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Integration auf schwäbisch

Der Rasen ist heilig und der Bürgermeister stur: Ein türkischer Fußballverein darf nicht auf dem Sportplatz spielen. Samstag spielt Türkspor doch  ■ Aus Dettingen Philipp Maußhardt

Die Fernsehkameras sind weg. Auch die Agentur-Journalisten aus der Landeshauptstadt Stuttgart sind abgezogen, und selbst im „Ermstalboten“ haben Berichte aus Dettingen wieder den Platz, den sie verdienen: auf Seite 17. Nur kurz hatte der Medienrummel gedauert, aber seine Wirkung hält an. Wer sich in dem 9.000-Einwohner- Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb heute noch als Journalist zu erkennen gibt, kann sich glücklich nur dann schätzen, wenn er die Mundart nicht versteht. Er täte ihn „glei hoimgeiga“, beschied ein älterer Dettinger den Berichterstatter, was nur unzutreffend damit übersetzt ist: Er wolle ihn mit einer Violine nach Hause begleiten.

Der Grund für den Bauernzorn der Dorfbewohner ist je nach Standpunkt ein ganz entgegengesetzter: Sie selbst sehen sich von den Medien als „ausländerfeindlich“ verunglimpft, nur weil sie dem türkischen Sportverein des Ortes seit drei Jahre den Fußballplatz verweigern.

Die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen „Türkspor“ und der Gemeinde hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht, ein Begriff, den die meisten Dettinger heute erst richtig verstehen. Sie fühlen sich geschlagen und gebeutelt, und ihr Bürgermeister, der alte Rudolf Beutler, nennt das so: „Jetzt weiß ich, was eine ,story‘ ist. Man hat uns ganz übel benutzt. Wenn das so weitergeht, dann machen die Medien noch die ganze Gesellschaft kaputt.“

Auf der anderen Seite, und da stehen Richter, Fußballfunktionäre und Journalisten, hält man die Dettinger und ihren Gemeinderat für ziemlich borniert und kurzsichtig. Das kann man nur zum Teil mit der geographischen Lage entschuldigen, denn Dettingen liegt eingekesselt tief im Ermstal. Ganz objektiv jedenfalls ist, daß man die Dettinger in der näheren Umgebung auch „Geißköpfe“ nennt, weil, lang ist's her, der württembergische König Karl Eugen bei der Durchreise im Rathaus nur Ziegen und Geißböcke vorfand.

Der Vorfall aus dem ungefähren Jahre 1784 war fast vergessen, als jetzt im Rathaus jene Beschlüsse gefaßt wurden, die wieder daran erinnerten. Mehrfach hatten die türkischen Kicker von Dettingen darum gebeten, doch auch einmal im schönen Neuwiesen-Stadion spielen zu dürfen und immer die gleiche Antwort erhalten: Das schadet dem Rasen, und genügend Duschkabinen gibt es auch nicht. Die Türken beschwerten sich schließlich beim Landrat, und der gab ihnen recht. Noch rechter gab ihnen zuerst das Verwaltungsgericht in Sigmaringen und dann der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim – doch je eindeutiger die Juristen urteilten, desto sturer bockten die Dettinger: Lieber zahlten sie bislang 6.000 Mark Zwangsgeld aus der Gemeindekasse, als daß sie den türkischen Fußballverein auf ihrem heiligen Rasen duldeten.

Das Rathaus renoviert, das Dorfzentrum verkehrsberuhigt, die Umgehungsstraße gebaut. Wenn Dettingen im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ noch keinen Preis gewonnen hat, dann wäre das ungerecht. Der Marktplatz frisch gepflastert, die vielen Wirtshäuser gut besetzt, die Geranien gedüngt und gegossen. Alles das Verdienst von Bürgermeister Rudolf Beutler, seit nunmehr 30 Jahren im Amt und bekannt dafür, daß er einen Schädel hat so hart wie der Kalkstein der Alb. Wenn er einmal losstürmt, hält ihn niemand mehr auf. In der Kreisstadt und in der Landeshauptstadt kennt man ihn, den Hartnäckigen, den Stierkopfeten und hat ihm schon manchen Wunsch erfüllt, nur damit er wieder ging. „Ich habe einen Eid geschworen“, sagt Beutler, „Schaden von der Gemeinde zu wenden.“ Beutler spricht vom Fußballplatz wie von einem atomaren Ernstfall. „Da hätte kommen können wer will, es ging allein um den Rasen und die Kapazität des Platzes.“ Wenn es je einmal darum ging, längst geht es in Dettingen um etwas anderes. Der Absender eines Leserbriefes im „General-Anzeiger“: „Warum integrieren sich die Türkspor-Mitglieder nicht im TSV Dettingen?“ Ja, warum essen die 350 Dettinger Türken noch immer lieber gefüllte Weinblätter als Maultaschen?

Es ärgert die Einheimischen mehr als es sie freut, daß in der guten alten „Traube“ seit einiger Zeit „Imam Bayildi“ und „Coban Kavurma“ auf der Speisekarte stehen, wo es einst Spätzle und Kartoffelsalat gab. Natürlich hat man auf der Straße nichts gegen Türken. Aber warum integrieren sie sich nicht!? Und wenn sie es nicht freiwillig tun ..., der Dettinger Manfred Notz wird deutlicher: „Der Unmut über Türkspor in Dettingen ist groß.“

Es muß nichts heißen, aber im Schaukasten für die Parteien, der gleich neben dem Rathaus steht, halten nur die „Republikaner“ ihre Ecke sauber. Die verwirrte Ansprache eines „Rep“-Landtagsabgeordneten ist ausgehängt, in der er davon spricht, daß das „Volk die Grundlage der Demokratie“ sei. 10,8 Prozent der Dettinger haben die „Reps“ vor kurzem gewählt, aber ausländerfeindlich, sagen alle, sei man hier nicht. „Nirgendwo gab es mehr türkische Hammelfeste als bei uns“, ist die Antwort des Bürgermeisters auf solche Fragen, und man weiß nicht recht, ob er das gut oder schlecht findet. „Bald feiern die Türken ihr Hammelfest auf dem Sportplatz“, wird jedenfalls ein Dettinger in der „Stuttgarter Zeitung“ zitiert, und der meint das gar nicht freundlich.

Mit gleich vier Vereinen haben sich die Dettinger Türken ins Register eingetragen: dem Kulturverein, dem türkischen Frauenverein, dem islamischen Verein und dem türkischen Sportverein. Soviel Integration macht offensichtlich schon wieder Angst. Und wenn dann auch noch der Vorsitzende von „Türkspor“ versichert: „Natürlich nehmen wir auch deutsche Fußballspieler auf“, dann muß man wohl verstehen, daß manche das nicht mehr verstehen.

Vor 13 Jahren haben einige junge Türken aus Dettingen und Umgebung ihren Sportverein gegründet, ganz vorschriftsmäßig nach deutschem Satzungsrecht. Und wenn der Vorsitzende Mehmet Çiftçi mit seinem Pressewart Tugrul Demirbasch über Vereinsangelegenheiten telefoniert, klingt das für deutsche wie für türkische Ohren irgendwie merkwürdig: „Ya Schriftführere söyle onu bizim Satzunga yazin ...“ purzeln da durcheinander, daß es eine sprachwissenschaftliche Freude ist.

Zehn Jahre lang gab es zwischen „Ermstal Türkspor“ und Ermstal Deutschland keine Probleme, denn zehn Jahre lang kickten die schwarzhaarigen Jungs gegen andere schwarzhaarige Jungs. Doch im Jahre 1993 fühlten sich die Türksportler so stark, daß auch sie in einer regulären Liga spielen wollten. Ohne Platz aber keine Lizenz und ohne Lizenz keine Gegner. Also beantragten sie auf dem Rathaus die Spielerlaubnis für das Neuwiesen-Stadion, das bis dahin ausschließlich vom TSV genutzt wurde.

Nach dem kategorischen „noi“ aus dem Rathaus baten sie höflich darum, ihnen doch dann wenigstens das Kicken auf dem Hartplatz zu erlauben. Doch diesmal war es nicht der zu schützende Rasen – keine ausreichenden Duschmöglichkeiten seien da vorhanden, erklärte der Bürgermeister und verneinte auch das.

Nun ist der Vorsitzende von Türkspor, Mehmet Çiftçi, allerdings schon so gut integriert, daß er selbstbewußt einen Rechtsanwalt einschaltete und damit auch noch Erfolg hatte. Anwalt Holger Weiblen ist aus diesem Grund beim Bürgermeister gar nicht mehr beliebt: „Der versucht doch nur, à la Bossi Aufsehen zu erregen“, tobt Beutler, der es nicht verwinden kann, daß ihm, dem Schultes, vor Gericht der Rost heruntergeputzt wurde. Da stand er, der Dickkopf, wie ein begossener Pudel und schnaufte nur noch laut, als Richter Wolfgang Armbruster ihm und seinem Gemeinderat zur Strafe für die Weigerung ein Zwangsgeld aufbrummte und das Finanzamt zur „sofortigen Vollstreckung“ aufforderte.

Inzwischen änderte der Gemeinderat schnell noch die Gebührenordnung für die Benutzung des Fußballplatzes, in der Hoffnung, die Türken finanziell ins Abseits zu manövrieren, und der TSV – auch nicht müde – stellte flugs noch eine dritte Mannschaft auf, damit der Platz auch ausgelastet ist. Unbeeindruckt davon hat der württembergische Fußballverband jetzt Türkspor endlich die Lizenz erteilt. Von kommender Saison an spielt der Verein in der untersten Liga, der „Kreisliga C, Bezirk Alb“.

Wenn am 13. September das erste Spiel im Neuwiesen-Stadion angepfiffen wird, so witzelt Tugrul Demirbasch, „steht der Herr Bürgermeister wahrscheinlich auf dem Platz und will es noch verhindern“. Demirbasch wohnt im benachbarten Kurort Bad Urach, dort, wo auch der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Cem Özdemir, aufgewachsen ist. Özdemir hat dafür gesorgt, daß noch vor Spielbeginn in der kommenden Saison eine Premiere stattfindet: Am Samstag dieser Woche werden grüne Abgeordnete von Bund und Land gegen den türkischen Verein kicken – auf dem Rasenplatz des Neuwiesen- Stadions von Dettingen.

Daß allerdings mehr als eine Handvoll Dettinger die Tribüne bevölkern, ist unwahrscheinlich. Man ist beleidigt und der Bürgermeister grüßt Herrn Çiftçi nicht mehr. Vielleicht wird er es wieder tun, wenn Çiftçi seine bereits beantragte Einbürgerungsurkunde erhalten hat. Der Vereinsvorsitzende von Türkspor hat seinen Mitgliedern empfohlen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen: „Wir wollen bei den nächsten Wahlen unseren Bürgermeister auch mitwählen“, sagt er.

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