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Mehr Rente für schuftende Mütter

■ Bundesverfassungsgericht: Mütter werden bei der Berechnung ihrer Rente benachteiligt. Karlsruhe klagt neue gesetzliche Regelung ein. Kindererziehungszeiten müssen bei jobbenden Müttern stärker angerechnet werden

Karlsruhe (taz) – Viele Mütter sind bei der Berechnung ihrer Rente verfassungswidrig benachteiligt worden. Das Bundesverfassungsgericht stellte in einem gestern veröffentlichten Urteil klar, daß Kindererziehungszeiten auch dann auf die Höhe der Rente angerechnet werden müssen, wenn die Mütter gearbeitet oder freiwillige Beiträge eingezahlt haben. Das Parlament muß nun innerhalb von zwei Jahren ein neues Gesetz vorlegen.

Die Karlsruher RichterInnen gaben damit den Verfassungsbeschwerden zweier 73 und 74 Jahre alten Frauen recht, deren Kindererziehungszeiten überhaupt nicht auf ihre Rente angerechnet worden waren. Beide hatten nach der Geburt ihrer Kinder nicht gearbeitet, dann aber später die Beiträge nachbezahlt, um sich eine eigenständige Rentenversicherung aufzubauen. Derzeit werden Kindererziehungszeiten (von bis zu drei Jahren pro Kind) nur dann voll auf die Rente angerechnet, wenn während dieser Zeit keine Beiträge einbezahlt wurden.

Dies ist nicht zuletzt ein großes Problem für Alleinerziehende und gering verdienende Familien, die es sich nicht leisten können, daß sich ein Elternteil ganz der Kindererziehung widmet. Hier will das Verfassungsgericht mehr Gleichbehandlung schaffen. Schließlich sei die Kindererziehung für die Sicherung des Rentensystems von ganz grundlegender Bedeutung und dürfe deshalb nicht nur dann in Rechnung gestellt werden, wenn es in bestimmten Phasen Beitragslücken gegeben hat, so Karlsruhe.

Bis zum 30. Juni 1998 muß der Bundestag nun eine Neuregelung treffen. Bestehende Rentenbescheide muß der Gesetzgeber dabei allerdings nicht mehr überdenken. Nur wenn der Rentenbescheid erst im letzten Monat ergangen ist, lohnt es sich, Widerspruch einzulegen. NutznießerInnen einer Neuregelung dürften jedoch all diejenigen Elternteile sein, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben und während der Erziehungsphase Beiträge in die Rentenversicherung einbezahlt haben. Sie können mit einer zusätzlichen Aufstockung ihrer Rente rechnen.

Ein genaues Modell hat Karlsruhe dem Bundestag allerdings nicht mit auf den Weg gegeben. Vor allem hat es den eigentlich folgerichtigen Schritt nicht getan: Es fordert nämlich ausdrücklich keine Gleichbehandlung von Beitragszahlung und Kindererziehung. Damit ist der Bundestag auch nicht verpflichtet, dem einst von SPD und Bündnisgrünen geforderten „additiven Modell“ zu folgen. Danach wäre eine Doppelbelastung während der Erziehungszeit auch mit der vollen Elternrente zusätzlich zur Beitragsrente honoriert worden.

Sozialminister Norbert Blüm will das 58seitige Urteil erst einmal prüfen, versprach jedoch, daß sich die Rentenkommission der Sache annehmen werde. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), der schon länger auf die Verfassungswidrigkeit der Regelung hingewiesen hat, hat vorsorglich Modellrechnungen für eine Neuregelung erstellt: Sie gehen von Kosten bis zu 1,2 Milliarden Mark im ersten Jahr aus, die sich bis zum Jahr 2030 auf bis zu 5,5 Milliarden Mark erhöhen würden. Der Deutsche Frauenrat begrüßte die Entscheidung als „Schritt in die richtige Richtung“. Christian Rath Seiten 4 und 10

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