■ Normalzeit: Downsizing in der Kochstraße
Langsam greifen Deregulierung und Rezession auch im taz- Umfeld. Bei den „Freien“ ist es vorderhand neben dem Wegbrechen lukrativer Radiohonorare das Finanzamt, das sich wirklich Mühe gibt, aus diesen an der Umsatzsteuergrenze herumtüftelnden Selbständigen den letzten Aufschwung-Ost-Groschen herauszupressen. Reporter, die wegen einer Steuernachzahlungs- Forderung von 50.000 DM rasend werden, sind keine Seltenheit mehr. Bei mir waren es plötzlich 38.000 DM. Und das nur, weil ein Senatsstipendium mich 1992 über die 25.000-DM-Schallgrenze gehievt und das Finanzamt dieses einmalige Ereignis flugs hochgerechnet hatte. Jetzt muß ich 8.000 Mark in Monatsraten abstottern und deswegen eine billigere Wohnung beziehen.
Neulich fingen einige junge taz-Autorinnen an, für höheres Zeilenhonorar zu kämpfen. Trotz meiner strengen Gewerkschafts- orientierung konnte ich mich allerdings zu keiner Solidarität durchringen: 1. bekomme ich als ehemaliger Festangestellter schon doppeltes Zeilenhonorar, und 2. erwägt man in der taz wegen der Finanzkrise bereits, das Tafelsilber (altes und neues Kochstraßen-Haus) zu verscherbeln. Statt dessen votierte ich für einen ersten vor dem zweiten Schritt: Umzug von Redaktion und Verlag in ein kleines (globales) Rollheimer-Dorf am Rande der Stadt. Von einer festangestellten Inlandsredakteurin bekam ich dafür bereits eine erste Einladung in ihren zukünftigen Recherche-Wigwam.
Tatsächlich würde die taz damit wieder aktiv Anschluß an eine gesellschaftspolitische Tendenz finden, die da heißt „Outplacement“ bzw. „Downsizing“. Man schaue sich nur bei den Senatsdienststellen oder Service- Gesellschaften um: Kaum einer tut dort noch fröhlich oder ungebrochen seine Arbeit – alles zittert nur vor den kommenden Rationalisierungen und Sparplänen. Nehmen wir allein die Bild- Schlagzeile: „Nach Feierabend: Sekretärin machte sich über Chef lustig – fristlos entlassen!“ Das, was man bisher nur als Horror-reportage aus Hornow, Wolfen oder Eberswalde ablieferte, könnte bald auch jeder Westberliner Schreiber als Erlebnisaufsatz verfassen. Und wenn mich nicht selber diese Deklassierung beträfe, würde ich eine solche Entwicklung sogar uneingeschränkt begrüßen: Zu lange hat die taz (wie fast alle anderen Medien auch) die Abwicklung ostdeutscher Betriebe nur als notwendige Strukturmaßnahme begriffen und den zaghaften Widerstand der Arbeiter gegen ihre Verelendung als reaktionäre Fortschrittsverhinderung.
Selbst Maggie Thatcher („Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen“) hat inzwischen eine weitaus genauere und basisdemokratischere Sicht auf die DDR- Zerschlagung. Bei der taz war im Zuge der Dekonstruktion des Gesamtdeutschen die Ökologie zu einer Art „Sozialismus für Nichtraucherkarrieristen“ ausgeartet. Indem immer mehr Jung- Mittelschichtler von Einkommens- und Jobverlusten bedroht wurden, geriet dieser „Umweltgedanke“ zunächst sogar noch schriller. Die Wiedervereinigung hatte die Laptop-Handy-Intelligenz aber auch wirklich auf dem falschen Fuß erwischt: Sie war gerade dabei, sich endgültig vom „Kampfblatt“ zu verabschieden, die Übergänge zwischen taz-Sitzredaktion, Stehempfängen und ministerieller Öffentlichkeitsarbeit waren mehr als fließend geworden.
Und also entdeckte man erst einmal das Positive am Anschluß: Die Weite der russifizierten Mark mit ihren 3.000 Seen, Graureihern und leerstehenden Datschen oder Bauernhöfen. Schon bald war jedes zweite Frontschwein zu einer Hausbau-Sau geworden, den an der ganzen Speckgürteldebatte vor allem die neuen Heimwerkermärkte interessierten. Die intern wichtigsten taz-Beiträge waren zwischen 1993 und 96 die „Bauen und Wohnen“-Seiten. Man glaubt es kaum. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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