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Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 4

Hunderte wollten alle nur das eine; die letzte Wohnung in Hamburg. In diesen Lebenslagen war niemand ein Student, gab es keine Studenten mehr in der Stadt – und wenn, hatten sie kein Recht zu existieren. Auch Schmock nicht. Wie auch Veddel. In den Zeitungen nach dem täglichen Sterben in Hamburg zu suchen, hatten Schmock und Veddel längst aufgegeben, denn die Erfahrung hatte ihnen gezeigt, es wurde mehr in der Stadt gestorben, als daß die Hinterbliebenen Todesanzeigen schalteten oder schalten konnten.

Schmock aus Bad Zwischenahn und Veddel aus Burgwedel wohnten noch immer in der Nacht. Sie nischten unter Brücken und hielten die öffentlichen Streckbänke auf den Parkwegen besetzt: Sie waren die einzige und wahre Avantgarde der Wohnkultur. Und sie waren auch ihre Umstände. Es waren immer die Umstände, und auch andere. Thank god, it's Frühling! spatzte Schmock. Später schneckten sie durch das Dämmern auf dem gedeckten Grün im Park. Stiefmütterchen wegelagerten noch trunken von der Nacht am Rand. Nachtgewächse schliefen vor ihren Augen ein. Hamburg konnte so morgen sein. Und schon tötete der Morgen die Nacht. Schmock und Veddel ernteten das frische Rot der Sonne. Endlich kam Morgenlicht in ihre Angelegenheit.

Sie lasen auf dem Feld der Leichen die Shortstorys der Toten. Hier hatten sie alles abgelegt: Familie, Fleisch und vielleicht auch eine Ein- oder Zwei- oder Dreizimmerwohnung für Schmock und Veddel. Klaus-Dieter Zirke: geboren 1941, gestorben 1982, mehr Geschichte und viel Geheimnis hielt Klaus in seinem Grab zurück. Selbst im Sarg ist Klaus auf Draht, humorte Schmock, gelebt hat Klaus vielleicht drei oder vier Jahre! Mehr traute Schmock Klaus Dieter Zirke in seinem wirklichen Leben nicht zu. Keinem Menschen. Und sich selbst gab Schmock fünf Jahre auf Verdacht. Mit Chance. Und sechs Richtigen. Vielleicht.

Veddel schwieg. Durch seinen Hals quakten Frösche. Das lag alles an diesem Wohnungsmarkt mit diesen Leichen. Schmock hatte ihren Plan Unternehmen Zukunft genannt, genauso wie der Wahlspruch der Deutschen Bundesbahn. Veddel ging es eher wie einem Geier, ein wenig feige, doch er war Magen genug, um seine Nase nicht in stinkende Leichentücher zu graben. Das Verfallsdatum der Toten mußte stimmen. Das war wichtig, für ein späteres Leben in den eigenen vier Wänden. So suchten sie an diesem Morgen frische Gräber auf; maximal vier Wochen alt. Veddel trug das aktuelle Telefonverzeichnis von Hamburg in seinem Rucksack. Schmock sammelte alle Daten und Namen ein. Wenn sie älter waren, die Gräber, lohnten sich die Nachforschungen natürlich nicht, auch nicht bei Klaus-Dieter Zirke, er war bereits wieder vergessen von Schmock und Veddel.

Sie fanden eine B. Brook aus St. Georg, eine Zawada und einen Behrmann aus Winterhude: Stadtteile, die sich bewohnen ließen, wo das Einkaufen noch Spaß machte. Die Viertel bzw. Adressen waren den Toten schnell zugeordnet. Mit sieben todsicheren Tips überließen sie den Ohlsdorfer Friedhof den Eichhörnchen, den Maulwürfen und den Hinterbliebenen und besuchten die Wohnungs- bzw. Adressenbörse vor Kapelle 9.

Habt ihr ein Altona!? fragte ein Fremder Schmock. Schmock fuchste listig mit seinem Altona in der Hinterhand und wartete auf das erste Gebot des Fremden. Ich hab' ein Billstedt. Eine ganze Familie, vier auf einen Streich. Sie sind vor sechs Tagen unter die Erde gekommen! balzte der Fremde mit seinem Billigangebot. Die Wohnung ist mit Sicherheit noch frei! Ein Billstedt!? Da liegt doch der Hund begraben! schüttelte Schmock seinen Kopf. Das ist was für'n Türken! sagte Veddel recht deutschlich. Das ist die Idee! Der Fremde trat sofort zwischen eine türkische Familie. Hier lagen Angebot und Nachfrage dicht an dicht.

(Fortsetzung folgt)

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