: Kunstvolle Schürfwunden und Geschwüre
■ Geschlossen wird die Ernst-Busch-Schule nicht, richtig finanziert aber auch nicht. Die Arbeit geht mit gestundeten Honoraren weiter: Im bat-Studiotheater zeigte Verena Drosner Becketts „Bruchstücke“
Die Panik und der Aufruhr haben sich gelegt. Studenten plaudern im Hof des bat-Studiotheaters, manche begrüßen sich, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen. Nichts deutet darauf hin, daß diese Premiere, wie die Einladung spekuliert, die letzte der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ sein könnte. Mehr als die Hälfte der Mittel für externe Dozenten und Werkverträge für die Studenteninszenierungen sind gesperrt, die Honorare werden gestundet. Selbst mittelfristige Planungen sind so nicht möglich: „Theater und Abteilungen der Hochschule sind nicht mehr arbeitsfähig“, heißt es lapidar. 200.000 Mark fehlen bis zum Jahresende. Zwar ist die Schließung der angesehenen Hochschule vorläufig abgewendet, ein Zukunftsmodell ist das jedoch noch lange nicht.
In dieser Zwischensituation also zeigt Verena Drosner ihre Diplominszenierung, Becketts „Bruchstücke I und II“. Wahrlich ein Sparmodell: die Bühne von Annette Braun. Weiße Kunstseide im Halbrund von der Decke bis zum Boden gespannt, mit einer Öffnung nach hinten; weiß auch der Boden. Dieser sterile Klinikraum wird zwar im blauen Licht des „Bruchstücks II“ recht einleuchtend zum abenddämmrigen Salon, „Bruchstück I“ bleibt jedoch hier ein Fremdkörper.
Die in jeder Hinsicht dekorativ gestalteten Penner haben nichts gemein mit dem großen weißen Nichts, das sie umgibt und das per Klischee so gut zu Beckett passen könnte – als Übersetzung für den Beckettschen Solipsismus, den „Rückzug in den Schädelraum“. Nichts davon. Statt dessen kunstvolle Schürfwunden und Geschwüre, die jedem Splatterfilm zur Ehre gereichen würden; weiterhin ein Paradebeispiel an Obdachlosen-Einkaufswagen und ein Bilderbuchblinder, der über die Bühne stakst, wie es Sehende tun, wenn sie „Blinde Kuh“ spielen. Außerdem muß der arme Darsteller im Jahre eins nach Martin Wuttkes „Arturo Ui“ den hechelnden Hund geben.
Beckett sentimental
Leider ersetzen hier Dekor und Illustration jegliche Phantasie und Idee. Von einem „intellektuellen“ Spielraum ist nichts zu spüren: Die philosophische Tragweite und Spannkraft Becketts bleibt in wundersam hölzern vorgetragenen Sätzen stecken. Dieser Lahme (Ursula Werner, Maxim Gorki Theater) und dieser Blinde (Sebastian Kautz, bisher carroussel- Theater) wissen meist nicht, wovon sie sprechen und woran sie (ver-)zweifeln. Warum schlagen sie sich, statt gemeinsam durchs Leben zu gehen? Warum hört der Blinde nicht einfach auf zu leben? Hohe, hektisch hingekratzte Geigentöne illustrieren die Antwort, sie vertiefen diesen Kernsatz nicht: „Ich bin nicht unglücklich genug. Das war immer mein Unglück, unglücklich, aber nicht genug.“
Einzig eine „sentimentale“ Szene stellt in diesem ersten Teil etwas vor: die, in der der Blinde den Lahmen ertastet. Immer zärtlicher, immer sehnsuchtsvoller, immer trauriger. Doch um das zu erfahren, bedarf es Beckett nicht.
Nach diesem tristbraunen Jammerspiel setzt „Bruchstück II“ auf Komik – und entgleitet ins boulevardeske Schenkelklopfen. Das unterhält zwar das Publikum, trifft jedoch weniger die Dichotomie des Beckettschen Humors. „Nichts ist komischer als das Unglück“, läßt der Autor Nell im „Endspiel“ sagen. Schade, daß Verena Drosner im Dienste der Komik die Dissonanzen des Unglücks vergißt; schade auch, daß unser Lachen nicht erstickt wird oder befreiend wirkt, sondern einfach an der Oberfläche dahingiggelt.
Zwei fast schon kafkaeske Lebensbilanzbuchhalter haben darüber zu entscheiden, ob C. nun mit einem Sprung aus dem Fenster sein Leben beenden soll oder nicht. Verena Drosner präsentiert sie als Engel in grauen Anzügen mit einem großen und kleinen Flügelpaar. Erfreulich ist nun, erstmals, ihr Zusammenspiel, amüsant aus der Situation heraus und aus dem Text. Absurd bürokratisch werden Aktiva und Passiva den Aktenordnern entnommen und abgewogen.
Beckett light
Doch dann trägt vor allem Ursula Werner zu dick auf. Als kleiner, ruppiger Pummelengel muß man sie zwar vorerst für ihre Grimassen und den uneitlen Körpereinsatz bewundern, auf Dauer jedoch entpuppt sich dieser Engel als banaler Publikumshascher. Und so ging der Versuch, Beckett anhand der beiden Bruchstücke in „Endspiel“ und „Komik“ zu zerteilen, schief. Was blieb, war Beckett kopflos. Beckett light. Hoffentlich folgen noch weitere Premieren der Ernst- Busch-Schule. Petra Brändle
Bis 7. 7., 20.30 Uhr, bat-Studiotheater, Belforter Straße 15
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