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Hamburgs bunte Brücken

Die Verhäkelung von Stadt und Fluß läßt sich am ehesten per Fahrrad entdecken: Eine trotz Mühsal lohnende Tour – erfahren  ■ von Elsa Freese

„Hamburg ist ein schönes Städtchen, weil es an der Elbe liegt“, heißt es im Lied.. Wie sich Stadt und Fluß verbinden, läßt sich per Fahrrad erkunden. Mindestens fünf Stunden Zeit und ein belegtes Brötchen im Rucksack? Dann los.

Die Tour beginnt wegen der zentralen Lage an den Landungsbrücken und führt vorerst die Elbpromenade entlang gen Osten durch die Touristenmassen, vorbei an Gruner + Jahr auf der linken Seite, der Freihafen rechts mit der Speicherstadt – ein vertrautes Bild.

Jetzt liegen die Deichtorhallen jenseits der Kreuzung im Vordergrund. Geradeaus fährt man zwischen den beiden bulligen Hallen hindurch in die menschenleere, gesichtslose Bankstraße, die zu den Großmarkthallen führt. Hier wendet höchstens mal ein Lkw, mehr Leben findet am Tage – oder gar am Wochenende – nicht statt. Vor den Hallen, den wellenartigen Blechkisten, zwingt ein Zaun um das Gelände die Radler nach links. Hier übermannt den mutigen Fahrer dann kurz die Verzweiflung. Auf der Amsinckstraße donnert der Verkehr und man glaubt jetzt mit ihm auf die Elbbrücken zu müssen. Dem ist nicht so.

Es gibt einen Weg geradeaus über diesen rauchspeienden Drachen aus Blech: an der Ampel Lippeltstraße rüber zum Mittelkanal. Bis zur S-Bahn Hammerbrook, dort muß man leider abbiegen, um in einem kleinen Schlenker nach rechts in den Nagelsweg und einem kleinen Bogen über die Sachsenstraße wieder nach links auf die Wendenstraße zu gelangen. Auf ihr geht's rüber über den Heidenkampsweg nach Hamm-Süd. Die stilvolle Straße mit einem Mischmasch aus alten Industriebauten und Wohnhäusern bis zum Ausschläger Weg vor. Rechts ab und immer geradeaus auf den Billwerder Steindamm über die Grüne Brücke auf den Billhorner Deich. Hier an der Grenze zwischen Hamm und Rothenburgsort beginnt die Verhäkelung von Stadt und Fluß romantisch zu werden. Am Sperrwerk trennt sich die Elbe in Norderelbe und Billwerder Bucht. Hier lohnt ein kurzes Verweilen.

Rechts ein Blick auf die Elbe stadteinwärts mit den Brücken, links die kleine Bucht und im Vordergrund ein Blick auf den struppigen Kaltehofer Hauptdeich. Ein abgeschiedenes Stück Hafenkultur, in der auf den Becken der Wasserwerke einsame Schwäne ihre Bahnen ziehen. In aller Abgeschiedenheit unterquert man schließlich die Autobahn, um auf dem Moorfleeter Hauptdeich mit der Dove Elbe an der rechten Seite in die Kurve zu gehen. Kurz bevor der Tatenberger Weg kreuzt, verwundert die geisterstadtähnliche Bebauung zur Linken. Am Ende klärt ein großes Schild darüber auf, was man schon ahnte. Hier liegt die berühmt-berüchtigte Billesiedlung. Schnell weg, das dachten sich auch die meisten der Anwohner. Entsprechend deprimiert blieben die zurück, die sich nicht einfach trennen konnten. Zwischen abgeholzten Bäumen und leerstehenden Nachbarhäusern stochern die Übriggebliebenen im Garten.

Wir kreuzen den Tatenberger Weg und biegen hinter der Schleuse nach links ein auf den Tatenberger Deich. Jetzt wäre gleich an der linken Seite am Ufer der inzwischen abgezweigten Dove-Elbe die erste Möglichkeit einzukehren – am Tatenberger Yachthafen. Klüger ist es, noch eine Viertelstunde weiter zu fahren. Denn die kleine, gewundene Straße führt an alten Bauernhäusern mit großen Gärten und Obstständen vorbei. (Schade, daß gerade die Motorrad-Fahrer diese Strecke als Ralleymöglichkeit entdeckt haben.). Dieser alte Deich, der in Folge Ochsenwerder Norderdeich heißt, führt in das Naturschutzgebiet Die Reit. An diesem Knick, wo sich die Dove-Elbe in die Gose Elbe verästelt, liegt eine originelle Gastwirtschaft, die diese Bezeichnung verdient. Die wenigen Bauern, die an der Theke auf platt wenig miteinander reden, spüren sofort den städtischen Wind und reden noch weniger.

Es gibt Deftiges zu essen und Hamburg ist lang vergessen – eigentlich würde man gerne bleiben.

Weiter geht es. Aus der Schenke kommend biegt man rechts auf den Reitdeich ab und radelt durch ein vergessenes Stück Landschaft in Richtung Nordosten. Den rechts wohnenden Hinterdeichlern kann man auf's Dach kucken. Der trügerischen Brücke auf der linken Seite fehlt ganz am Ende ein wesentliches Stück, deshalb sollte man den Umweg über den Vorderdeich bis zur Allermöher Kirchenbrücke in Kauf nehmen. Dort biegt man links ab auf den Allermöher Deich, um gleich wieder hinter der Hans-Dunker-Straße rechts in den Mittleren Landweg einzubiegen. Ein langweiliger, auf Höhe der S-Bahn höchst ungemütlicher Ort, dessen S-Bahn-Station finsterst anmutet.

Der Weg stößt am Ende auf den Billwerder Billdeich, eine autobefahrene Straße, die genau so verspielt ist wie der Name. Sie schlängelt sich parallel zur Bille durch die Landschaft und wir biegen links in Richtung Stadt ein. Pferdekoppeln bereichern das Auge, Hamburg erscheint immer noch weit entfernt. Das täuscht: Gleich hinter der Roten Brücke macht die Straße einige scharfe Kurven, Industrie- und Lagerhallen mehren sich und die Tour führt in die Berzeliusstraße.

Ein Stück Hamburger Harlem tut sich auf. Sozialbaublöcke mit Hunderten von Satellitenschüsseln. Ein Ghetto für Roma und Sinti, in dem man sich automatisch als Eindringling fühlt. Dahinter schließt sich ein undefinierbares Viertel aus Autowerkstätten, Hallen, Lagern und von Hunden bewachtem Fabrikgelände an. Als ob Bille von Unbill käme, läßt man hier die Stadt in gänzliche Strukturlosigkeit verfallen. Am Ende dieser erbarmungslosen Straße geht's rechts auf die Wöhlerstraße. Auf der Blauen Brücke über die Bille und links in die Schrebergartenkolonien – Hamburgs Ausweichsiedlungen für Spießbürger. Das endet denn auch an der Braunen Brücke mit dem Tierheim rechterhand. Hier fummelt man sich vor bis zur Diagonalstraße und biegt links in die Wendenstraße ein. Die wieder bis ans Ende.

Nun fahre jeder auf dem kürzesten Weg nach Hause. Und verbringe den restlichen Abend ermattet im Biergarten. Oder in der Badewanne.

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