■ Sommerserie „Sonnenstich“ (Folge I): Urlaub schützt vor Schicksal nicht
In Ferienzeiten flattern zuhauf unverlangt eingesandte Manuskripte in die taz-Reiseredaktion. Da sind unsere LeserInnen besonders mitteilsam. In einer kleinen Sommerserie, Stichwort: „Sonnenstich“, stellen wir einige schöne Urlaubsgeschichten vor.
Herr und Frau Vielenbach wollen dieses Jahr mal wieder einen schönen Urlaub im Mittelgebirge verbringen. So was muß natürlich gut geplant sein. Soll ja auch alles klappen, man will sich schließlich gut erholen. Ja, die Vielenbachs wollen sich so richtig verwöhnen lassen, mit Massagen, Fangopackungen, Solebädern und so weiter, und dann schön spazierengehen im Kurpark, keine anstrengenden Touren, einfach entspannen. So richtig mal die Seele durchlüften, das braucht der Mensch über Sechzig.
Zum Wohnen haben sich die Vielenbachs was Entsprechendes gesucht. Nicht so teuer – Herr Vielenbach hat ja nicht so eine hohe Rente –, aber ruhig gelegen, ganz in der Nähe des Friedhofs von Bad Boldern. Gut für die Nerven. Ruhe total! Der Anstieg ist ein wenig beschwerlich, besonders für Herrn Vielenbach mit seiner Staublunge, aber das Häuschen liegt wirklich hübsch, richtig idyllisch. Halt etwas auf der Anhöhe, aber mit wunderbarem Weitblick über das Bolderner Tal, besonders wenn man die Wohnung mit Balkon hat. Die war aber leider grad nicht frei, als Frau Vielenbach letztes Jahr im Sommer gebucht hat.
Aber das Souterrain ist auch prima, sogar noch was billiger, mit Blick in die Koniferen und so. Richtig schön grün, ein bißchen dunkel vielleicht, und es riecht auch ein bißchen modrig, weil die Sonne da nicht so recht rankommt, aber nett ausgestattet. Viel Kunst an den Wänden: Gobelins, Ölbilder, Geweihe und Zinnteller. Außerdem gibt's auch einen Fernseher mit Schüssel, eine etwas klein geratene Kochnische und ein schönes altes Ehebett mit sagenhaft blütenweißer Bettwäsche. Nichts dagegen zu sagen.
Daß es dieses Jahr im Sommer dauernd regnet, dafür kann ja keiner was, und daß Herr Vielenbach sich ausgerechnet auch noch erkälten muß, na, das wär' nicht gerade nötig gewesen. Aber er ist seit seiner Pensionierung nicht mehr ganz so stabil. Nun, die Bewegung an frischer Luft wird ihn schon wieder auf die Reihe bringen. Wenn er erst mal drei Wochen lang jeden Tag die Einkaufstüten hier hochgeschleppt hat, zur Ferienwohnung, da ist auch der Vielenbach fit wie ein Turnschuh.
Frau Vielenbach geht's ja sowieso immer prima im Urlaub. Sie ist eigentlich gar nicht zimperlich, aber als ihr vorgestern die Vermieterin so quasi unter der Hand weggestorben ist, einfach hingelegt, eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht, da hat Frau Vielenbach dann doch einen Moment lang erwogen, ob man diesmal die Heimreise vielleicht doch schon früher antreten sollte. Zumal sie ja auch schon miterleben mußten, wie nach drei Tagen Urlaub der Mieter von oben, vom Balkonzimmer, ganz plötzlich wegen schwerer Erkrankung vom Krankenwagen abtransportiert werden mußte – und er hat bis heute nicht mal sein Hundchen nachgeholt.
Aber es sind halt bis jetzt grad mal bloß vierzehn Tage Urlaub rum, und bei Vielenbachs noch keine Spur von Erholung, wenn sie da nun Hals über Kopf abreisen würden, wär' ja alles umsonst gewesen. Brigitte Bee
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