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■ Integration in die Gesellschaft reicht als Ziel für die Schwulenbewegung nicht aus: eine Replik auf Jan FeddersenVisionär wie ein Trachtenumzug...

Hundertsechzig Polizisten, zum Teil vermummt und schwer bewaffnet, stürmen die Schwulenkneipe. Rund siebzig Gäste werden gefesselt und zur Leibesvisitation ausgezogen, drei werden leicht verletzt. Die Rede ist nicht vom Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street, und wir schreiben nicht das Jahr 1969. Der Vorfall ereignete sich im „Zoom“ in Halle und ist erst ein paar Wochen alt.

Der militante Widerstand der Tunten, Transen und Schwulen, der sich nach der Polizeirazzia im Stonewall Inn regte, ist heute erstarrt, das Datum nur noch Symbol. Der Polizeieinsatz im Zoom landet derweil als Notiz in den Nachrichtenspalten, und die Lesben und Schwulen paradieren überall in der Republik, nur nicht in Halle.

Dafür waren beim diesjährigen Christopher-Street-Day-Spektakel in Berlin zweiundsiebzig Paradewagen mit dabei, wie die Veranstalter stolz verkündeten, darunter einer ganz exklusiv für ältere Lesben und Schwule, gesponsert vom Zigarettenmulti Reemtsma. Und die Polizei stand – in Halle mal ausgenommen – als Freund und Helfer beiseite und verteilte zum CSD in Hamburg beispielsweise Trillerpfeifen unters schwule Volk, damit der Homo noch einen Ton von sich geben kann, bevor er überfallen wird im nächtlichen Park.

Immer mit dabei – in professioneller Public-Relations-Kooperation mit Reemtsmas „West“ oder in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Polizei – ist der Schwulenverband in Deutschland (SVD), der politische Arm der Schwulenbewegung und – laut Eigenwerbung – „der Marktführer in Sachen Schwulenpolitik“. Das ist der Stand der Bewegung siebenundzwanzig Jahre nach New York und vier Wochen nach Halle: Angeschlossen an den finanziellen Tropf der Zigarettenindustrie und hoffnungslos naiv versteckt hinter den breiten Rücken der uniformierten Ordnungshüter.

Dermaßen aus der Spur geraten und völlig sinnentleert, müssen noch die letzten Reste zusammengekratzt werden, um der desolaten Situation Herr zu werden. Wie das aussehen kann, hat Jan Feddersen noch vor wenigen Tagen in einem Debattenbeitrag in der taz durchexerziert. „Politisch per se“ sei der Umstand, daß Lesben und Schwule sich einmal pro Jahr öffentlich zeigen können, schreibt Feddersen und tut damit so, als befänden wir uns tatsächlich noch im Jahre 1969. Unterschlagen wird dabei, daß Schwule fast jede Woche öffentlich in unzähligen Talk-Shows zum voyeuristischen Vergnügen der Zuschauer vorgeführt werden, daß Schwule derzeit in den Medien in einem aufgeblasenen Yuppie-Diskurs ausgestellt werden in Gucci- Schuhen und Calvin-Klein-Slips, daß Schwule von einfallslosen Marketing-Strategen hofiert werden als potente Käuferschicht der Zukunft.

Der verzweifelte Rest der Feddersenschen Sinnsuche ist der krude Cocktail larmoyanter Homo-Bürger-Begehren: Antidiskriminierungsgesetz, Homo-Ehe, Schwulenbeauftragte etc. pp., dieses ganze Sammelsurium, das die alerten Bewegungsfunktionäre seit Jahren wie auf einem Schild vor sich hertragen, auf dem nichts weiter steht: Nimm mich auf! Laß mich rein! Besoffen vor Vertrauen in diesen Staat geht der Blick keinen Zentimeter über die Partikularinteressen hinaus und führt gar dazu, daß zum Höhepunkt der Übergriffe und Brandanschläge auf Ausländer hierzulande der SVD-Chef und grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck öffentlich Lichterketten auch für Schwule einklagt.

Diese Maßlosigkeit der Funktionäre hat ihren Preis, und sie fordern bei der eigenen Klientel dafür Anpassung und Wohlverhalten ein. Der Christopher Street Day wird zum Tag der Narrenfreiheit umfunktioniert mit all den Politfloskeln im Gepäck, die für den Rest des Jahres eingemottet bleiben und niemanden über den Tag der Tage hinaus bewegen. Und die Homo-Ehe als zentrale politische Forderung wird einzig zu einem Signal für die Mehrheit der Bevölkerung in völliger Verdrehung der Marianne-Rosenberg-Parole „Ich bin wie du“.

Dabei stört die Integrationisten keineswegs die Tatsache, daß die Masse der Lesben und Schwulen weit davon entfernt ist, sich vor dem Standesamt zu drängen. Vielmehr wird mit dem Glücksversprechen dieser Vision ganz in Weiß der Blick auf die reale Situation der gesellschaftlichen Minderheit verkleistert. Tatsächlich leben wir schon ein paar Tage länger offen schwul, als Feddersen uns das vormachen will, und wir erleben dabei sehr genau, daß und wie Diskriminierung heute funktioniert.

Diese massive Toleranz, die Homosexuellen heute entgegenschlägt, operiert weiterhin mit den gleichen Vorurteilen und Klischees wie zu Zeiten des real existierenden Paragraphen. Homophobe Polizisten mit dem Schlagstock in Halle im Einsatz einerseits und auf der anderen Seite ihre charmanten Kollegen, die sich in Hamburg als Beschützer aufspielen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Eine Verständigung darüber wird nicht gewagt und findet nicht statt.

All jene Forderungen, die immer wieder aufgeblättert werden in dem Katalog der Bürgerrechte, wie Schwule heute ihr Integrationsbegehren nennen, werden keineswegs als Selbstverständlichkeiten gesehen, die eine demokratische Gesellschaft natürlich auch den Homosexuellen bereitzustellen hat. Ganz im Gegenteil – sie werden aufgeplustert zum Ziel- und Endpunkt schwuler Emanzipation und sind dabei doch nichts weiter als Voraussetzung und Ausgangspunkt dafür, daß Homosexuelle sich den eigentlichen Fragen nach ihrer Lebensform stellen können. Das gemeinsame Reden darüber ist notwendig. Es kann von keinem Homo-Beamten erledigt und an keinen Verband delegiert werden.

Dies anzuerkennen bedeutet, das alljährliche Ritual der Paraden zu durchbrechen und die Illusion der Integration aufzugeben. Niemand wird Schwule in Zukunft eher respektieren, nur weil sie Trauringe tragen. Und der Firlefanz auf der Straße ist das, was er ist: unpolitisch per se, ohne Kraft, ohne Folgen und so visionär wie ein Trachtenumzug. Elmar Kraushaar

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