■ Rußland: Jelzin trennt sich von den Konservativen: Politische Katharsis
Rußlands Bürger hatten keine Wahl. Wen es nicht zurückzog in die Zeiten sowjetischer Egalité, der Garantie auf umfassende Recht- und Besitzlosigkeit, der stimmte für die Beibehaltung eines labilen Status quo – für Jelzin – zähneknirschend und ohne Hoffnungsschimmer, die Lage möge sich zum Besseren wenden. Doch plötzlich wird der Kreml zum Schauplatz einer Katharsis. Das hatte keiner mehr zu träumen gewagt. Die Revirements in der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten sind mehr als Personalentscheidungen. Selbst wenn sie mit Blick auf die Wähler im zweiten Wahlgang initiiert wurden, so öffnet sich dem Land die Chance zum Neubeginn. Die „Kriegspartei“ im Kreml, die Jelzins Entscheidungen maßgeblich beeinflußte, hat mehr als nur eine Bataille verloren. Über Nacht entpuppte sie sich als das, was sie immer war: korrupt und eigennützig.
Jelzin hatte nicht die Kraft oder nicht den Willen, sich von ihnen vorher zu befreien, obwohl sie dessen Image nachhaltig ruinierten. Ihre Version der Wirklichkeit war auch die seine, kurzum eine Fiktion. Sein Wille zur Macht diktierte ihm, mit ihnen zu marschieren. Sie gaben vor, die Kohorten würden ihnen folgen. Der plumpe Versuch jener Konservativen, den zweiten Urnengang zu verhindern, offenbarte nicht nur, was für einfallslose Gesellen sie doch sind – viel wichtiger: Pappkameraden, die sich auf nichts stützen konnten. Keine Institution schlug sich auf die Seite jener, die in jedem Konflikt – von Tschetschenien bis zu den Wahlen – außer Draufhauen keine Lösung kannten. Alles blieb ruhig in Moskau.
Mutierte Jelzin binnen Tagesfrist wieder vom Auto- zum Demokraten? Die Frage erübrigt sich. Mit Alexander Korschakow, Oleg Soskowetz und Michail Barsukow verläßt eine Truppe den Kreml, die in Wesen und Anschauung die Parteiganoven des alten Schlages repräsentierte: gewissenlos, kaltblütig, korrupt, macht- und geldgierig. Wenn sie überhaupt von etwas überzeugt waren, dann von jenem russischen Sonderweg, der in ihren Augen an Demokratie und Menschenrechten vorbeiführt.
Insoweit standen sie Jelzins Kontrahenten Gennadij Sjuganow immer nahe, von ideologischer Differenz konnte nie die Rede sein. Sie fürchten nur eins: die eiserne Faust eines Stärkeren; zur Zeit repräsentiert von Jelzins Neuerwerb Alexander Lebed, der sich ein hohes Ziel gesetzt hat: den Augiasstall auszumisten. Die Wähler haben nun wieder eine Alternative: ein Stück Zukunft, zumindest. Klaus-Helge Donath
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