Sehnsucht nach Nerz und Champagner

Im einst reichen Kamerun verarmt die Bevölkerung, doch eine kleine Oberschicht lebt in Saus und Braus mit Mercedes, Villa und Shopping in Paris. Kamerun ist der größte Sekt-Importeur Afrikas  ■ Von Malte Heynen

Ihr Kapital ist eine rostige Autofelge und eine aus krummen Brettern zusammengenagelte Bank. Jeden Abend sitzt sie gegenüber dem Stadion an der Ausfallstraße der Hauptstadt und wartet auf Kunden: Chantal Ngono brät am Straßenrand Fisch. Der Holzkohle in der alten Felge fächelt sie mit einem dünnen Brett Luft zu. Auf den Bratrost, ein Stück aus einem Metallzaun, hat sie zwei Makrelen gelegt. Die große, mit Öl und Zwiebeln gegrillt und mit Pfeffersoße gewürzt, kostet 300 CFA- Franc – 90 Pfennig. Dazu gibt es zwei reife Kochbananen. Da Madame Ngono den Fisch teuer auf dem Markt einkaufen muß, verdient sie an jedem Kunden nur einige Pfennige.

Chantal Ngono hat Jura studiert und wollte eigentlich Dozentin werden. Doch sie hat das Pech, in Kamerun zu leben. Seit einigen Jahren ist der kamerunische Staat pleite und spart überall. Weder an der „Ecole Normale Superieur“ noch an anderen Universitäten hatte Chantal Ngono Aussicht auf eine Stelle. So fing sie an, abends auf der Straße Bratfisch zu verkaufen. „Zu Anfang“, sagt sie, „war mir das unangenehm. Inzwischen weiß ich, daß ich keine Wahl habe. Ich muß ja irgendwie zu Geld kommen. Soll ich etwa stehlen?“

Seit einigen Jahren klagt man auf Kameruns Straßen nur noch über „die Krise“. Die Masse der Bevölkerung verarmt und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs auf der Straße durch. Nur eine kleine Schicht klagt nicht. Ihre Angehörigen fahren Mercedes mit Autotelefon, sie haben Küchenmädchen, uniformierte Wachmänner und Chauffeure, sie fliegen mit dem „Shopping-Tarif“ von „CamAir“ oder „Air France“ zum Einkaufen nach Paris. Kamerun ist nach wie vor der größte Importeur von Champagner in Afrika.

Wenn man in Südkamerun von der Provinzstadt Sangmelima aus in den Dschungel vordringt, geht die Asphaltstraße nach wenigen Kilometern in eine Lehmpiste über. Links und rechts erstrecken sich endlose Wälder. Ab und zu haben sich einige Lehmhütten mit Blechdach zu einem Dorf zusammengefunden. Dann zweigt von der Straße ein grasbewachsener Stichweg ab, gesäumt von Gartenlampen mit Milchglaskuppeln. Er führt, an eingefaßten Blumenbeeten vorbei, zu einem weitläufigen Flachdach-Bungalow. Die Scheiben sind getönt, die Räume klimatisiert, die gläserne Eingangstür ist mit Metallstangen verstärkt.

Die Residenz gehört einem Regierungsfunktionär, der für die Sicherheit des Präsidenten verantwortlich ist. Wenn er aus der Hauptstadt in sein Heimatdorf im Wald zurückkommt, will er standesgemäß wohnen. Er kommt jedoch selten. Das teure Gebäude ist verlassen und verriegelt, die Blumenbeete sind von mannshohen Gräsern überwuchert.

Die Szene ist ein Sinnbild für das Verhalten der Reichen Kameruns. Sie haben keine Scheu, ihren Reichtum zu zeigen. Im Gegenteil, sie stecken viel Geld in Statussymbole, die sie nicht brauchen, die sie sogar verkommen lassen.

Staatsfunktionäre sind beim Volk unbeliebt. Ihr Reichtum sei Diebstahl, sagt man auf der Straße. Seit rund vier Jahren, seit die Regierung oppositionelle Zeitungen erlaubt, kann man das sogar lesen. Die private Presse deckt einen Finanzskandal nach dem anderen auf. Zunächst hieß es, Ministeriale hätten sich bei den zahlreichen Staatsbetrieben bedient. Später, als auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) einige Staatsunternehmen privatisiert wurden, sollen sie sich noch einmal bereichert haben.

In der Hauptstadt Yaoundé wird das Leben der Reichen gefährlicher. Vor der Residenz des italienischen Botschafters, im noblen Stadtteil „Bastos“, ziehen Arbeiter in Höhe der Mauerkrone ein Holzgerüst entlang. Der Wall um die weiße Villa soll von zwei auf vier Meter aufgestockt werden. Auch gegenüber, dort wohnt ein Kameruner, wächst eine Mauer. Man hört viele Geschichten von Überfällen in diesen Tagen. Neulich hat eine vermummte Bande versucht, in das Privathaus neben dem Büro des „Deutschen Entwicklungsdienstes“ einzubrechen. Unter den Umhängen eines Diebes, so heißt es, erkannten Zeugen die Hose einer Polizeiuniform.

Immer öfter schützen private Wachdienste die Welt der Reichen. In Yaoundé sieht man die Wachmänner in dunkelblauen oder khakifarbenen Uniformen überall. Vor dem italienischen Restaurant „Pasticcio“ öffnet ein Uniformträger den Gästen die Autotür und bewacht die Geländewagen mit den verchromten Stahlbügeln vor dem Kühler. Für den durchschnittlichen Kameruner sind die weißgekalkten, klimatisierten Räume mit dezenter Musik, wo die Pizza umgerechnet zehn Mark kostet, eine ferne Welt.

Die „Nuit de St. Sylvestre“ im Hilton-Hotel mit „Tanz rund um den festlich beleuchteten Swimmingpool“ kostet für zwei Personen 40.000 Franc CFA, einschließlich eines „Magnifique Buffet“. Das sind umgerechnet 120 Mark. Die Wachleute, die unter den Betonarkaden vor dem Hilton mit Gewehr im Anschlag stehen, verdienen rund 180 Mark im Monat – aber erst, wenn sie viermal befördert wurden und sich so die Berechtigungen erworben haben, Tränengaspistole, Funkgerät und Gewehr zu tragen. Ein Berufsanfänger bekommt bloß eine Trillerpfeife und 90 Mark im Monat – weniger als ein Ehepaar drinnen in einer Sylvesternacht ausgibt.

Aber die Wachleute sind nicht arm. Arm ist in Kamerun derjenige, der auf der Straße gelandet ist. Dort findet man Gelegenheitsarbeiter und Kleinstunternehmer, die in keiner Wirtschaftsstatistik auftauchen, die aber der eigentliche Motor der kamerunischen Wirtschaft sind. Wer einen Handkarren hat, wird „Fuhrunternehmer“, das heißt, er wartet am Ausgang eines Marktes auf Leute, die einige Kilo Maniokknollen nach Hause transportieren müssen. Wer Kapital und Geschick im Handeln hat, trägt einen Bauchladen und verkauft Plastiktüten aus Nigeria oder Zigaretten am Stück (Anzünden im Preis inbegriffen). Wer gar ein Moped besitzt, postiert sich an einer Kreuzung und bietet als Taxifahrer seine Dienste an.

Wer arm ist, hat seine Träume. Ferdinand Achu ist 16 Jahre alt und Schüler eines Gymnasiums in Bamenda im englischsprachigen Westen Kameruns. Er verließ sein Heimatdorf Bali, um hier die weiterführende Schule zu besuchen. „The highest super class“ steht auf dem Plakat, das sich Ferdinand in sein Zimmer gehängt hat. Das Poster zeigt Sportwagen vor den Kulissen von New York, Tokio und Paris. Neben den Wagen sieht man Frauen im schwarzen Abendkleid oder im Nerzmantel.

Zwei Jahre mußte Ferdinand in der Schule schon aussetzen, weil er kein Geld hatte. Zwar zahlt er nur eine geringe Miete für sein acht Quadratmeter großes Zimmer, doch seit einiger Zeit müssen die Schüler in Kamerun auch noch Schulgeld von 13.000 CFA-Franc pro Jahr aufbringen – rund 40 Mark. Von diesem Geld kann man sich in Kamerun einen ganzen Monat lang ernähren. Schulbücher muß Ferdinand auch noch kaufen. Zum Glück kann er, wenn er das Schulgeld nicht aufbringt, im darauffolgenden Jahr wieder einsteigen. Ferdinand hat einen großen Traum: „Ich möchte in der Schweiz studieren.“

Die sozialen Unterschiede in Kamerun mögen noch so groß sein: Die Mehrzahl der Armen will die Reichen nicht aus ihren Luxusvillen vertreiben. Lieber träumen sie davon, einmal selbst eine zu bauen. Da ist der junge Praktikant beim Staatsrundfunk, der jeden Tag überkorrekt gekleidet in der Radiostation erscheint und sagt: „Ich will reich werden, nichts anderes, denn ich komme aus einer armen Bauernfamilie. Nach meiner Ausbildung werde ich Werbetexte schreiben. Da verdient man mehr als beim Staatsrundfunk oder der Oppositionspresse.“ Oder Jacques Kouam, Nachbar eines hochrangigen Mitarbeiters der Parlamentsverwaltung, der meint: „Wer einen Staatsposten bekommt und es nicht schafft, so ein großes und schönes Haus zu bauen wie mein Nachbar, der wird von den Leuten schief angesehen. Vielleicht ist er ja nicht schlau genug, um Geld zu unterschlagen.“