■ Nachschlag: Fotokunst aus den Niederlanden im Neuen Berliner Kunstverein
Eng ist es im „Haus meiner Eltern“ von Theo Bos. Eingang und Ausgang bewachen Vater und Mutter, die er sitzend fotografiert hat, und man weiß nicht, was man mehr fürchten soll: die Karos der Stuhlpolster, die entschlossen parallele Beinstellung der Mutter oder ihren strengen Blick. Zwischen die Eltern hat Bos als Archäologe auf den Spuren seiner Herkunft Nahaufnahmen geklemmt: der Papierkorb, das Bügelbrett, die Lampe – gegenständliches Alphabet einer unantastbaren Ordnung. Erbarmungslos nüchtern treibt er dem familiären Erinnerungsbild jede Gemütlichkeit aus.
Unter den 13 Positionen „Zeitgenössischer Fotokunst aus den Niederlanden“ im Neuen Berliner Kunstverein ist Bos der kühlste Dokumentarist und ironischer Inszenator zugleich. Die Suche nach dem Wirklichen verbindet sich zunehmend mit Fragen nach der Prägung eigener Wahrnehmung, die Bos in den häuslichen Ordnungsmustern bloßlegt. Das passiert auch bei Ine Lamers: Sie tastet die Objekte vor der Kamera nicht an, sorgt aber für die Bewußtwerdung des Ausschnitthaften. Gartenstühle, Wäscheständer oder Fahrräder fotografiert sie nachts auf dem Balkon, von Streiflichtern deutlich konturiert. In monumentalen Abzügen katapultiert sie den Betrachter quasi an den Tatort der alltäglichen Bemühungen, der Dingwelt Herr zu werden. Er stolpert mitten in diese fremde Intimität hinein, der sich die Fotografin nur mittels der technischen Ausrüstung genähert hat. Das Marginale pumpt sich zum Symbolischen auf.
Überhaupt: die großen Formate. Fotografie expandiert. In Lebensgröße zwingen uns Porträtierte (von Rineke Dijkstra) ihre Gegenwart auf, der wir uns im Leben immer zu entziehen wüßten. Ein Triumph über das Wirkliche, den vor allem die computergenerierten Bildwelten auskosten, deren Produzentinnen die Spannung zwischen Dokument und Inszenierung nicht mehr interessiert. Fragmente ihres eigenen Körpers modelliert Danielle Kwaaitaal am Computer wie eine Landschaft; Inez van Lamsweerde fummelt virtuos an verfeinerten Geschlechtsmerkmalen herum. Bei Désirée Dolron, die ihre Modelle mit Gold- und Bronzefarbe präpariert, wird die Manipulation infernalisch wie in einem B-Picture: Sie kratzt den Porträtierten die Augen aus, weil Fotografierte nicht aus dem Bild zurücksehen können. Das Medium wird sich selbst unheimlich, und es fehlt nicht mehr viel, bis die Bilder, wie einst die Statuen der Madonna, echte Tränen weinen. Katrin Bettina Müller
Bis 28. 7., Di.-So., NBK, Chausseestraße 128, Katalog 35 DM
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