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„Für uns ist morgen der letzte Termin“

■ Tarifstreit Einzelhandel: Werden VerkäuferInnen unterbezahlt – ein Streitgespräch

Über dem Sommerschlußverkauf schwebt das Damoklesschwert des Streiks: Seit Wochen streiten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften über die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel. 80 Verhandlungsrunden wurden bundesweit gezählt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Auch in Bremen können sich Tarifparteien nicht über die Arbeitsbedingungen der rund 30.000 Beschäftigten einigen. Die Gründe dafür wollten wir von Norbert Caesar , Vorsitzender der Arbeitgebervertreter in der Tarifkommission, und Heiner Schilling , Gewerkschaftssekretär bei der HBV (Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen), wissen.

taz: Sie setzen sich ja morgen zur fünften Verhandlungsrunde an den Tisch...

Norbert Caesar: Nein, das ist nur ein Expertengespräch. Wir wollen sehen, ob es Annäherungsmöglichkeiten gibt.

Heiner Schilling: Also, das ist kein schöner Anfang, mit falschen Darstellungen zu beginnen. Aus Sicht der HBV findet morgen die fünfte Verhandlungsrunde statt. Die komplette Tarifkommission der HBV wird am Tisch sitzen. Wenn Sie nur Experten schicken, ist das Ihre Sache.

taz: Sie sind sich also noch nicht einmal über die Formalien einig. Auch in den letzten vier Verhandlungsrunden wurde viel gestritten. Herr Caesar, was ist für Sie der größte Knackpunkt?

Caesar: Der größte Knackpunkt ist, daß die Gewerkschaften versuchen, mehrere Dinge miteinander zu vermischen. Lohn und Gehalt sollen genauso verhandelt werden wie Zuschläge für die Arbeit nach 18.30 Uhr.

taz: Wenn ab dem 1. November die Läden länger geöffnet werden sollen, wird es doch aber auch höchste Zeit.

Caesar: Es sagt keiner, daß wir uns lange Zeit lassen wollen, wir möchten nur den Forderungskatalog gründlich durcharbeiten. Über Lohn und Gehalt könnte man sich schon vorher einigen.

Schilling: Also, das ist ja sehr geschickt, daß Sie das so kompliziert machen. Die Sache ist ganz einfach. Die Verkäuferin in Bremen soll Lohnfortzahlung bekommen. Die Verkäuferin in Bremen soll für die Arbeitszeit nach 18.30 Uhr einen Ausgleich kriegen, und sie soll ein vernünftiges Gehaltsangebot bekommen.

taz: Die Gewerkschaften halten eine Mark mehr pro Stunde für vernünftig. Diese Forderung ist den Arbeitgebern zu hoch. Warum?

Caesar: In Baden-Württemberg hat die HBV einen Abschluß über 1,85 Prozent (rund 60 Mark brutto monatlich) gemacht. Damit könnten wir uns auch anfreunden. Aber dieses Draufsatteln von einer Mark pro Stunde (fünf Prozent, 163 Mark brutto) sind Sätze, die man nicht realistisch betrachten kann.

taz: Eine Einzelhandelskauffrau verdient nach dreijähriger Ausbildung 2.455 Mark brutto im Monat. Im siebten Berufsjahr verdient sie 3.173 Mark. Wenn sie nicht zur Abteilungsleiterin oder Filialleiterin aufsteigt, steigt auch das Gehalt nicht. Ist da eine Mark pro Stunde mehr, also 163 Mark brutto, zuviel verlangt?

Caesar: Die Mitarbeiter im Einzelhandel verdienen im Durchschnitt nicht so, daß man sagen könnte, sie seien unterbezahlt. Außerdem haben sich die Arbeitsbedingungen im Handel in den letzten Jahren nicht so grundlegend geändert, daß man im Vergleich zu anderen Branchen zusätzliche Gehaltsforderungen ableiten könnte.

Schilling: Wer im Einzelhandel im Verkauf arbeitet, muß in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten. Das muß auch besser bezahlt werden. Der Einzelhandel hinkt in der Einkommensstatistik hinterher – auch bei den kaufmännischen Berufen. Außerdem brauchen unsere KollegInnen ihren Ausgleich für Preissteigerungen. Außerdem: Wenn Sie sich mal die Börsennachrichten angucken, sehen Sie, daß die Ertragslage der deutschen Einzelhändler gar nicht mal so schlecht ist. Natürlich ist es für die Arbeitgeber nicht einfach, die großen und die kleinen Unternehmen unter einen Hut zu bringen.

Caesar: Wir können nicht sagen, daß im Handel seitens der Arbeitgeber gut verdient wird. Selbst große Konzerne wie beispielsweise Karstadt machen ihre Gewinne nicht mit dem Einzelhandel, sondern im Reisebereich. Auf Seiten der Arbeitgeber ist nichts zu verteilen. Das gilt vor allem für die kleineren Betriebe. Und noch eins: Kostensteigerungen, wie zum Beispiel die Anhebung der Müllgebühren oder höhere Steuern, müssen wir alle zahlen. Das sind keine Argumente, um Tarifverhandlungen zu begründen.

Schilling: Also, es ist ja wohl so, daß die Menschen arbeiten gehen, um ihre Kosten bezahlen zu können. Und es bleibt dabei: Wenn man sich die Notierungen der Bremer Wertpapierbörse anguckt, wird man feststellen, daß das alles gute Sätze sind. Es lohnt sich Einzelhandelsaktien zu kaufen.

Caesar: Nach den Daten des Institutes für Handelsforschung in Köln haben wir vor allem bei den Fachhändlern, daß heißt in Betrieben mit bis zu 20 Mitarbeitern, negative Betriebsergebnisse. In diesem Jahr haben wir bundesweit einen Umsatzrückgang von ein Prozent. 1993 hatten die Einzelhändler einen Umsatzrückgang von minus 4,2 Prozent. 1994 lag der Umsatzrückgang bei minus 1,6 Prozent und 1995 bei minus zwei Prozent.

taz: Dann haben sich die Umsätze ja sogar erholt.

Caesar: Umsatzeinbußen von jeweils ein Prozent sind starke Einbußen.

taz: Herr Schilling, ist das eine Einschätzung, die Sie teilen?

Schilling: Umsatzsatzeinbußen von ein Prozent sind natürlich Rechengrößen, die man sich genau ansehen muß. Das ist unbestritten. Ich habe hier aber die Zahlen des Statistischen Landesamtes Bremen. Daraus geht hervor, daß in Bremen die Umsätzrückgänge um vieles geringer sind. 1995 sind die Umsätze in Bremen nur um 0,1 Prozent zurückgegangen.

Caesar: Den Einzelhändlern in Bremen geht es sogar noch schlechter. Wir haben uns in den letzten Jahren von der Entwicklung in der Bundesrepublik abgekoppelt. Die Zahlen, die Sie nennen Herr Schilling, beruhen im wesentlichen darauf, daß der Weserpark eröffnet worden ist. Dadurch sind Umsätze, die bisher ins niedersächsische Umland abgeflossen sind, nach Bremen zurückgeholt worden. Wenn man die 250 Millionen Mark Umsatz des Weserparks rausrechnet, kommt man wieder auf die Zahlen, die bei den bremischen Betrieben tatsächlich erwirtschaftet worden sind.

taz: Auch wenn Sie sich jetzt über die Höhe streiten, Sie sind sich ja darüber einig, daß die Einzelhändler Verluste machen. Eine Erhöhung der Löhne und Gehälte um 1,85 Prozent könnten Sie sich ebenfalls beide vorstellen. Es gibt aber noch eine Reihe von Punkten, die strittig sind. Die Gewerkschaften fordern zum Beispiel, daß VerkäuferInnen, die nach 18.30 Uhr arbeiten, Freizeitausgleich bekommen. Schwangere, Schwerbehinderte oder VerkäuferInnen, die abends aufgrund der Verkehrsverbindungen nicht mehr nach Hause kommen können, sollen nicht gezwungen werden, nach 18.30 Uhr zu arbeiten. Unzumutbare Forderungen, Herr Caesar?

Caesar: Das würde de facto eine zusätzliche Erhöhung von drei bis fünf Prozent bedeuten. Außerdem greifen diese Forderungen stark in die Personalpolitik der einzelnen Betriebe ein. Ich kann auch nicht einsehen, was die Arbeitszeit nach 18.30 Uhr so wahnsinnig erschwert.

taz: Werden Sie abends nicht müde?

Caesar: Keiner arbeitet von morgens um neun bis abends um acht.

Schilling: Aber nach 18.30 Uhr. Und das ist eine Arbeitszeit, die gesellschaftlich relevant ist. Das Kino beginnt um 20 Uhr. Das Theater fängt um 20 Uhr an. Das Konzert beginnen um 20 Uhr. Unsere KollegInnen werden vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. Und das muß bezahlt werden.

Caesar: Es wird ja keiner gezwungen, abends zu arbeiten. Essoll so sein, daß sich die Leute freiwillig melden.

Schilling: Das ist eine naive Vorstellung. Es wird einen moralischen Druck geben – durch Gespräche mit dem Abteilungsleiter zum Beispiel.

taz: Noch ein Streitpunkt also. Was passiert, wenn Sie sich morgen nicht einigen. Rufen Sie dann zum Streik auf, Herr Schilling?

Schilling: Darüber sage ich nichts. Ich sage nur eins: Für uns ist morgen der letzte Termin.

Fragen: Kerstin Schneider

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