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■ RundumschlagEs wird ein Bakunin-Denkmal geben: Techno als anarchistische Insel

Eigentlich klingt „Anarchismus“ so abgestanden und peinlich wie andere ausgelutschte Wörter, zum Beispiel: „frech“ oder: „Kunzelmann“. Oder auch irgendwelche Feste in ehemals besetzten Häusern in Kreuzberg, die das A immer großgeschrieben hatten. Da liefen dann immer Ideal und die Sex Pistols, und der Boden war blitzeblank. Mit der Love Parade habe die Wohlstandsgesellschaft ihr „häßliches Gesicht“ gezeigt, schrieb gestern jemand, der früher vermutlich an diese RAF-Parolen (daß es darum gehe, die Widersprüche des Systems zu verschärfen, den satten Arbeitern solle es erst mal ganz schlecht gehen) geglaubt hatte und als Exbesetzer in einem Haus wohnt, in dem man vom Fußboden essen kann: „Wasch dir die Hände, bevor du mit mir redest!“ (Will sagen: Wem angesichts einer Demonstration für Exzeß in einem protestantischen Land nur Müll einfällt, der leidet unter Waschzwang).

Irgendwann gegen Ende der „größten Party der Welt“ legte Sven Väth zwölf Stunden hintereinander im „Tresor“-Garten auf – gegen Ende dann „Alles ist gut!“ (DAF, 84, glaube ich), um alles historisch oder mystisch zu verorten oder so. Die Luft im „Tresor“ war so naß und warm, daß keiner sein Feuerzeug ankriegte. Aus dem Nebel tauchten klasse Gesichter auf und irrsinnig schöne Gesten beim Tanzen; eine perfekte Sprache, die reine Intensität ist und durch keinerlei Bedeutungszwang gehemmt. „Mehr Tempo, mehr Glück!“ hatte der Anarchist Franz Jung mal in den zwanziger Jahren gefordert. Das Private sei politisch, hatten die Anarchisten nach 68 verkündet. Bommi Baumann war von der Love Parade begeistert. Dagegen seien die „Smoke-ins“ der Hippies nichts gewesen. Und als eine Demo gegen die protestantischen Glücksaufschubspriapismen war die Love Parade sicher politischer als der Erste Mai, und weshalb man für sein Glücklichsein arbeiten sollte und verantwortungsvoll sparen, hat mir eh nie eingeleuchtet. Masse ist faschistisch, finden die meisten, weil sich da Sachen vermischen, die sich nicht vermischen sollen, und weil die Grenzen des Ichs sich nicht verwischen sollen, weil alles ja auch arbeitsteilig zu sein hat.

Irgendwann am Montag vormittag traf ich Sven aus Dresden. Der ist so Zwanzig und hatte einen klasse rosa Pullover an. Freudestrahlend erzählte er, daß auf einem Parkplatz in der Nähe der Teufel los sei. Hunderte Leute seien da, alle würden tanzen; es gebe Essen, Trinken, Drogen – „alles umsonst“, Speedlines auf Autodächern, überall Haschisch, und alle Leute würden einander umarmen. Und das war dann auch so. Sven sagte dann, daß er sich erst entschlossen hätte, nach der Love Parade mit Techno aufzuhören, weil viel zu viele alkoholtrinkende Gaffer dagewesen seien. Die Parkplatzparty (es gab Hunderte) hatte ihm den Glauben an Techno wiedergegeben: „Das ist Techno!“, also Woodstock oder eine anarchistische Insel. Detlef Kuhlbrodt

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