den Ruf an die Klinik in Essen... In Bremen teilte die Staatsanwaltschaft gegenüber der taz mit, daß es bisher keine Informationen über konkreten Falschdiagnosen gebe, die Anlaß für Ermittlungen sein könnten. (Vgl. a. Sonderseiten 34/35) K.W.

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