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Die Hoffnung stirbt nie

Unbeirrt glauben die Briten, daß Tim Henman aus Oxford sie endlich von ihrer anhaltenden Tennis-Mediokrität erlösen wird  ■ Aus Wimbledon Peter Unfried

Was ist eigentlich ein klassisches Gegenwarts-Oxymoron? „Kluger DFB“? Dieses Wortspiel hat tatsächlich Stil; im Gegensatz zum Verband. Der Guardian allerdings ist bei der Suche nach dem scharfsinnigsten Unsinns-Wortpaar auf etwas anderes gekommen: „British tennis“.

Das war allerdings nur in einer kleinen Kolumne und versehen mit einem riesigen Etikett „Vorsicht, Ironie“. Die schonungslose Offenheit steht in stärkstem Kontrast zu der Euphorie, die anderswo herrscht – und mit dem Namen Henman zusammenhängt. Tim Henman (21) spielt im heutigen Achtelfinale von Wimbledon gegen den Schweden Magnus Gustafsson. Auf dem Centre Court, versteht sich. Dort hat er auch am Samstag den britischen Kollegen Luke Milligan ausgeschaltet, und zuvor in Runde 1 den French- Open-Sieger Jewgeni Kafelnikow.

Gäbe es ein „role-model“ für britische Wimbledon-Sieger, Henman wäre der Junge, der nicht zu schlagen ist. Er kommt aus Oxford, Vater und Bruder sind Anwälte. Er selbst hat eine akademische Karriere für eine Elite-Tennisschulausbildung eingetauscht. Auch die hat aus ihm einen hellen jungen Mann gemacht, der sich zu artikulieren weiß. Das Schönste aber ist: Er hat Tradition. Es war Henmans Urgroßmutter Ellen Stawell-Brown, die verdiente Unsterblichkeit erlangte, als sie Anfang des Jahrhunderts als erste Frau den Überkopf-Aufschlag nach Wimbledon brachte. Es ist nicht so, daß er diese Vergangenheit selbst betonte. „Auf eine Art folge ich den Fußstapfen meiner Urgroßmutter“, hat er aber auf Anfragen eingeräumt. Auf eine Art stimmt das. Wenn Henman tatsächlich etwas Bleibendes schaffen sollte, dann hinge es mit seinem Aufschlag zusammen. Pete Sampras sah den Briten vor einem Jahr und sagte: „Er braucht eine Waffe.“ Nun hat er eine.

Mit 197 km/h ist er zwar in den Top ten der Hochgeschwindigkeits-Aufschläger, doch längst nicht so schnell wie Ivanisevic oder auch Stich. Das Vorbild aber ist Stefan Edberg zu dessen bester Zeit. Henman und sein Trainer David Felgate arbeiten an der optimalen Mischung aus Härte und Präzision. Felgate (32) war selbst Tennisspieler – mit relativ bescheidenen Erfolgen. Seit vier Jahren arbeitet er mit Henman. Vor zwei Jahren schien nach einem gebrochenen Knöchel vieles in Frage gestellt, seit vergangenem Jahr bemerkt der Coach größere Fortschritte. Die hängen ursächlich zusammen mit verstärkter Arbeit im Fitneßraum.

Henman ist kein klassischer Athlet. Er sagt aber: „Man muß nur Ivanisevic oder Stich anschauen, um zu erkennen, daß man für ein großes Spiel keine große Physis braucht.“ Der Kraftraum hat seine Oberkörper- und Schultermuskulatur dennoch so gestärkt, daß er auch in späteren Phasen des Spiels noch kräftig servieren kann. Gegen Milligan brauchte er das nicht, doch als er gegen Kafelnikow im fünften Satz 3:5 zurücklag, war es nicht zuletzt die Physis und das darauf aufgebaute Selbstvertrauen, das ihn im Match hielt.

Tim Henman ist auch auf den Ruhm vorbereitet. Der junge Mann ist wach. Wenn er seine Sätze mit „yeaeaeah“ oder „no-ou- o-uo“ beginnt, scheint es, als rase er in der Dehnung einer Silbe zwei Oktaven rauf und runter. Was danach kommt, macht meist Sinn. Henman glaubt zu wissen, daß das Erreichen des Achtelfinales nicht hauptsächlich Glück zu verdanken ist. Er sagt: „Ich bin zufrieden, aber ich werde nicht auf der Straße tanzen.“

Überhaupt ist das mit der Straße so eine Sache. Überall kommen die Leute gerannt, die ihn vor einer Woche nicht kannten oder die es nicht im geringsten kümmerte, daß er Englands Nummer 1 war. In jeder Nachrichtensendung ist er eine große Meldung. Kein anderer Spieler darf den Interview- Raum verlassen, bevor er nicht ausführlich zu Henman Stellung genommen hat.

Vergeben, vergessen, daß er im letzten Jahr noch die „Schande“ von Wimbledon war, als er in unkontrollierter Wut einer Ballfrau den gelben Filz ins Gesicht wuchtete. Auch Caroline Hall, inzwischen 17 und damit im Ballmädchenruhestand, muß in diesen Tagen ihre Meinung zu Henman sagen. Sie ist sicher, „daß er sehr weit kommen wird. Wenn nicht dieses Jahr, dann demnächst.“ Der Erfolg bringt ihn zunächst in die Top 50. Tatsächlich aber glauben Experten an sein Top-20-Potential. Und daß er heute Gustafsson schlägt, der doch auch fast schon im Ruhestand ist? Das muß schon deshalb klappen, weil er damit der erste Brite seit Roger Taylor 1973 in einem Viertelfinale wäre.

Weiß noch einer in England, was Fußball ist? Jetzt ist Wimbledon! Einst war es Jeremy Bates. Im vergangenen Jahr mußte mit Greg Rusedski gar ein naturalisierter Kanadier herhalten. Jetzt ist der Name der Hoffnung Henman. Und die Hoffnung stirbt nie. „Laßt es uns zugeben“, hat allerdings der Guardian geschrieben, „die einzige echte große Leistung des englischen Tennis ist das Fred-Perry- T-Shirt.“ Die Statue des großen Vorkriegshelden steht direkt am Eingang des Wimbledongeländes und ist in diesen Tagen das meistfotografierte Motiv. Dann allerdings kommt schon: Tim Henman.

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