: Von Wilmersdorf kalkulieren lernen
■ Der Pilotbezirk der Kostenrechnung weiß, was Bücherausleihen kostet: 1,63 Mark
Die Wilmersdorfer sind fast schon soweit. Sie können bald, was Verwaltung seit ihrer Begründung in Preußen nicht vermochte: Kosten benennen und Preise kalkulieren. Demnach wendet das Bezirksamt 1,63 Mark auf, wenn die Bücherei ein Buch verleiht. Das Erstellen einer Gewerbebescheinigung kostet das Amt rund 55 Mark. Doch die beiden Wilmersdorfer Betriebswirte mahnen zur Vorsicht. Die Preise seien noch nicht komplett, die Kostenrechnung laufe noch im „Spielbetrieb“.
Wilmersdorf ist der Berliner Bezirk, der die Kosten- und Leistungsrechnung modellhaft für die anderen Stadtteile einführt. Ab 1. Oktober wollen die betriebswirtschaftlichen Steuerleute des Bezirks, die ControllerInnen Eike Schnödt und Eckhard Heilmann, den Echtbetrieb starten. Das Wilmersdorfer Bezirksamt wird ab Herbst als eine der ersten Kommunalbehörden Deutschlands die Grundlage für so etwas wie Effizienz geschaffen haben. Sie weiß, was Verwalten eigentlich kostet. „Dann fängt es an, richtig Spaß zu machen“, meint Heilmann. Es beginnt nämlich der Preiswettbewerb mit den anderen 22 Berliner Bezirken. Und die BürgerInnen müssen keine Kunstpreise für Hundemarke oder Gewerbeschein zahlen, sondern kalkulierte. Bislang werden die Gebühren für Verwaltungsdienstleistungen zentral und ohne Berücksichtigung der wirklichen Kosten festgelegt.
Erste Werte hat der seit Anfang des Jahres laufende Spielbetrieb geliefert. Nach den Berechnungen von Schnödt, Heilmann und inzwischen fünfzig betriebswirtschaftlich geschulten KollegInnen kostet es den Bezirk 1,63 Mark, wenn sich jemand in der Stadtbücherei ein Druckwerk ausleiht. Die Vermittlung eines Gesprächs kostet 1,49 Mark. Die An-, Um- oder Abmeldung eines Gewerbes schlägt mit 55 Mark zu Buche. „Diese Kosten scheinen uns relativ plausibel“, sagt Controller Heilmann entschuldigend. Das Problem des Pilotbezirks: Noch fließen die Werte der bezirklichen Immobilien in die Kostenrechnung gar nicht mit ein; denn die sogenannte Anlagenbuchhaltung fehlt noch.
Die Verwaltung konnte bislang auch nur sagen, wieviel Personalkosten sie in der Bücherei insgesamt zu erbringen hat. Nun wissen die ökonomisch geschulten Bürokraten, wieviel Aufwand an Personal- und Betriebsmitteln dem Bezirk je einzelnem Produkt anfällt. Auch haben die Wilmersdorfer erstmals Informationen darüber, wieviel die Zuarbeit anderer Behörden kostet. Das kommt einer kleinen Revolution in den Amtsstuben gleich. Die Kameralistik, das nun aufgemotzte Rechnungsprinzip, gilt als notorisch kostenblind. Produktkosten kannte die Kameralistik bislang nicht.
Wilmersdorf ist nicht mehr lange allein. Kreuzberg, Hohenschönhausen, Köpenick, Wedding, Weißensee, Prenzlauer Berg, Reinickendorf, Schöneberg und Treptow haben bereits angefangen oder beginnen heute mit der Kosten- und Leistungsrechnung. Ende des Jahres 1997 wird dann mit den ersten echten Kostenvergleichen gerechnet. Bis dahin heißt es: von Wilmersdorf lernen heißt kalkulieren lernen. „Die müssen unsere Fehler nicht wiederholen“, sagt der Sprecher des Bezirksamts, Karl-Heinz Metzger. Dennoch haben die Wilmersdorfer die Nase noch vorn. Sie beginnen inzwischen, die MitarbeiterInnen des Bezirksamts flächendechend in die Kostenrechnung einzuführen. cif
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