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Grüße aus CreweWo der Fußball wohnt

■ Zwischen roten Ziegelwohnsilos liegt das Stadion von Crewe Alexandra

Während die Hysterie vor dem morgigen EM-Halbfinale in eine interessante Phase überzugehen droht, scheint auch die hyperbolische Eingangsfrage nach der Heimkehr des Fußballs längst beantwortet: Ja, der Fußball ist heimgekehrt. In den Besitz Englands. Ja, Wembley ist seine Kathedrale.

Nein, der Fußball ist nicht heimgekehrt. Er war nie weg. Der Fußball ist auch nicht in Wembley zu Hause. Dort, wo in dem Cheshire-Städtchen Crewe die South Street in die Cresty Road mündet, steht das Stadion von Crewe Alexandra. Und schräg gegenüber ist der Zeitungsladen „South Street News“. Der Laden gehört Paul Davies und dessen Schwager. Der Schwager ist nicht da, aber Paul Davies steht an den Zeitungsregalen. Und wenn man ihn fragt, spricht er über Crewe Alexandra.

Das ist der Klub mit dem interessantesten Namen im englischen Profifußball. Es ist auch ein Klub, der in all den Jahren nie etwas gewonnen hat, und nie höher gespielt als in der 2. Division. Da ist man auch im Moment. Seit es die Premier Division gibt, ist das allerdings nur noch die dritte Liga. Der Graben ist noch größer geworden.

Es muß mindestens die 1. Division sein, sagen die Fans, und „eine Zeitlang“, sagt Davies, „sah es ganz gut aus“. Dann aber erlebte Crewe einen Einbruch. Der hing nicht unwesentlich mit dem plötzlichen Verkauf ihres besten Spielers zusammen. Neil Lennon wechselte zu Leicester City, was die Fans von „The Alex“ in wilde Wut versetzte. Lennon war ein außergewöhnlicher Spieler und wechselte doch nur zu einem Erstdivisionär! Am Ende war The Alex fünfter und scheiterte im Promotion-Play-off an Notts County.

David Platt schießt im Achtelfinale der WM 1990 gegen Belgien sein wichtigstes Tor. Foto: Bongarts

„Holen, aufbauen, verkaufen“, sagt Davies. „Das ist es, was Dario die ganze Zeit macht.“ Dario ist Dario Gradi und der Manager von The Alex. Er hat einen Zehnjahresvertrag und war eigentlich schon immer da. „Er holt das Geld für den Klub heraus“, sagt Davies.

Das Stadion auf der Cresty Road liegt ein paar Meter von der Hauptstraße weg, eingeklemmt zwischen langgezogenene rote Ziegelwohnsilos. Ob der Klub wichtig ist für die Stadt? „Er ist wichtig für uns“, sagt Davies. „An Matchtagen machen wir gute Geschäfte.“ Zwischen drei- und fünftausend kommen immer. Jetzt ist der Kasten „Next Home Game“ leer, und neben dem Stadion spielen ein paar Thirtysomethings auf Kunstrasen.

Die Fans glauben an den Manager. Aber dann fürchten sie wieder, daß Dario gar nicht nach oben will. The Alex ist eine typische Durchgangsstation für Talente. Tatsächlich kommen die jungen Spieler zu Dario, weil sie sich vom ihm den Weg nach oben zeigen lassen wollen. Jeff Thomas war hier, der bei Crystal Palace Nationalspieler wurde, Rob Jones, der nun in Liverpool spielt.

Der allerberühmteste Spieler kam von Manchester United. Weil der junge Mann dort überhaupt keine Chance hatte, ging er zu The Alex. „Wir“, sagt Davies, „haben ihn spielen lassen.“ Davies hat ihn gesehen: Der Mittelfeldspieler mit Drang zum Tor war „gut“, sagt er. David Platt ging dann zu Aston Villa, AC Bari, Juventus Turin, Sampdoria Genua und ist jetzt bei Arsenal London. Er wurde nicht weniger als der Kapitän der englischen Nationalmannschaft. Doch weil Terry Venables in seinem Mittelfeld keinen rechten Platz findet für seinen Kapitän, mußte der die Binde an den Arsenal-Kollegen Adams abgeben. Und wird morgen gegen Deutschland sehr wahrscheinlich wieder auf der Bank beginnen. „Manchmal ist man versucht zu denken, er sei nur ein mäßiges Talent mit einem hohen Ansehen“ schrieb nach dem Viertelfinale The Independent. Und Davies sagt: „Einige Leute in Crewe sind noch immer sehr erstaunt, was aus ihm geworden ist.“

Einige Zeit sah es so aus, als könne Dario den Klub verlassen. Nun ist er doch immer noch da. „Meine Spieler geben nie weniger als hundert Prozent“, ist seine Devise, und das glaubt ihm jeder. Er sagt aber auch: „Jeder im Klub will in die 1. Division.“ Daran zweifeln viele.

„Dario lebt nur für The Alex“, sagt aber Davies. „Auch jetzt in der Sommerpause ist er jeden Tag im Stadion und macht irgend etwas.“ Wie er das sagt, tritt der halbe Besitzer eines Zeitungsladens vor die Tür. Und tatsächlich fährt in die stille Cresty Road gerade ein Auto ein und hält vor dem Stadion. Ein drahtiger Mann mittleren Alters steigt aus. „Das ist Dario“, sagt Paul Davies. Und wie Dario im Stadion verschwindet, nickt der Newsagent anerkennend. „Die spielen hier kein Kick-and-rush“, murmelt er dann, „die spielen den Ball.“

Wenn man jetzt rüber geht und sich im Crewe Alexandra Football Ground auf den Bovis Stand in eine rote Plastikschale setzt, sagen wir, Reihe 2, Platz 30, sieht man zwar nur, wie der Sprenkler gemütlich den Rasen näßt. Doch irgendwie hat man jetzt eine Ahnung, wo der Fußball zu Hause ist. Peter Unfried

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