piwik no script img

■ Berlins Pflaster war am Wochenende die größte Tanzfläche der Welt. 600.000 Techno-Touristen waren zur Love Parade angereist. Und das Massenspektakel hinterließ Spuren: Allen Appellen zum Trotz sahen die Straßen hinterher aus wie Sau.Prov

Berlins Pflaster war am Wochenende die größte Tanzfläche der Welt. 600.000 Techno-Touristen waren zur Love Parade angereist. Und das Massenspektakel hinterließ Spuren: Allen Appellen zum Trotz sahen die Straßen hinterher aus wie Sau.

Provinz erobert Berlin

Es hätte so schön werden können. Nur leider hat Birgit gerade ihren Holger und den Rest der Clique im Gewühl verloren. Jetzt weiß sie noch nicht so genau, wie es weitergeht. Die Chance, ihre Freunde in dem unüberschaubaren Gedränge wiederzufinden, ist gleich Null. Aber egal. Erst einmal läßt sie sich treiben – wie alle anderen auch. Rumlaufen, warten und glotzen.

Birgit klettert auf einen Elektrokasten an der Straße des 17. Juni, und sobald sich einer der Trucks nähert, auf denen sich gewaltige Boxentürme stapeln, hüpft sie im Viervierteltakt der dröhnenden Bässe, wirft die Arme in die Luft und bewegt dazu ihre Hände so fließend, als ob sie in einem Aquarium schwimmen würde. Die 16jährige trägt ein enganliegendes Neonkleid und eine Sonnenblume im Haar. Sie ist erst seit vier Stunden in Berlin. Die ganze Nacht hat die Fahrt mit dem Zug aus Gelsenkirchen gedauert. Nicht etwa mit einem der drei eigens eingerichteten „Love Trains“, in denen die Sitze rausgenommen wurden, damit die wilde Tanzparty schon bei der Anfahrt beginnen konnte. Birgit und ihre Freunde wollten sich mit der Bummelbahn zum Wochenendtarif nach Berlin durchschlagen.

Doch bereits in Dortmund waren die Züge so überfüllt, daß sie nicht mehr reinkamen und stundenlang warten mußten, bis ein Sonderzug eingesetzt wurde. „Dann kam noch nicht mal ein Schaffner, und wir konnten umsonst fahren“, feixt Birgit. Obwohl sie sich so ganz allein im fremden Berlin etwas verloren fühlt, ist sie von der Stimmung „absolut überwältigt. Auf diesen Tag habe ich das ganze Jahr gewartet.“

Thorsten und seine Kumpels sind mit dem Auto aus Dortmund angereist. Mit ihren weiten Klamotten, kurzgeschorenen Haaren und blauverspiegelten Sonnenbrillen sehen sie aus wie ihr eigenes Klischee. Sie sind Freitag abend angekommen, Sonntag nachmittag wollen sie wieder fahren. Übernachten? Thorsten zuckt die Achseln und faßt sich an die Nase. Zum Schlafen seien sie nicht hergekommen, er vertraut auf die Unterstützung von Raver's little helpers. „Über hundert Partys, Mann, da nehmen wir soviel mit wie möglich.“ Ausruhen könne er sich zwischendurch im Auto.

Schon am Samstag morgen gleicht die Berliner Innenstadt einem Lager. Überall auf den Bürgersteigen stehen silbrigglänzende Kleinwagen aus Werningerode, Quedlinburg oder Uelzen. In ihnen räkeln sich übernächtigte Techno-Fans oder sprühen sich Intimspray unter die Achselhöhle, um sich frischzumachen – die Provinz erobert Berlin.

Gegen Mittag ziehen immer mehr Schaulustige und Partysanen aus allen Richtungen zum Ernst- Reuter-Platz, von wo sich um 14.30 Uhr der bis auf 600.000 Menschen anschwellende Zug mit 40 Diskowagen über die Straße des 17. Juni in Richtung Brandenburger Tor in Bewegung setzt. An den Verkehrsknotenpunkten der Umgebung geht jetzt gar nichts mehr. Auch der Fußweg vom Zoologischen Garten durch den Tiergarten ist rappelvoll – fast genauso viele, wie zur Parade wollen, zieht es zum Zoo zurück. Auf der Schleusenbrücke ist kein Durchkommen mehr, und man muß einen großen Umweg laufen, um sich zu dem Techno-Umzug vorzukämpfen. „Wo sind wir denn nur?“ lautet die häufigste Frage. Kaum einer weiß, wo's langgeht.

Es zeigt sich auch schon frühzeitig, daß das umstrittene Umweltkonzept des Veranstalters „planetcom“ und der Appell an das Umweltbewußtsein der Raver – „Der Baum ist dein Freund. Bäume sind Lebewesen. Die sollen genauso leben wie wir alle“ – nicht ausreichen, um das programmierte Chaos abzuwenden. Noch bevor der Zug loszieht, ist die Hardenbergstraße zwischen Bahnhof Zoo und Ernst-Reuter-Platz übersät mit bunten Zetteln und Dosen, obwohl planetcom sowohl die Verteilung von Flyern als auch den privaten Verkauf von Getränken untersagt hatte. Horden von Orientierungslosen fallen in den Tiergarten ein und zertrampeln das Unterholz – manchmal nur, weil sie sich ein paar Meter von den Massen absetzen wollen. Unter den Kletterkünsten der Raver haben weniger die Bäume zu leiden, wie befürchtet worden war, als vielmehr die alten Schinkel-Laternen am Großen Stern, obwohl die Berliner Polizei sie noch am Vortag gründlich mit Fett eingeschmiert hatte.

Vor dem Eingang der Technischen Universität steht Stefan und freut sich über das „bombige Geschäft“. Vor sich hat er fein säuberlich Dosen zu einer Pyramide gestapelt. „In einer Stunde habe ich sechs Paletten Bier verkauft“, jetzt hat er nur noch Coca-Cola im Angebot. Neben ihm bietet ein pfiffiger Selfmademan für 25 Mark T-Shirts mit dem markengeschützten Emblem der Love Parade als Aufdruck an – die Hemden sehen zwar teuflisch echt aus, sind aber gefälscht.

Dabei hatte das Szene-Sprachrohr Frontpage des Love-Parade- Mitveranstalters Jürgen Laarmann seine Gemeinde doch ausdrücklich vor fliegenden Händlern gewarnt – „vom Dosenverkäufer, den Umweltkonzepte einen Scheiß interessieren, bis hin zum T-Shirt-Fälscher mit seinen schlechten Designs, der den Auflauf nutzt, um die schnelle Mark zu machen“. Aus der Monopolisierung der Gewinne bei der angeblich „unkommerziellsten Veranstaltung der Welt“, so Frontpage, wurde aber nichts: Hunderte verkauften Getränke aus der Kühlbox oder direkt aus dem Kofferraum. Häufig stand die Polizei nur einige Meter weiter und schritt nicht ein.

Für das Berliner Gerangel um die neue Route und für den Streit um die Finanzierung, aber auch für die Frage, ob die als Demonstration angemeldete Love Parade überhaupt einen politischen Gehalt habe, interessieren sich nur wenige Zugereiste. „Ich pass' schon auf, daß ich nicht zuviel Dreck mache“, sagt der Schwabe Günther. „Außerdem dürfte die Stadt Berlin bei der Menge Geld, die sie durch die Besucher einnimmt, auch keine Probleme haben, die Müllbeseitigung zu finanzieren.“ Sabine, Krankenschwester aus Gütersloh, hält die Diskussion um die politische Dimension für überflüssig: „Das Motto ,We are one family‘ ist doch so trivial, daß keiner widersprechen wird. Daß die Love Parade als Demo angemeldet wurde, war doch nur ein Trick, um Kosten zu sparen. Trotzdem finde ich es prima, wenn die biederen Deutschen mal ausgelassen feiern und sich gehenlassen.“

Ramona ist aus Hamburg hergekommen, um „zu gucken, was hier abgeht“. Ihr ernüchterndes Fazit: „Die Love Parade ist tot. Es sind definitiv zu viele Leute.“ Sie findet die Raver „unästhetisch“. All die „stiernackigen Machos“ und „jungen flachbrüstigen Mädels“ widern sie einfach nur an. Statt sich dem Sog der Techno- Beats hinzugeben, hält sie mit ihrer Freundin Anne lieber nach „Typen mit besonders hohem Debilitätsquotienten“ Ausschau. Männer, die mit ekstatisch verzerrtem Gesicht „so superdämlich zu der Musik zuckeln“ wie der mit dem nackten Oberkörper dort, der auf den Boden der Tatsachen zurückkommt, als plötzlich sein Handy klingelt: „Hallo Mama! Ich versteh' dich nicht... Ja, es ist toll hier. Mach dir keine Sorgen, ich bin morgen wieder zu Hause.“ Ole Schulz/Tobias Rapp, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen