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Mit Onkel Herbert ins Internet

Service, Service, Service – und immer schön freundlich bleiben: Selbst im Turnschuh-Duz-Konzern „Zweite Hand“ wird derzeit der alternative Dienstleistungsbetrieb professionalisiert  ■ Von Helmut Höge

In vielen Westberliner „Alternativ“-Betrieben passieren jetzt solche Geschichten: Erst wurden die Mitarbeiter großzügig behandelt, auch pekuniär, mit der Wende erfolgte dann eine Expansion in den Osten, die scheiterte, und jetzt geht es mittels der gängigen Mobbing-Mechanismen von oben ans Eingemachte.

So rief etwa der Betriebsrat der Kleinanzeigen-Zeitschrift Zweite Hand nach fünfzehnmonatigen Verhandlungen über neue „Lohnstrukturen“ eine Einigungsstelle an, die das Arbeitsgericht jedoch abwies. Schließlich trat er am 18. April zurück: „Das Ganze hat unheimlich viel Kraft gekostet“, resümiert eine ehemalige Betriebsrätin des GmbH-Geflechts „Zweite Hand“ ihre vergeblichen Bemühungen um den Erhalt des Betriebsklimas.

Das erfolgreiche „Offertenblatt“ für kostenlose Kleinanzeigen (Umsatz 1995 zirka 15 Millionen Mark) wurde 1983 unter anderen von dem heutigen Hauptgesellschafter Konrad Börries in der Potsdamer Straße gegründet, zweiter Geschäftsführer ist seit 1988 Herbert Borrmann. Anfangs erschien die Zweite Hand einmal wöchentlich, ab 1986 dreimal. 1993 koppelte man den samstäglichen Autohandelsteil aus. Mit der „Wiedervereinigung“ versuchte die Geschäftsführung erfolglos, „die DDR zu erobern“ (die fünf ostdeutschen Filialen sind längst wieder abgewickelt).

Seit einiger Zeit gilt der Anzeigenblätter-Markt als „gesättigt“, die ZH-Auflage stagniert seit 1994 bei 162.000. Eine Tochter-GmbH, die Abteilung „WAS“ (Werbe- Anzeigen-Service), akquiriert Anzeigen von gewerblichen Kunden, bei der Abteilung „kostenlose Kleinanzeigen“ kam 1992 eine zusätzlich geldbringende Daueranzeigenannahme hinzu. Die Beratungsleistung in diesen Abteilungen wurde extra vergütet. Die für alles Neue offene Geschäftsleitung erfand zudem „Nationale“, „Chiffre“ und „Blickfang-Anzeigen“ sowie über eine „Phone-Box“ zu schaltende „Kontakt- und Partyanzeigen“ und käufliche „Horoskope“. Dafür wurde eine weitere GmbH kreiert. Für die Entwicklung einer am Treptower Park 75 erworbenen üppigen Ost-Immobilie war es dann eine GbR, die Börries und Borrmann mit einem Bauunternehmen gründeten. Das Richtfest für den dortigen „Zweite Hand“-Neubau fand Ende 1994 statt, im selben Jahr begann auch die erste große Umstrukturierung im Betrieb: „Alle Leute sollten fortan alle Anzeigen aufnehmen können“ – und dafür nach Lohngruppe A3 umgeschichtet werden, plus Provision, wenn mehr als 30 Anzeigen pro Stunde aufgenommen würden. „Jetzt verdient ihr euch alle eine goldene Nase!“ versprach die Geschäftsleitung. Das Modell „funktionierte jedoch nicht“.

Im Juni 1995 wurde ein neues mit dem Betriebsrat ausgehandelt: mit einem Grundlohn von 19,50 Mark und einer Provision ab der 41. Anzeige von 35 Pfennig für jede weitere, plus Umsatzbeteiligung. Diese Betriebsvereinbarung sollte für die knapp 100 Mitarbeiter der Abteilung „Kleinanzeigen“ gelten. Parallel dazu hatte man sich in der oberen Etage ein neues Wirtschaftsmodell ausgedacht – das „Call-Center“: mit gleicher Technologie und gleicher, von der konzernnahen „ISV-GmbH“ entwickelten Software. Die Umsetzung übertrug man der betriebsratlosen „Audio-Service-GmbH“, die damit 60 Arbeitsplätze in Treptow, am neuen Firmensitz, schaffen soll: „Das Call-Center bietet Telefondienstleistungen aller Art für Fremdfirmen an.“ Erwähnt sei ferner die ebenfalls betriebsratlose „Lloyd Presse GmbH“, in der das Stadtmagazin 030 entwickelt wurde, dem man defizitbedingt zunächst nur eine „Galgenfrist“ bis zur Love Parade 96 gab. Auch im Internet surft man mit: „blinx – Zweite Hand Online“. Zudem werden noch monatlich die Biker- Börse und das Single-Sondermagazin date sowie jährlich der Branchenführer „Leihen“ herausgegeben. Ein 10prozentiger Anteil an Radio Energy wurde inzwischen wieder abgestoßen.

Das Call-Center in Treptow beschäftigt vor allem Leichtlohnkräfte: für 10 Mark die Stunde werden dort in Konkurrenz zur Potsdamer Straße Kleinanzeigen erfaßt, dazu gibt es 20 Pfennig pro Auftrag. Mitarbeitern, die von Schöneberg in den Osten übersiedeln, stehen 12 Mark Stundenlohn zu, sie können auch im Westen bleiben. Nur, dort müssen sie befürchten, bis Ende 1997 abgewickelt zu werden. „Ihr wollt zurück in die Anfänge der Industrialisierung!“ bekam die Geschäftsleitung schon vom Betriebsrat zu hören. Im Westen ist zwar ein mit der IG Medien ausgehandelter Haustarifvertrag gültig, darüber hinaus gibt es eine Jahresleistung und sechs Wochen Urlaub. Aber die dortige Belegschaft hat das Gefühl, auf „einem schon fast abgesägten Ast“ zu sitzen: „Es geht seit 94 kontinuierlich bergab.“ Seitdem 1995 der Lohn um rund 10 Prozent gekürzt wurde, stieg die Zahl der – erfolglosen – Arbeitsgerichtsklagen, ebenso die der Krankmeldungen und Kündigungen.

Bisher haben fast nur Ostler sich bereit gefunden, nach Treptow rüberzugehen. Ein ehemaliger Betriebsrat beklagt zudem, daß sich die von der WAS angestellten Mitarbeiter sowie die in der Uniset GmbH zusammengefaßten Layouter und Grafikdesigner nie mit den „Tippern“, die das Gros der Belegschaft bilden, solidarisierten, obwohl auch ihre Gehälter schon um bis zu 310 Mark gekürzt wurden. Ihr aller Chef Herbert Borrmann folge allen Moden des Kapitalismus, er eile dabei sogar der CDU voraus – etwa indem er die Jahresleistung von Fehlzeiten abhängig mache. Von seiner Kalifornien- Tour brachte er vor einiger Zeit das „Lean Management“ mit, und nach dem Spiegel- Artikel „Deutschland: Weltmeister im Blaumachen“ habe der Personalchef den Tippern prompt die Krankenlisten vorgehalten. Das Rollback Richtung „Lohndrückerei“ im Call-Center gehe so weit, daß dort erst nach Aufnahme von 50 Anzeigenaufträgen pro Stunde die Mindestleistung erfüllt werde – diese Anzahl sei jedoch mit der ACD-Telefonanlage und der Zweite-Hand-Software „das absolute Maximum“, was überhaupt in der Stunde zu schaffen sei: „Schließlich muß man dabei immer freundlich bleiben.“

Seit der Inbetriebnahme des Call-Centers häufen sich die Kundenbeschwerden: falsche Rufnummern, verstümmelte Texte, patzige Live-Operator. Gerade der „freundliche, schnelle und kompetente Service“ (so das hausinterne Dienstleistungscredo) wird der ZH-Belegschaft ob der rücksichtslosen Profitpolitik der Geschäftsleitung zunehmend schwerer gemacht. Dafür schafft diese einen echten Christo fürs Treptower Foyer an... Derart geht die gute alte WG-Zeit nun also auch in Schöneberg langsam zu Ende – nahezu kampflos.

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