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Rückzug in die nächste Eckkneipe

taz-Serie: „Das Verschwinden des öffentlichen Raums“ (Teil 2): In Prenzlauer Berg findet neben der Aufwertung zum urbanen Freizeit- und Lifestyle-Park auch eine Verdrängung des öffentlichen Raums statt  ■ Von Uwe Rada

Daß die neuesten Bars rund um den Kollwitzplatz mittlerweile in den Lifestyle-Supplements amerikanischer Magazine besprochen werden, ist nichts Neues. Auch nicht, daß ein findiger Schweizer die ursprüngliche Idee der Alternativwährung „Knochengeld“ kurzerhand zweckentfremdet hat und in der Feinkosthandlung „Bruno“ nun „Knochenwein“ für 140 Mark vertickt. Selbst die Tatsache, daß ein Spekulant in der Gethsemanestraße ein „Boarding- House“ für Manager einrichten will, klingt wie Schnee von gestern. Wenn sich aber ein ehemaliger Stammgast in die Szenekneipe „Gaststätte am Wasserturm“ verirrt, wird er vom Chef begrüßt wie ein verlorengegangener Sohn. „Nur noch Touristen hier“, lamentiert dann der Chef und zuckt mit den Schultern: „Aber soll ich die etwa nicht mehr bedienen?“

Doch die gerufenen Geister toben durch immer neue Räume. Schräg gegenüber, am Eingang des alten Wasserturms, hängt ein neues Plakat. „Hamlet im kleinen Wasserspeicher“ steht dort zu lesen. Doch die Frage, wer an diesem Hot-spot der urbanen Begehrlichkeit sein oder nicht sein darf, ist längst beantwortet. Die Bewohner des Bezirks meiden den Trampelpfad an der Knaackstraße, Ecke Rykestraße mittlerweile ebenso wie die städtischen Trendsetter die Kreuzberger Kulissen. Den ehedem öffentlichen Raum vor dem Wasserturm haben andere in Besitz genommen. Aufgeschlossene, kulturell interessierte Menschen zumeist, die sich auf die prickelnde Tour in den Osten bestens vorbereitet haben. Schließlich steht mittlerweile in jedem Reiseführer, wo das „wahre Herz des Prenzelbergs“, gar wo der „einheimische Prenzelberger“ zu finden ist.

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Nachwende-Bilder des Prenzlauer Berges mit seinem eigentümlichen Charme von Verfall und rühriger DDR-Rekonstruktion, von Verweigerung und trotzigem „Wir bleiben alle“ die Lesbarkeit des Ortes bestimmen. Das „steinerne Meer“ bietet statt dessen die äußere Hülle für Vergnügungen aller Provenienz, eine Art „Installation, angefertigt für den Gebrauch durch die Erfolgreichen, die Erwachsenen, die Erwerbstätigen“ (Andreas Feldtkeller), die schon lange nicht mehr auf die Gegenden um Wasserturm, Kollwitzplatz oder Husemannstraße beschränkt ist. Die postmodernen „locations“, die sich wie Schnittstellen zur schönen, heilen Welt so wunderbar kontrastreich in die alten, zeitlosen Orte des Provisoriums montieren lassen, haben das Weichbild des Bezirks längst eingenommen. Kaum mehr eine Straße, in der nicht eine Boutique vom Hedonismus derer kündet, die sich ihn leisten können.

Vom „Kreuzberg des Ostens“ ist keine Rede mehr, der Unterschied ist ausgelotet: „Delikatessenläden, Mode und Lifestyle im Kiez gelten nicht mehr als Erfindung des Klassenfeinds“, heißt es im Feuilleton einer Berliner Zeitung: „In Prenzlauer Berg kippt keiner Kübel voller Exkremente in schicke Eßtempel wie einst in Kreuzbergs Oranienstraße. Keine anonyme Gruppe, die sich ,Klasse gegen Klasse‘ nennt, wirft Molotow-Cocktails in Feinkostgeschäfte. Und autonome Polit- Gruppen treten hier nicht in Erscheinung.“

Diese Aufzählung „weicher“, das heißt stadtkultureller Standortfaktoren könnte geradewegs aus einem Lehrbuch über die Entwicklungsdynamik städtischer Aufwertung abgeschrieben sein. Die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel haben zwei Phasen dieser „Gentrifizierung“ innerstädtischer Quartiere ausgemacht. Als die „Pioniere der Reurbanisierung“ sehen sie dabei vor allem die Alternativen, „die zuerst in die Altbauquartiere eindringen, wo Wohnungen zu relativ günstigen Preisen zu haben sind“. Wert werde dabei nicht nur auf die Gestaltung der eigenen vier Wände, sondern auch des öffentlichen Raums gelegt: „Die aktive Nutzung des Raums außerhalb der Häuser ... und vor allem der Kampf gegen den zerstörerischen Autoverkehr geben solchen Quartieren ein neues soziales Gepräge.“

In einer zweiten Phase würden die „Pioniere der Urbanisierung“ schließlich selbst verdrängt: „Die zahlungskräftigen Yuppies ziehen nach, durchmischen die Szene und ziehen kapitalintensive Aufwertungsmaßnahmen nach sich, die weit über die Ansprüche und finanziellen Möglichkeiten der ursprünglichen Revitalisierer hinausgehen.“

Die Prophezeiung der Feuilletons hat sich erfüllt

Für den Prenzlauer Berg hat der Ostberliner Politologe Matthias Bernt sogar noch eine weitere Phase ausgemacht. Noch bevor Alternative und Yuppies in den Bezirk zogen, sei das Quartier einer „symbolischen Gentrifikation“ unterworfen worden. Bis in die achtziger Jahre, sagt Bernt, war es in Prenzlauer Berg zwar üblich gewesen, sich die Räume, die man brauchte, anzueignen. Zum Berliner Montmartre, zum Experimentierfeld für die gutbetuchte Schicki-Szene oder verwöhnte Gourmets sei der Bezirk freilich erst nach der Wende stilisiert worden. Die Feuilletons der bundesdeutschen Medien hätten dann ein übriges getan – die Prophezeiung habe sich erfüllt.

Der Kampf um die Tapeten des öffentlichen Raums, die kulturelle Hegemonie im – je nach Blickwinkel – Kiez oder urbanen Quartier, bleibt nicht ohne Folgen. Erst vor kurzem hat Michail Nelken, nimmermüder Streiter der Betroffenenvertretung Falkplatz, Alarm geschlagen. Immer mehr Familien würden nicht nur aus den Touristengegenden im Bezirk, sondern auch aus dem Kiez rund um die Gleimstraße wegziehen. Die Wohnungen würden daraufhin renoviert und für teures Geld weitervermietet: „Die Durchschnittsmiete für die Neuvermietungen liegt bei 15 Mark pro Quadratmeter. Das können sich nur Leute aus dem Westen leisten.“

In einer Studie über Privatmodernisierungen in Prenzlauer Berg kommt das Stadtforschungsinstitut Topos zu dem Ergebnis, daß in den untersuchten Häusern etwa ein Drittel der Mieter ausgetauscht wurden. Die neuen Mieter kämen zur Hälfte aus Westberlin, zur anderen Hälfte von außerhalb. Sie seien durchschnittlich jünger als die Altmieter, lebten in Ein- oder Zweipersonenhaushalten und verfügten über ein Einkommen, das dem Doppelten des Gebietsdurchschnitts entspreche, aber auch die durchschnittlichen Westberliner Einkommen übersteige.

Doch es ist nicht nur eine Verdrängung durch Sanierung, die sich aus diesen Zahlen ablesen läßt. „Viele Leute ziehen auch weg, weil sie den ganzen Lärm, den Verkehr, den Streß nicht mehr aushalten“, weiß Betroffenenvertreter Nelken. Neben einer Verteuerung der privaten Räume, so scheint es, sind viele Bewohner auch mit einem Verschwinden ihrer vertrauten öffentlichen Räume konfrontiert. Nicht mehr die ursprünglichen Bewohner, sondern die neue urbane Minderheit hat begonnen, diese Räume auszuformulieren. Die Zeichen der Zeit – die städtische Textur und Ästhetik von Konsum, Flexibilität und Erfolg – haben binnen sechs Jahren nicht nur die urbane Wirklichkeit des Bezirks von den Beinen auf den Kopf gestellt, sondern auch eine Entfremdungsdynamik in Gang gesetzt, deren soziale Auswirkungen bisher noch nicht abzusehen sind.

Die Stadtkultur mit ihrer spezifischen Öffentlichkeit, das Gespräch an der Ecke, weicht mehr und mehr einer Kultur der Städter. Oder besser einer Unkultur: Für die FU-Soziologen Helmut Berking und Sighard Neckel ist die „neue Urbanität“ mit der Individualisierung des städtischen Subjekts verknüpft. In dem Maße, in dem die Institutionen Arbeit, Beruf und Familie ihre identitätsprägende Kraft verlieren würden, beginne eine „neue Runde der Vergesellschaftung“, werde der Einzelne zur „lebensweltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen“. Dabei werde deutlich, wie sehr sich die Menschen dessen bewußt seien, daß Identität so ohne weiteres nicht mehr zu haben sei, sondern der „Effekt einer merkwürdigen Mischung aus subjektivem Schicksal, kombinatorischem Geschick und inszenatorischen Fähigkeiten ist“. Nicht mehr um Identität gehe es also den neuen Bewohnern der Innenstädte, sondern um Identitätspolitik, um das Spiel mit den Lebensstilen, die jene Leerstellen scheinbar füllen können, die der „gegenwärtige Modernisierungsschub im Austausch zwischen Individuum und Gesellschaft hinterläßt“.

Die Tyrannei des Privaten im öffentlichen Raum

Wenn aber alles – Leben, Körper, Kneipen – ästhetisiert und zur Kunst oder Kultur entwirklicht wird, bleibt das auch auf die Kommunikation im öffentlichen Raum nicht ohne Folgen. Falls in der Öffentlichkeit überhaupt noch gesprochen wird, dann über vorwiegend Privates, hat der Architektursoziologe Werner Sewing beobachtet: „Unter meinem Arbeitszimmerfenster ist ein Café, da stehen jetzt wieder Tische, und ich bin völlig unfreiwillig Zeuge der Gespräche an den Kaffeehaustischen. Nun könnte man sagen, ich sei völlig begeistert, ich bin Soziologe und die Öffentlichkeit hockt vor dem Fenster. Aber diese Gespräche sind oft völlig langweilig. Öffentlicher Raum ist in dieser Form erstmal Aggregation von Privataktivitäten. Willi trifft Erna und Erna trifft Willi.“ Der amerikanische Stadtforscher Richard Senett hat diesen Prozeß der Ausblendung des Öffentlichen in öffentlichen Gesprächen bereits 1983 als „Tyrannei der Initimität“ bezeichnet.

Natürlich kann der Rekurs auf die kommunikative Situation der „Gleichen“ – und sei es nur aus Gründen des Mangels –, wie sie vor der Wende etwa von Filmemacherinnen wie Helga Reidemeister oder 1991 noch im Schwarzweißfilm „Berlin-Prenzlauer Berg“ gezeigt oder stilisiert wurde, im Zeitalter der Digitalisierung sämtlicher Interaktion kaum mehr als Sentimentalitäten hervorbringen. Er verweist allerdings auf einen Umstand, der für das Verschwinden von Öffentlichkeit in den östlichen Stadtbezirken wesentlich ist. Schließlich unterscheidet den Prenzlauer Berg von der Aufwertung Schönebergs oder Kreuzbergs nicht nur die Umkehrung von Realität und Mythos, sondern auch die bis dato ungewohnte Dynamik des Faktors Zeit.

In ihrem Roman „Unter dem Namen Norma“ beschreibt die Ostberliner Schriftstellerin Brigitte Burmeister nicht nur das zur Falle geratene Spiel mit den Lebensentwürfen des Erfolgs, sondern auch die Beschleunigung des öffentlichen Lebens: „(Mit der Wende) ist die Ewigkeit zusammengebrochen, die Zeit seitdem entfesselt, und wir geistern durch die alten Räume und versichern uns, hier zu sein, als wüßten wir noch, wie das ist.“

Zur Dreidimensionalität des öffentlichen Raums kam nun also die vierte Dimension, die Zeit hinzu. Während im lebensweltlichen Alltag der DDR – die Gründe sind bekannt – Zeit im Überfluß vorhanden war, sie damit keine Rolle spielte, wird sie nun zum kostbaren Gut. Das entfesselte Tempo schlägt sich dabei nicht nur in der Begrifflichkeit des Konsums („Schneller Wohnen“) nieder, sondern auch in der immer schneller voranschreitenden Trennung der städtischen Öffentlichkeit.

Doch diese beschleunigte Trennung in verschiedene Teilöffentlichkeiten und -milieus ist nicht nur Teil des Problems, sondern vielen Ostberlinern mittlerweile auch zum Fluchtpunkt ihrer Identität geworden. Reichlich spät, gleichwohl prägnant hat der Spiegel vor kurzem diesen Trend zum „Kulturkampf“ ausgemacht. Der Prenzelberger Straßenlyriker Bert Papenfuß, heißt es da, beklage sich über die „Politologie-Erstsemestler“, die „unsere Stammkneipen bevölkern und uns Demokratie lehren“.

Mittlerweile habe Papenfuß samt der Redaktion der subversiven Zeitschrift Sklaven seinen Brückenkopf in der Kneipe Torpedokäfer aufgegeben und sich in eine nahe Eckkneipe zurückgezogen. Auch wenn der Versuch des Spiegel, den Mythos vom wehrhaften Ostintellektuellen zu bemühen, allzu platt ausgefallen ist, der Trend zum Rückzug in die eigenen Räume ist tatsächlich da. Ein – zumindest in Ostberlin – noch allzu vertrautes Verhaltensmuster. Nur ist der Nachwenderückzug diesmal keine Reaktion mehr darauf, daß der öffentliche Raum von den Institutionen staatlicher Macht, sondern den Trägern einer new urban publicity besetzt wurde.

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