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„So ein Umbruch geht nicht im Hau-Ruck-Verfahren“

■ Wie Werder zu modernem Fußball kommen kann / Ein Interview mit dem Trainer Hans-Jürgen Dörner

Als Hans-Jürgen Dörner die Profi-Mannschaft übernahm war Werder in einem desolaten Zustand. Platz 15 in der Bundesliga, Aad de Mos hatte einen Kleinkrieg mit der Mehrheit der Spieler angefangen, die Mannschaft war verunsichert wie nie. Am Ende der Saison stand ein magerer neunter Platz – aber das Dauerkartengeschäft des SV Werder für die nächste Saison boomt wie noch nie. Ob Werder die hohen Erwartungen einlösen kann? Wir sprachen mit dem Trainer.

taz: Sie haben eine Mannschaft im Umbruch übernommen, in einer ziemlich verkorksten Saison. Haben wir denn im UI-Cup-Spiel gegen Stockholm schon etwas vom neuen SV Werder gesehen?

Hans-Jürgen Dörner: Ein bißchen. Mit unserem Spiel nach vorne können wir zufrieden sein. Aber in der Bundesliga wird es nicht nur nach vorne gehen. Das heißt, wie müssen nun in erste Linie unser gesamtes Deckungsverhalten neu organisieren. Anders können wir in der Bundesliga nicht überstehen.

Davon konnte man ja bei einigen Spielen in der letzten Saison schon etwas sehen. Ich denke an das Spiel gegen die Bayern. Heißt die Devise Pressing?

Wir wollen das natürlich versuchen. Wir wollen versuchen, den Gegner schon möglichst in dessen Hälfte aggressiv zu stören. Das werden wir in der verbleibenden Vorbereitungszeit trainieren und dann in der Bundesliga anwenden. Das müssen wir, schon alleine wegen der Drei-Punkte-Regelung. Wir können nicht mehr zufrieden sein, wenn wir auswärts unentschieden spielen. Wenn wir vorne mitspielen können, dann müssen wir auswärts auch gewinnen.

Sie haben viele Spieler, die eher zu den Älteren gehören. Mirko Votava beispielsweise oder Michael Schulz, die beide noch eine Saison drangehängt haben. Dafür hat es in diesem Jahr doch relativ wenige Neuverpflichtungen gegeben. Wenn man sich die Auswechselbank von Bundesliga-Spitzenmannschaften wie Dormund oder München ansieht, dann fällt auf, daß die von Werder dagegen relativ dünn besetzt ist. War das so geplant oder hätten sie sich noch ein paar Spieler mehr gewünscht? Gerade jetzt, in einer Umbruchsituation.

Wir können uns nicht mit Dortmund oder München vergleichen. Die beiden Mannschaften haben in den letzten Jahren international gespielt, teilweise in der Champions League. Beide Vereine haben unheimlich viel Geld verdient. Da kann Werder Bremen für meine Begriffe nicht mithalten. Wir müssen einen anderen Weg gehen. Wir haben eine sehr erfahrene Mannschaft, und wir haben in diesem Jahr mit Jens Todt, Andreas Herzog und Heimo Pfeifenberger drei Spieler eingekauft, die in das Mannschaftsgefüge reinpassen. Wir haben jetzt 22 Profispieler plus A-Jugendspieler plus Amateure. Das ist ein Kader, der für die Bundesliga ausreichend ist.

Sie waren ja auch in England. Da haben sich alle Beobachter gefragt, ob sich Dixie Dörner da neue Spieler anguckt. Hätten sie gerne welche mitgenommen?

Ich bin nicht nur nach England gefahren, um mir neue Leute anzusehen. Ich wollte schon auch andere Spielsysteme sehen. Natürlich habe ich auch einzelne Spieler beobachtet. Zum Beispiel die englischen Stürmer, die sehr torgefährlich waren. Wenn wir solche Spieler verpflichten könnten, das wäre schon gut.

Nur kann die keiner bezahlen.

Das ist das Problem. Aber wenn man den Transfermarkt beobachtet, dann hat sich in der Bundesliga insgesamt ziemlich wenig getan – Dortmund und München ausgenommen. Die Bundesligavereine sind schon vorsichtig geworden.

Wenn man sich die neue Werder-Mannschaft ansieht, dann fällt auf, daß sie auf der linken Seite offensiv enorm stark besetzt ist: Cardoso, Herzog, Bode kommen eher über links. Dagegen nimmt sich der rechte Flügel nach dem Weggang von Basler eher defensiv aus. Gegen Stockholm war nun zu beobachten, daß gerade im Mittelfeld oft die Positionen getauscht wurden. Gibt es sowas wie eine schwache rechte Seite? Sind die stetigen Positionswechsel der Versuch, das auszugleichen?

Variabel zu spielen gehört im modernen Fußball dazu. Entscheidend ist nicht, wer auf der Position spielt, sondern daß die Positionen besetzt sind. Ich glaube, daß wir zwei gleich starke Seiten haben. Wir können mit sehr guten Leuten – Bode, Herzog, Cardoso oder mit Brand, wie wir gegen Stockholm gesehen haben – über links kommen. Aber wir können das auf der rechten Seite mit Scholz und Pfeifenberger ausgleichen. Ich stelle mir das schon so vor, daß Cardoso von der halbrechten Position aus und Herzog von der halblinken Position aus spielt – und umgekehrt. Nochmal: Das entscheidende ist, daß die Positionen besetzt sind, und daß nicht plötzlich Löcher gerissen werden, nur weil eine Seite vernachlässigt wird.

Reden wir ruhig noch ein bißchen über Taktik. Berti Vogts beispielsweise wird auch nach dem EM-Sieg nicht müde, von den taktischen Mängeln im Deutschen Fußball zu sprechen, gerade im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Italien. Wo liegen ihrer Meinung nach die Mängel? Was müßte mehr oder anders getan werden in der Bundesliga, damit sie international mithalten kann?

Schwer zu sagen. Ich glaube, daß die Variabilität der Spieler in den Vereinen nicht so groß ist, wie sie sein sollte. Unsere Spieler sind viel zu sehr auf ihre Positionen ausgerichtet. Hier müssen wir den Hebel ansetzen. Das ist sicherlich nicht eine Frage der Bundesliga, das ist eine Frage der Nachwuchsarbeit. Da können wir die Spieler mit 15, 16 Jahren nicht auf eine Position festsetzen. Sie müssen lernen, auf mehreren Positionen und in mehreren Systemen zu spielen. Mal ohne Libero, mit Viererkette, vielleicht mal mit drei Strümern. Vielleicht gibt es dann ja mal wieder echte Außenstürmer. In der Bundesliga hat ja kein Verein mehr einen gelernten Rechts- oder Linksaußen. Da müssen wir anfangen. Die Reserven, die wir da haben – ich sage nicht: die Schwächen – die Reserven können wir wecken.

Es gibt zu wenig Allrounder in der Liga?

Ja, mehr oder weniger ist es doch so, daß man bei den meisten Spielern sagen muß, der kann nur in der Spitze, und der andere kann nur im linken Mittelfeld spielen. Ich komme ja aus der Nachwuchsarbeit beim DFB. Wenn ich 22 Spieler zum Lehrgang geholt habe und gesagt habe: Du spielst mal auf der linken Seite. Da sagt der doch glatt : Nee, da habe ich noch nie gespielt.

Andersrum gefragt: Wird in anderen Ländern anders trainiert?

Ich kann das nur vom Nachwuchsbereich sagen. Da sind beispielsweise die Spanier, die Portugiesen, die Italiener variabler.

Sie betonen so, daß das eine Frage des Nachwuchses sei. Heißt das, den alten Knochen kann man sowieso nichts mehr beibringen?

Man kann auch den älteren, erfahreneren Spielern noch etwas beibringen. Aber dafür brauche ich Zeit, und die habe ich als Bundesligatrainer nicht. Wenn ich etwas grundlegendes ändern will im Spielsytem der Mannschaft, dann ist das nicht in drei oder vier Wochen gemacht. Dazu brauche ich schon vier, fünf Monate. Und dann muß ich noch erfolgreich sein. Das ist das Problem.

Das heißt, der permanente Druck nimmt die Luft für Veränderungen?

Er nimmt die Luft, etwas Neues zu probieren. Wenn ich heute zu einem Vorbereitungsspiel auf ein Dorf fahre und dort verliere, dann steht doch am nächsten Tag in der Zeitung: Werder blamiert sich. So sieht's doch aus. Aber daß ich vielleicht mal anders gespielt habe, das wird nie drinstehen.

Weil die Sportjournaille zu wenig vom Fußball versteht und zu ungeduldig ist.

Zu wenig vom Fußball verstehen würde ich nicht sagen, aber zu wenig Geduld mit der Mannschaft und dem Trainer schon. Wenn man mal mit drei Stürmern spielt oder mit drei Abwehrspielern auf einer Linie...

...so wie gegen Stockholm...

...zum Beispiel. Ich habe nur die Möglichkeit, das in solchen Spielen zu probieren. In der Bundesliga kann ich das nicht.

Prompt ist es schiefgegangen.

Was heißt schiefgegangen?

Muß vielleicht noch geübt werden.

Wir waren beim Stockholm-Spiel drei Wochen im Training, und das müssen wir bis zum 10. August beim Pokalauftakt weiter probieren. Und dann muß es stehen.

Vogts sagt ja auch, daß in der Bundesliga anders trainiert werden muß. Wie würden Sie das beschreiben: Wie wird in der Liga trainiert, und wie kriegt man Spieler dazu, flexibler zu spielen? Indem man sie immer mal wieder auf anderen Positionen einsetzt?

Ich weiß nicht genau, was Berti Vogts damit meint.

Na, ein Standardsatz in jeder Diskussion um die taktische Unterentwicklung der Liga ist: Es muß im Training mehr gespielt werden. Weniger Grätschen, mehr Kurzpässe.

(Dörner guckt schief.)

Ja, so wird geredet.

Mit diesen Ligaspielern sind wir Europameister geworden.

Sie meinen, so schlecht können die nicht sein.

Eben, sie haben auch in England bewiesen, daß sie mit anderen Mannschaften durchaus mithalten können. Ich denke, daß wir hier in Bremen ordentlich trainieren. Ich wüßte nicht, was wir anders machen sollten. In einem gebe ich Vogts recht: Wir müssen dafür sorgen, daß wir andere Abwehrspieler, mehr spielende Abwehrspieler trainieren. Wenn einer von hinten in die Beine geht wird sofort die gelbe Karte gezogen. Darauf müssen wir die Spieler in ihrem Zweikampfverhalten einstellen. Die müssen entweder hinter dem Gegenspieler stehenbleiben oder versuchen, vorher in Ballbesitz zu kommen. Das wäre das einzige, wo ich sagen würde: Ja, da haben uns die Italiener und Engländer gezeigt, wo es lang geht. Selbst im Unterzahlspiel hat das bei denen hervorragend geklappt. Ich habe mit Baiano und Ramzy hinten zwei Leute stehen, die sind, wenn sie konzentriert sind, unausspielbar.

Wenn sie nicht gerade auf die Idee kommen, den gegnerischen Stürmer zu umfummeln.

Das ist 'ne andere Frage. Aber diese beiden sind kaum auszuspielen. Und so muß es sein.

Wie lange planen Sie noch mit Dieter Eilts? Die Äußerungen waren ja relativ deutlich, daß er große Lust hätte, mal im Ausland zu spielen.

Wenn einer so eine Europameisterschaft spielt ist es ganz normal, daß dann Spekulationen kommen. Man darf sich dadurch nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ich gehe davon aus, daß Dieter in den nächsten Jahren bei Werder spielen wird.

Haben Sie denn mit ihm darüber gesprochen?

Wir haben uns über die Europameisterschaft unterhalten, über nichts sonst.

Nun ist mit Basler einer gegangen, der in der Lage war, ein Spiel alleine zu entscheiden. Der in der Lage war, zum ungewöhnlichen Zeitpunkt das Ungewöhnliche zu tun – und damit Erfolg hatte. Wenn Sie das vom Spielerischen her beurteilen, und wenn Sie das von der Mannschaft her beurteilen, von der Psychologie – was sagen Sie zu diesem Weggang?

Also sportlich gesehen haben wir einen sehr guten Spieler verloren. Da gibt es gar keine Diskussionen. Der Mario hat in der letzten Saison 15 Tore geschossen. Da allein sieht man, wie sportlich wertvoll er war. Aber ich denke, daß wir das mit unseren Einkäufen kompensieren können. Zu dem anderen muß ich sagen: Es ist etwas ruhiger geworden, der Zusammenhalt in der Mannschaft ist besser. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht.

Nochmal zurück zu Werder und der Umbruchsituation. Sie brauchen Zeit, die haben Sie nicht. Wäre denn das Ende der nächsten Saison ein Zeitpunkt, zu dem so ein Prozeß abgeschlossen sein könnte?

So ein Umbruchprozeß dauert bestimmt zwei, drei Jahre. Es kann ja nicht so gehen, daß ich hierher komme und sage: Jetzt schmeiße ich acht Mann über 30 raus und ersetze die durch acht Zwanzigjährige. Die Altersstruktur muß stimmen. Deswegen bin ich auch froh, daß Mirko Votava mit 40 und Michael Schulz mit 35 noch ein Jahr verlängert haben. Ich brauche die Erfahrung dieser Leute. Und ich bin froh, daß wir den 24jährigen Christian Brand von den Amateuren haben, der, so scheint es, den Anschluß gefunden hat. Aber es wird noch ein Jahr dauern, bis der Altersdurchschnitt stimmt. Da werden wir uns systematisch verjüngen müssen. Aber ich betone: systematisch. Das geht nicht im Hau-Ruck-Verfahren.

Fragen: Jochen Grabler

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