: Leben im Unfertigen
Serie: Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige. Heute: Zum Skulpturengarten am Klostersee in Lehnin. Sägewerk wurde zum Kulturwerk ■ Von Kathrin Bettina Müller
Schon bei Drewitz geht es los. Eckhart Haisch zeigt aus dem Fenster des kleinen Lasters, mit dem er eine Skulptur (und die Journalistin) hinaus nach Lehnin karrt. Die russische Straßenbaumaschine da, die auf dem Sockel des Panzers, der bis 1989 die Grenze bewachte, wie ein rosarotes Mißverständnis hockt, die sei auch von ihm. Damit wollte er für Irritation am ehemaligen Grenzübergang sorgen, bevor dessen Spuren restlos verschwanden. Das war noch eine Aktion des Berliner Künstlers Haisch, der sich mit Vorliebe dort, wo bürokratischer Ärger anstand, in den städtischen Raum einmischte.
An dem Bau des Radweges von Lehnin nach Bliesendorf, über den wir kurze Zeit später auf der A10 hinwegdonnern, war er hingegen schon als Geschäftsführer des Lehniner Instituts für Weiterbildung e. V. (LIW) beteiligt. Diesen 1990 gegründeten Verein zu managen, der Weiterbildung im Bauhandwerk und Forstwirtschaft anbietet, und mit Hilfe von ABM-Kräften ein altes Sägewerk am Klostersee in Atelier- und Seminarräume umgebaut hat, ist seitdem seine Hauptbeschäftigung.
Blauäugig sei er hier angekommen, raus aus dem Steinhaufen Stadt, um für sich und Freunde Ateliers zu schaffen. Doch die Treuhand, die über die Vergabe des alten Sägewerks zu entscheiden hatte, fragte nach Arbeitsplätzen.
So entwickelte sich das Arbeitsbeschaffungsprojekt, in dem bis zu 150 ABM-Kräfte arbeiten. Unterstützung fand das LIW vor allem bei der Sozialministerin Regine Hildebrandt.
Wer nach dieser Geschichte erwartet, auf einer großen Baustelle anzukommen, wird die Mischung aus Wildwest und Dekonstruktivismus, grünen Spalieren und Kunst am Klostersee überraschen. Das Bauholz, das vor der Bürobaracke lagert, ist für die Überdachung der Waldbühne und das Gästehaus bestimmt, das noch diesen Sommer gebaut werden soll. Das übrige Materiallager verschwindet hinter Feuerbohnen und wildem Wein. Dahinter fällt die Wiese zum See ab.
Dort wird am 27. Juli der „Skulpturengarten“ eröffnet, mit 10 Bildhauern aus Berlin. Über dem See blinkt schon eine filigrane Stahlzeichnung von Reinhard Haverkamp, als ob sie jeden Moment abheben und fortfliegen könnte. Aus Edelstahl ist auch die „Scharen-Spaltung“ von Karl Menzen, eine sich öffnende Form gewaltiger Scheiben, deren Eleganz auf der grünen Wiese am besten zur Geltung kommt.
Witziger ist der Kontrast, den Marina Schreiber zur Natur wagt: Eine riesige, grüngemusterte Artischoke aus Holz und schwimmende Kissen, aus denen etwas wie Nasen buckelt, lassen den Reichtum organischer Formen ins Groteske kippen. In einem kleinen Pavillon, dessen Sperrholz- und Glaspatchwork Ergebnis der „Trial and error“-Methode zu sein scheint, wuchern die gezwirbelten Gummiröhrenwesen von Maren Roloff, als ob sie direkt aus dem Uferschlamm gekrochen kämen.
So dicht gelingt der Dialog zwischen Kunst und Natur nicht immer. Am Waldrand wirken einige Überbleibsel eines Holzbildhauer- Workshops wie abgestellt im märkischen Sand. Auch die glänzenden Bildhauerspenden, die auf der großen Kreuzung des Dorfes schon wieder hinter Verkehrs- und Hinweisschildern verschwinden, markieren nicht gerade Höhepunkte einer ortssensiblen Kunst. Das sieht auch Haisch realistisch. Aber er sieht die Plastiken als Platzhalter für Wünsche und als Option, andere Elemente in das dörfliche Leben bringen zu können.
Haisch, der aus dem Badischen stammt, liebt am Leben in Lehnin das Unfertige. In seiner Heimat, wo jedes Dorf schon „schöner“ geworden ist, gebe es nichts mehr zu tun. Hier aber bestehe noch die Möglichkeit, eine lebens- und liebenswerte Landschaft weiter zu entwickeln, bevor sie von Investoren in Golfplätze und exklusives „Wohnen am See“ verwandelt wird.
Wie Provisorien wirken auch die bisherigen Bauten am Klostersee. Noch fehlt der Verputz, die großen einfachen Scheiben lassen zwar Licht- und Seeblick, aber sicher auch die Winterkälte ein. Die Unfertigkeit sei zum einen das Ergebnis fehlender Gelder für das „Finish“, erklärt Haisch, und rühre zum anderen daher, daß Betonverschalungen und gefließte Treppen im Zuge von Umschulungsprojekten entstanden: Obstpflückerinnen zu Bauhelferinnen. Daß da nicht immer alle mit Überzeugung vom Sinn der Sache dabei waren, kann man sich an den fünf Fingern abzählen.
Trotzdem gibt Haisch die Hoffnung nicht auf, daß mit der Arbeit des LIW etwas für die Allgemeinheit entsteht. Denn solange sie das Schwimmbad und die Waldbühne betreiben, Rad- und Reitwege anlegen, Bänke und Schutzhütten bauen und einen Waldlehrpfad anlegen, halten sie den Ausverkauf der Landschaft auf.
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