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Mit Wortbrocken werfen

■ Künstlerische Gruppenbildung in der deutschen Gegenwart – eine Dokumentation

Ein gerade erschienenes Buch ist zu empfehlen, das daherkommt wie ein Zettelkasten der letzten fünf Jahre: Team Compendium ist eine Sicht auf junge Kunst seit 1990 unter dem besonderen Aspekt künstlerischer Gruppenbildung. Die Herausgeberinnen Rita Baukrowitz und Karin Günther erklären es ausdrücklich zum abschließenden Teil von „Sei dabei!“, jenem wolkigen Programm von Hamburger Künstlergruppen und ihren Gästen, das die beiden 1994 initiierten.

In nicht unsympathischer Selbstreflexion wird im ersten Viertel deutlich an Hamburger Legendenbildung gestrickt und diese Stadt von Christoph Bannat zur „heimlichen Hauptstadt der 90er“ ausgerufen. (Ironischerweise leben viele der Beteiligten aber inzwischen in Berlin.) Doch die Kölner Szene kommt genauso in den Blick wie allgemeine Texte zu Techno, Internet, Chaos Computer Club oder die Subkultur in der DDR der Achtziger. Der Reader ist also ein komplexer Szenespiegel geworden inklusive Adreßverzeichnis, Materialdokumentation und Kunstanspruch – ein Magazin in Buchform.

Auszumachen ist die weitgehende Ablehnung von Selektionsmechanismen und eine gewisse Radikalität in der erneuten Behauptung von Avantgarde. Auch politisch begründete Ansätze (z. B. fast selbstverständliche Sympathie für radikal) sind zu lesen, sie bleiben wegen der grundsätzlichen Offenheit der Argumentation jedoch genauso folgenlos, wie zur Zeit überall üblich: eine Gegenöffentlichkeit ohne Gegner. Mitunter wird auch nur der weite Horizont heutiger Kunst mit Wortbrocken beworfen (Gunter Reski), und unter manchen Möglichkeitsformen und Begriffsumwertungen verschiebt sich der Kern der Argumentation vom Semantischen ins Syntaktische: Nicht Inhalte, sondern Formen sind wichtig. Das Zentrum dieses Formalismus sind die Gesten und Rituale der Kommunikation: Gruppengrenzen einerseits und Partykunst andererseits.

Schon auf Seite 24 wundert sich der Hamburger Till Krause über die Ratlosigkeit, den Wunsch, die eigene Sache selbst zu befördern, statt den Inhalt zum Hauptthema zu machen. Das spricht aber nicht für die Überflüssigkeit dieses Tuns, ist mehr der Hinweis auf das Einfache, das schwer zu machen ist.

Und doch stellt sich oft der Verdacht ein, in der Selbstorganisation von Druckwerken, Ausstellungen und Events, in der Lust am Insiderwitz und am offenen Blödsinn präsentiere sich eigentlich die gar nicht so unzufriedene neue Boheme einer Mediengesellschaft, mit allen negativen und positiven Effekten.

Vergißt man die – subjektiv unterschiedlichen – ärgerlichen Stellen des bunten Straußes, ist der Rest gutes Material, um diese sich schnell verändernde Szene später einmal zu erinnern.

Hajo Schiff

„Team Compendium – Selbstorganisation im Bereich Kunst“, Kellner Verlag, 240 S., 25 Mark

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