: Mit Butterbroten auf Schnüffeltour
■ Im KGB-Reiseführer berichten russische Spione von ihren Fahrten in den Westen
Moskau (taz) – Sie gehörten zu den Privilegierten, die Dienstreisenden des sowjetischen Geheimdienstes zu Zeiten des Kalten Krieges. So sollte man zumindest glauben. Doch Rußlands Spione blieben auch im Ausland Werktätige. Das suggeriert zumindest ein „KGB Reiseführer durch die Metropolen der Welt“, den kürzlich sieben ehemalige Topagenten im Moskauer Verlagshaus „Soverschenno Sekretno“ – „Streng geheim“ – vorlegten. Oleg Brykin etwa durfte in New York schnüffeln. Auf die Spitzeltour nach Chicago mußte er sich aber selbstgemachte Sandwiches mitnehmen. Sein Salär reichte nicht für den Speisewagen. Etwas besser erging es dem Mann in Paris, Michail Braschelonow. Während er seine Muscheln à la Provencale schlürfte, vergaß er glatt Partei und Vaterland und erschien nicht zum konspirativen Treffen, anberaumt für den nächsten Tag. Wenn da mal nicht ein falscher Koch die Finger in den Muscheln hatte? Allen hat ihre Mission gut gefallen, dem Zauber ihrer Gastgeberstädte konnte sich keiner so recht entziehen, wie sie freimütig zugeben.
Der derzeitige KGB hat die Manuskripte vor Abdruck gelesen und für unverfänglich befunden. Ein bißchen Sentimentalität gehört schließlich mit zum Berufsbild. Labuschow, der Sprecher des russischen Auslandsgeheimdienstes, der sich seit längerem ein weltoffenes Image zuzulegen versucht, kommentierte wohlwollend: „Ich hab' das Buch gelesen, es hat mir sehr gut gefallen.“ Als Belohnung stellt der KGB seine Räume in der Lubjanka für die Präsentation zur Verfügung.
Ljubimow, Spion in London, drohte sogar zu einem waschechten Engländer zu mutieren. Fish 'n' chips konnte er nicht widerstehen, daneben entwickelte er eine Leidenschaft für Flanellhosen. Hatte er sich gerade über die Hintertreppe bei Harrod's vor verdächtigen Verfolgern gerettet und ein wenig Muße, trieb es ihn in den Hyde Park. Hier imitierte er das große Vorbild of Her Majesty's Intelligence: Er quatschte Frauen an, mußte sich aber als Schwede ausgeben, weil Frauen Russen angeblich fürchteten. Die Trefferquote verschweigt er: Er weiß wohl, daß selbst ein höchstverdienter Spion der Arbeiterklasse nie die Grandezza seines britischen Gegenspielers erlangen kann. Klaus-Helge Donath
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